Die japanische Kirschblüte steht in voller Blüte

Es war im März des Jahres 2003, als George W. Bush den dritten Golfkrieg mit der sog. „Koalition der Willigen“ gegen Saddam Hussein im Irak begann. Diese „Koalition der Willigen“, dieser dritte Golfkrieg kündigte sich über lange Zeit an. Unsere PDS-Fraktion im Thüringer Landtag hatte in vielen Aktionen immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass wir eine andere Lösung finden müssten als Krieg. Man müsse, so unser Plädoyer, den Druck auf Saddam Hussein erhöhen, da ein Giftgasangriff auf die kurdische Bevölkerung ein offener Bruch des Völkerrechts war, ein militärischer Konflikt aber zu einer endlosen Spirale von Zerstörung führen würde.

21 Jahre ist das jetzt her. Ich habe die entsprechende Plenarsitzung im alten Plenarsaal des Thüringer Landtags noch lebendig in Erinnerung. Christine Lieberknecht war die Parlamentspräsidentin und wir hatten als PDS-Fraktion einen Antrag zum drohenden Irakkrieg gestellt. Wir wollten ein Zeichen setzen und ich hatte in Erinnerung, dass die japanischen Kirschblütenbäume, die in Marburg das ganze Südviertel rund um den Friedrichsplatz prägen, immer verbunden waren mit der Hoffnung auf Frieden. Ich war der festen Überzeugung, dass so ein japanischer Kirschblütenbaum genau jetzt gut gebraucht werden könnte und ließ entsprechend einen anschaffen. André Blechschmidt als unser damaliger Fraktionsgeschäftsführer konnte den Baum als Angestellter nicht in den Landtag bringen, da die Landtagsverwaltung unter Herrn Linck angekündigt hatte, dass jedes Zeichen, das politisierend vor oder im Landtag zur Kenntnis gebracht werden würde, sofort zu arbeitsrechtlichen oder sogar strafrechtlichen Konsequenzen führen würde. Man würde sich nicht scheuen, auch die Polizei zu rufen, um das Hausrecht durchzusetzen.

Am Tag, als wir den japanischen Kirschbaum dem Landtag übergeben wollten, entschied ich mich daher als Abgeordneter, heimlich den Kirschbaum in den Plenarsaal zu tragen. Interessant war, dass das so offensichtlich regelwidrige Verhalten gerade wegen seiner Regelwidrigkeit von keinem Bediensteten, Saaldiener etc. zunächst registriert wurde. Alle sahen wie ich den Baum quer durch den Landtag trug. Diskret platziert vor den Fahnen neben dem Rednerpult fiel der Baum überhaupt nicht auf.

Unsere damalige Fraktionsvorsitzende Gabriele Zimmer hat dann das Wort ergriffen und viele Argumente in Richtung Frieden und Friedensentwicklung vorgetragen. Dabei wurden auch die Verbrechen von Saddam Hussein nicht vergessen und auch die Perspektive der Kurdinnen und Kurden thematisiert. Aber als sie mit dem Finger auf den Baum zeigte und der Landtagspräsidentin sagte, die PDS-Fraktion würde diesen Baum als Zeichen des Friedens nunmehr dem Landtag schenken, war Christine Lieberknecht sichtlich irritiert. Auf einmal unterbrach sie die Sitzung und führte aus, dass nun dieser schöne Baum ein politisches Zeichen sei, das im Plenarsaal nichts zu suchen habe. Sie forderte also Gabi Zimmer auf, den Baum zu entfernen, was diese natürlich nicht tat, sondern gedachte, ihre Rede fortzusetzen. Schließlich forderte Frau Lieberknecht den Saaldienst auf, den Baum zu entfernen, was dieser allerdings erkennbar auch nicht tat und so sprang Reyk Seela, ein Landtagsabgeordneter der CDU, auf, der an diesem Tag auch noch eine deutsch-amerikanische Flagge an seinem Revers trug, zerrte den Baum hoch und rannte empört samt Baum aus dem Plenarsaal. Allerdings war die Tücke der Pendeltüren von ihm nicht bedacht worden. Er war schon draußen, die Pendeltüren gingen zu und die Krone des Baums mitsamt seinen Blüten blieben im Plenarsaal zurück. Da er mit Gewalt nun die Krone durch die Pendeltür zog, flogen fast alle Blüten ab und man hörte den schmerzlichen Laut all der Abgeordneten, die dieses nun auch wieder ungehörig fanden.

