Sonneberg – Einordnungen und Erklärungsversuche

Nach der Landratswahl von Sonneberg, bei der erstmals ein AfD-Kandidat obsiegen konnte, haben sich diverse Medien, aber auch Politiker, an Erklärungen für den Wahlausgang versucht. Insbesondere die These, das Handeln der Ampelregierung in Berlin habe maßgeblich zu dem AfD-Erfolg beigetragen, wird dabei – vor allem von der CDU in Land und Bund – immer wieder als monokausale Erklärung angeführt, ja, regelrecht mantraartig vorgetragen.

Nun liegt es mir fern, für jede Entscheidung oder Diskussion der Bundesregierung Verständnis aufzubringen. Dennoch scheint mir dieser Erklärungsansatz zu simpel zu sein, vernachlässigt er doch die Entwicklungstendenzen auf lokaler und regionaler Ebene, die in den vergangenen Jahren zu einer schleichenden Erosion sowohl mit Blick auf das Vertrauen der Bürger in politische Entscheidungen und Entscheider als auch in die ehemalige Volkspartei CDU geführt haben.

Besonders auffällig scheint mir zunächst die Tatsache zu sein, dass wirtschaftliche Gesamtsituation und Wahlverhalten miteinander nicht zur Deckung zu bringen sind. Der Landkreis Sonneberg gehört zu den wirtschaftsstärksten Regionen Thüringens. Die Arbeitslosenquote liegt bei nur 4,5 Prozent und damit sogar deutlich unter dem Bundesschnitt (Deutschland insgesamt 2022: 5,3 Prozent). Zwischen 2000 und 2020 sind die Bruttolöhne um mehr als 53,8 Prozent angestiegen. Das ist Rekord in Thüringen. Die Menschen im Landkreis Sonneberg sind produktiv, arbeiten häufig in Industriezweigen mit guten Zukunftsaussichten. Die Nähe zu Bayern hat einen starken bundeslandübergreifenden Wirtschaftsraum geschaffen, dessen fränkische Identität die Grenzen zwischen Ost und West in sehr spannender Weise auflöst.

Doch bereits während der Corona-Pandemie zeigte sich, wie angespannt die politische Gemengelage in der Region, zu der auch Hildburghausen gehört, war. Einzelne Kommunen in Südthüringen weigerten sich, Schulkinder testen zu lassen. Es gab immer wieder Demonstrationen und Aufzüge gegen das Tragen von Masken. Und ja, ich gebe zu: hinzu kam auch die zum Teil widersprüchliche Verordnungslage von Seiten des Bundes und Landes, für die ich in meiner Regierungserklärung am 16.12.2021 ausdrücklich um Entschuldigung gebeten habe. Diese Widersprüche, für die auch ich einzustehen habe, in Kombination mit dem Geschrei derjenigen, die rundweg die Existenz einer Pandemie bestritten, ergaben ein explosives Gemisch aus Ablehnung und ja – manches Mal auch Hass.

Aktuell werfen mir vermehrt Bürger gerade aus der Region Sonneberg vor, ich habe die versprochenen Neuwahlen verhindert bzw. sei für ihr Nicht-Zustandekommen verantwortlich. Richtig ist, dass es 4 CDU-Abgeordnete (Christina Tasch, Maik Kowalleck, Jörg Kellner, Michael Heym) waren, die presseöffentlich erklärten, niemals für eine Auflösung des Landtages stimmen zu wollen. Auch meine ausführlichen Erklärungen zur Sachlage werden von diesen Menschen nicht zur Kenntnis genommen. Emotion ist eben bequemer als die komplexe Realität.

Wenn Hans-Georg Maaßen dann immer wieder von „Merkel-Putsch“ und dergleichen mehr fabuliert, sind wir wieder mitten im Süden Thüringens und dem desolaten Zustand der örtlichen CDU, die nach dem Masken- und Aserbaidschan-Skandal rund um ihren ehemaligen Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann tatsächlich glaubte, mit Hans-Georg Maaßen ein politikfähiges Angebot an die Menschen vor Ort machen zu können. Maaßen verlor deutlich gegen den SPD-Kandidaten Frank Ullrich, die AfD hingegen wuchs stetig weiter. Wer glaubt, den Populismus nachahmen zu müssen, verkennt die Realität, denn man wählt eben lieber das Original.

Das war nicht immer so und Maaßen-Sound sowie das Gerede von der sog. „Heiz-Stasi“ sind eher neuere Phänomene. Über viele Jahre hinweg lenkte Christine Zitzmann als starke CDU-Frau und Landrätin die Geschicke des Kreises. Gerade während der großen Bankenkrise habe ich immer wieder sehr vertrauensvoll mit ihr zusammengearbeitet. Sie verstand es nicht nur, eine Verwaltung kompetent zu führen, sondern auch, nah bei den Menschen ihre konkreten Probleme anzupacken und zu lösen. Seinerzeit ging sie proaktiv auf die heftig unter Druck stehenden metallverarbeitenden Unternehmen zu, vermittelte Hilfs- und Unterstützungsangebote der lokalen Sparkasse und schuf so eine Vertrauensbasis, die Menschen auch in schweren Situationen immer das Gefühl gab, ernstgenommen zu werden.

