Schöne und schmerzliche Stunden
Die närrische Zeit ist vorbei und am Aschermittwoch reflektiere ich die Intensität der letzten Tage. Am Freitag war ich in Wasungen zur Festveranstaltung „500 Jahre Wasunger Karneval“. Eine stolze Zahl, ein rundes Jubiläum und ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Karnevalstraditionen in Thüringen viel älter sind als das, was man üblicherweise in Westdeutschland zu bieten hat. Dennoch wird immer über Köln, Düsseldorf oder Mainz gesprochen, obwohl die Wurzeln des Karnevals bei uns liegen. Nur einige Eckdaten: 1391 erste urkundliche Erwähnung von Fastenspielen in Königsee. Deshalb heißt der Karnevalsverein „Unweiser Rat Königsee“ seit 1391. Der erste offensichtlich erwähnte närrische Lindwurm, genannt auch Karnevalsumzug, 1397 in Nürnberg und dann die Ersterwähnung der Karnevalstraditionen in Wasungen, die zumindest belegt, bis heute konsequent durchgehalten wurde. Mit dem Wissen um diese kulturellen Wurzeln war ich das ganze Wochenende unterwegs und habe mit Freude festgestellt, wie engagiert unser Thüringen ist. Immerhin 333 Karnevalsvereine sind im Landesverband Thüringer Karneval organisiert und Christoph Matthes, der Präsident, geht von 30.000 Aktiven aus, die im LTK zusammengeschlossen sind. Geschätzt dürften es weit über 400 Vereine sein, die sich in der Session engagieren und bei 90 Karnevalsumzügen in Thüringen und bei über 1.1100 Prunksitzungen und großen Festsitzungen spürt man, warum Christoph Matthes mit Stolz darauf verweist, dass sie der drittstärkste Karnevalsverband im Bund deutscher Karnevalsvereine sind. Prozentual gemessen an unserer Bevölkerung ist das ein Schwergewicht des deutschen Karnevals.
Durch Corona hat es auch hier eine ziemliche Zäsur gegeben, aber die jetzt gerade beendete Session hat erfreulicherweise gezeigt, wie stark unser Karneval zurückgekehrt ist. Andererseits war der Rosenmontag auch geprägt durch Menschen, die offenkundig in der Masse der Karnevalisten auch mit Hass und Frust unterwegs waren. An einem Ort zeigte mir ein junger Familienvater, der mit Frau und Baby als Zaungast dort stand mit eindeutigen Gesten, wie sehr er mich offensichtlich höchstpersönlich verachtet. An einer anderen Karnevalsveranstaltung versuchten die sog. „Montagsdemonstranten“, die wie üblich weder angemeldet waren noch einen Verantwortlichen aufzuweisen hatten, die Festveranstaltung für ihre Anliegen zu instrumentalisieren und meine angekündigte Anwesenheit zu benutzen, um mir ihren Missmut oder auch mittlerweile ihre Verachtung gegen jedwede Form von Politik zu übermitteln.
Der intellektuelle Tiefpunkt war eine Gruppe von sechs oder sieben jungen Männern, die offensichtlich sehr gezielt am Rande des närrischen Lindwurms warteten, bis sie meiner ansichtig wurden, um mir ihren gereimten Hass entgegen zu schleudern. Mehrfach skandierten sie sehr laut und deutlich an mich adressiert:
„Schau schau – du dumme Sau!
Wir vergewaltigen jetzt deine Frau –
und wenn du keine Frau hast – bist du ne dumme Sau –
und dann hau‘n wir dir halt nur deine dumme Fresse blau!“
Während drum herum ganz viele Familien mit Kindern standen, die offensichtlich nicht genau registriert haben, was diese Gruppe von jungen Kerlen von sich gab, schaute ich mir diese Gesichter an und dachte: „Ja, bislang seid ihr mir auf dem was heute X heißt in den sogenannten sozialen Medien anonym begegnet, heute tragt ihr euren Hass mit offenem Gesicht zur Schau.“ Was früher als Twitter eine fröhliche Zwitschergemeinschaft begann, ist heute ein vor Hass triefendes Medium ohne wirksames Community Management oder aktiven Schutz vor Hass und Hetze. Ich habe die Befürchtung, dass aus diesen Worten auch Taten werden können. Alle Demokraten sollten mutig dagegenstehen.
Das war schon bei der wunderbaren Demonstration in Greiz zu spüren, als ich mit rund 800 Menschen gemeinsam für ein friedliches und buntes Greiz demonstriert habe. Dass dort auf der sogenannten Gegendemo ein Nazi davon faselte, dass wir alles nur bezahlte Demonstranten seien und wir alle nach Buchenwald ins KZ gehörten, der sich nicht scheute, es mit Gesicht in die Kamera zu sagen, macht deutlich, wie aus der Anonymität heraus Worte sich immer mehr auch zu Taten materialisieren. Die Schritte werden immer kürzer und das Überbieten in Hass und Hetze immer massiver. Gemessen allerdings an den zehntausenden Demonstranten, die zurzeit in Thüringen ihr Gesicht zeigen gegen braunen Ungeist und die Klarheit, mit der ich die ganzen Karnevalveranstaltungen erlebt habe, die sich deutlich gegen einen solchen Ungeist ausgesprochen und positioniert haben und die wunderbaren Erfahrungen, die ich persönlich sammeln konnte, als Menschen mich einfach in den Arm genommen haben und mir Kraft zugesprochen haben, das war dann wieder das Gefühl, in einem Land zu leben, in dem wir einerseits die Krisen bewältigen müssen, aber andererseits genügend Kraft und Solidarität vorhanden ist, um dieses Land nicht vor die sprichwörtlichen Hunde gehen zu lassen.
Dass dann am sogenannten Aschermittwoch „Ascherdienstag“ in Suhl vor 1.800 Gästen meine Fraktionskollegin Anja Müller mit ihrer launigen Büttenrede erneut den Publikumspreis gewonnen hat, war dann für mich doch ein unglaublich versöhnlicher Abschluss eines ausgesprochen anstrengenden Wochenendes.
Karneval muss man mögen, um sich auf ihn einlassen zu können. Wenn man aber spürt, wie ich es in Apolda erleben durfte, wie von Klein bis Groß, von Jung bis Alt, alle dabei sind, dann wird deutlich, dass auch das Vereinsleben mit diesem Karneval ein soziales Gefüge bedeutet, in dem ungeheure Kräfte geweckt werden. Talente werden gefördert, keiner wird alleine gelassen und ein gemeinsames Erlebnis rundet jeweils den Erfolg ab. Das ist der Unterschied zu Menschen, die mit ihren finsteren Gedanken und lauten Trommeln Angst auslösen, um selbst ihre eigene geistige Armut zu übertönen. Da sind mir fröhliche Karnevaltuschs durchaus lieber und ich freue mich, dass die Thüringer Karnevalsszene sich nun mit einem eigenen Narrenmarsch auf den Weg gemacht hat, um nicht selber immer nur den Mainzer Nahallamarsch abspielen zu müssen. Dieser auf den Namen Narratyrium getaufte Marsch ist nun das neue Markenzeichen im Thüringer Karneval und für mich Ausdruck eigener Souveränität verbunden mit dem Stolz auf die eigene Kraft.