So sah der japanische Kirschblütenbaum ziemlich gerupft aus bis Herr Linck seiner habhaft wurde. Der Baum wurde beschlagnahmt und in den Keller des Landtags entführt.

Ich suchte den Kontakt zu Frau Lieberknecht, um noch einmal mit ihr über das Zeichen des Friedens ins Gespräch zu kommen – wohlwissend, dass ich damit den Gefühlsteil von Frau Lieberknecht erreichen konnte, denn als Pastorin würde sie sich dieser Ansprache schwerlich entziehen können. Ich hatte mich nicht getäuscht: während des Gesprächs entstand spontan die Idee von Frau Lieberknecht, dass wir nun diesen Baum im Landtag auch in die Erde bringen müssten. Der Neubau ginge ja bald los und wir müssten einen Platz suchen, sodass der Baum durch den Neubau nicht in Gefahr geraten würde.

Wir einigten uns schließlich, den Kindergarten aus Ramsla zum Baumpflanzen einzuladen und so zogen Frau Lieberknecht, die kleinen Stöpckes mit Schaufeln und Eimern bewaffnet und ich gemeinsam mit dem Baum einer Prozession gleich um den Landtag zum Pflanzort. Dazu wurden Geschichten erzählt und Lieder gesungen, über den Frieden geredet und der gerupfte Baum konnte gut in die Erde gebracht werden.

Heute, genau 21 Jahre später, stehe ich neben dem wunderbar blühenden japanischen Kirschblütenbaum und denke, dass jede einzelne Blüte, die heute so wunderbar in der Sonne in rosafarben schimmert, für den eindrücklichen Wunsch nach Frieden steht. Dem Wunsch nach Frieden in der Ukraine – für die Ukraine und für Russland. Auch die russischen Soldaten haben weinende Mütter und ehrlich gesagt ist die Hoffnung auf Frieden im Jemen genauso ein Traum wie eben auch der Frieden in Israel mit Sicherung des Existenzrechts Israels, aber auch tatkräftiger Sicherung für die Lebensgrundlagen der arabischen Bevölkerung in der gesamten Region. Ob im Gazastreifen, in der Westbank, aber auch im Libanon, Jordanien und Ägypten. Überall bräuchte es neue Denkansätze, um mehr Frieden zu ermöglichen und weniger der Waffenlogik zu folgen. Eine militärische Intervention mag zu einem militärischen Sieg führen, aber nicht zu einem dauerhaften Frieden. Das bedeutet, dass man Grausamkeit und Brutalität des Mordes durch die Hamas genauso wenig vergessen darf wie all die Verbrechen, die Putin zu verantworten hat in Butscha und all den anderen Orten, wo Zivilisten nicht mal ansatzweise eine Erwartung haben konnten, dass Standards des Kriegsrechts eingehalten werden. Diese menschenverachtende Spirale der Gewalt mag militärisch unterbrochen werden, aber führt letztlich nicht zu einem Wachsen des Friedens. Darauf bezog sich unser japanischer Kirschblütenbaum – nicht um einseitig Partei für Herrn Hussein zu ergreifen, aber mit der bitteren Erkenntnis, dass auch der Tod von Hussein zu keinerlei dauerhaftem Frieden geführt hat. Kurdinnen und Kurden sind heute noch genauso geschunden und Opfer der Entwicklung wie Jesidinnen und Jesiden zu permanenten Opfern in der Region gemacht werden.

Mögen viele weitere japanische Kirschblütenbäume wie der, dessen Geschichte ich hier erzählt habe, gepflanzt werden – für eine Welt des Friedens und der Menschenrechte, gegen Chauvinismus und Imperialismus.