Nach Zitzmanns Ausscheiden ging es mit der CDU im gesamten Südthüringer Raum rapide bergab. Wegen interner Querelen implodierten die Stadtratsfraktionen in Sonneberg und Hildburghausen, man verlor die Bürgermeisterämter in Sonneberg und Hildburghausen – nicht zuletzt, weil man eigene Amtsinhaber wie Heiko Voigt vergraulte oder Kandidat/in und Partei (wie in Hildburghausen und Sonneberg geschehen) sich gegenseitig demontierten.

In den vergangenen Jahren machte die Südthüringer CDU vor allem mit folgenden Meldungen von sich reden. Eine Auswahl:

„Nazi-Propaganda im Amtsblatt – Bürgermeister meldet sich zu Wort“

„Obst blamiert sich sowie die Kreis- und die Landes-CDU“

„Millionen-Deal mit Masken! Skandal-Politiker Hauptmann tritt aus CDU aus!“

„Wahl von Ex-Verfassungsschutzchef Maaßen spaltet CDU“

Für all diese Schlagzeilen gibt es Ursachen und Verantwortliche. Sie haben alle dazu beigetragen, dass eine Partei wie die Südthüringer CDU, die viele Jahre ein wichtiger Ankerpunkt für die Menschen in der Region war, nicht mehr in der Lage war, irgendwie gestalterisch zu wirken. Gerade deshalb irrt Mario Voigt auch, wenn er alle Schuld der Ampel in Berlin zuschiebt. Für die Selbstzerstörung seiner Partei in Südthüringen kann kein Ampel-Gesetz die Verantwortung übernehmen. In dieser Feststellung liegt auch die eigentliche Tragik des Geschehens von Sonneberg. Wenn es keine demokratische Partei mehr gibt, die Bürger an sich bindet, die durch kontinuierliche, harte Arbeit auch bei Unzufriedenen Vertrauen sichern kann, wen soll der Bürger noch wählen?

Am Ende bleibt die bittere Feststellung, dass ein Gutteil der Sonneberger Wahlergebnisse auch mit dem kontinuierlichen Niedergang der CDU in Relation zu sehen ist, gleich kommunizierenden Röhren.

Im Anhang habe ich einmal die aus meiner Sicht zentralen Ereignisse/Prozesse zusammengestellt, die wichtige Wegmarken im schleichenden Demontageprozess der CDU in Südthüringen bilden:

Bürgermeisterwahlen in Sonneberg

1994-2016: Sibylle Abel (zunächst FDP, später CDU) amtiert als langjährige und parteiübergreifend geschätzte Bürgermeisterin in Sonneberg.

2016: Nach dem plötzlichen Tod der langjährigen CDU-Bürgermeisterin Sibylle Abel gewinnt ihr Erster Beigeordneter, Heiko Voigt (parteilos) als Kandidat der CDU die Wahl mit 67,9 Prozent der abgegebenen Stimmen.

2022: Nach massiven internen Querelen (Heiko Voigt wollte nicht CDU-Mitglied werden) nominiert die CDU Sonneberg (angeblich ohne vorheriges Klärungsgespräch mit Heiko Voigt) Uta Bätz als Spitzenkandidatin. Heiko Voigt gewinnt als Einzelbewerber erneut die Wahl mit 66,2 Prozent. CDU-Bewerberin Bätz kommt lediglich auf 20,4 Prozent. (https://www.insuedthueringen.de/inhalt.buergermeister-sonneberg-die-cdu-heiko-voigt-und-politik-ohne-parteibuch.cb677054-6ceb-4f1f-b78e-46e81144567d.html)

Bürgermeisterwahlen in Hildburghausen

1996-2014: Steffen Harzer (DIE LINKE.) amtiert als Bürgermeister und zieht 2014 in den Thüringer Landtag ein.

2014: Holger Obst (CDU) gewinnt in der Stichwahl mit 61,9 Prozent.

2020: Tilo Kummer (DIE LINKE.) gewinnt mit 51,8 Prozent im ersten Wahlgang. Holger Obst kommt nur auf 20,0 Prozent und landet sogar noch hinter der AfD-Kandidatin Ines Schwamm mit 28,2 Prozent. Bereits in 2019 hatte Holger Obst für überregionale Schlagzeilen gesorgt, als er historische NS-Propaganda zum alliierten Luftkrieg unkommentiert im Amtsblatt der Stadt Hildburghausen abgedruckt hatte. (https://www.rnd.de/politik/nazi-propaganda-im-amtsblatt-burgermeister-meldet-sich-nach-zu-wort-KLVM3WVBPCUBI3RHV43M6TQAAY.html)

2023: Tilo Kummer wird als Bürgermeister abgewählt. Kristin Obst (CDU) kandidiert als Einzelkandidatin bei der Neuwahl und scheitert bereits im ersten Wahlgang mit nur 9,4 Prozent. In der Stichwahl setzt sich schließlich der von PRO Hildburghausen unterstützte ehemalige CDU-Stadtrat Patrick Hammerschmidt mit 58 Prozent gegen den ebenfalls parteilosen Florian Kirner durch.

Zerfall der Stadtratsfraktion CDU Hildburghausen sowie des Kreisverbandes der CDU Hildburghausen

2020: Nach massiver Kritik an der Amtsführung der Kreisvorsitzenden und Stadtratsmitglied der CDU Hildburghausen, Kristin Obst, implodiert die Stadtratsfraktion der CDU Hildburghausen. 4 von 5 Mitgliedern treten aus und gründen die Stadtratsfraktion Pro HBN. Als Einzelmitglied bleibt Kristin Obst Stadtratsmitglied. Eine CDU-Stadtratsfraktion existiert damit nicht mehr.

Auf einem von der Landes-CDU verordneten Kreisparteitag wird Kristin Obst am 29.07.2020 als Kreisvorsitzende abgewählt. Ihr folgt Christopher Other nach. In der Folge entspinnt sich eine wahre Schlammschlacht. Kristin Obst zweifelt die Rechtmäßigkeit des Kreisparteitages an, lädt weiterhin als „Kreisvorsitzende“ zu parteiamtlichen Veranstaltungen ein usw. Henry Worm als Abgeordneter wirft Obst öffentlich „Realitätsverlust“ vor. Sogar ein Ausschlussverfahren gegen Obst wird diskutiert. Am Ende bleibt Other Kreisvorsitzender und wird in 2022 wiedergewählt. (https://www.insuedthueringen.de/inhalt.hildburghausen-other-obst-blamiert-sich-sowie-die-kreis-und-die-landes-cdu.2ee3f551-ae49-428d-97f1-9e16fb16f2bc.html)

Zerfall der Stadtratsfraktion CDU Sonneberg

2022: Nachdem die CDU ihre Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Uta Bätz, offenbar ohne vorherige Beratung mit dem amtierenden Bürgermeister (und seinerzeitigem CDU-Kandidaten) zur Spitzenkandidatin für die anstehende Bürgermeisterwahl machte, zerbrach die CDU-Stadtratsfraktion sowie die Gemeinschaft mit der FDP, da ein Teil der Fraktionsmitglieder den amtierenden Bürgermeister Voigt unterstützen wollte. Resultat: der Stadtrat Sonneberg war zeitweise nur bedingt arbeitsfähig, da die Ausschüsse entsprechend der Verhältnisse neu besetzt werden mussten. Am Ende siegte bei der Bürgermeisterwahl Amtsinhaber Voigt.

Affären um Mark Hauptmann (CDU-MdB 2013-2021, ehemals Kreisvorsitzender CDU Suhl)

Im Kontext von SPIEGEL-Recherchen im Frühjahr 2021 rückt Mark Hauptmann ins Licht der Öffentlichkeit. U.a. soll Hauptmann hohe fünfstellige Summen über Anzeigen in seinem CDU-Blatt Südthüringen Kurier generiert haben, die Taiwan, Aserbaidschan und Vietnam bewarben. Mehrere Medien sahen Hauptmann als einen Lobbyisten der autoritären Diktatur in Aserbaidschan. Hauptmann bestritt, jemals Geld aus Aserbaidschan erhalten zu haben.

Im Zuge der CDU-CSU-Maskenaffäre geriet auch Hauptmann ins Visier der Ermittler. So soll Hauptmann u.a. offensiv für eine Firma geworben haben, die überteuert Masken vertrieb. Von derselben Firma erhielt Hauptmanns CDU-Kreisverband wenig später eine Spende von 7000 Euro. Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit von Mandatsträgern ein. Hausdurchsuchungen, Einfrieren von Vermögenswerten etc. folgten. Im September 2022 stellte die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen wg. Bestechlichkeit ein. Im Dezember 2022 erhob die Staatsanwaltschaft Meiningen Anklage gegen Hauptmann wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung.( https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Hauptmann#cite_ref-16)

 

Die Maaßen-Affäre

Am 30.04.2021 nominierten die CDU-Kreisverbände Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Suhl Hans-Georg Maaßen zum Direktkandidaten für den Wahlkreis 196 – vorher Wahlkreis Mark Hauptmanns. Im Wahlkampf fiel Maaßen immer wieder mit extrem rechten, fremdenfeindlichen Positionierungen auf, die von den aufstellenden Kreisverbänden verteidigt und von der Landes-CDU beschwiegen wurden. Am Ende scheiterte Maaßen deutlich. Das Direktmandat ging an Frank Ullrich von der SPD.

In den folgenden Monaten fiel Maaßen immer wieder durch Grenzüberschreitungen verschiedenster Art auf (https://www.tagesspiegel.de/politik/kuhnert-kritisiert-cdu-spitze-fur-laxen-umgang-mit-hans-georg-maassen-4300240.html). Erst im Januar 2022 distanziert sich die CDU Thüringen auch öffentlich von Maaßens vielfältigen Äußerungen, die „vollkommen der Position des Landesverbandes“ widersprächen.