Gastbeitrag von Steffen Dittes: Vom Bürgergeld, geschlechtergerechter Sprache, einem neuen Politikstil und daraus erwachsenen Gefahren für Sozialstaat und Demokratie

Steffen Dittes ist als Fraktionsvorsitzender von DIE LINKE. im Thüringer Landtag immer und gerade in den letzten Wochen besonders nah dran an den oft verwickelten, aber nicht selten unfassbar spannenden Debatten und Entscheidungen eines Parlaments mit komplexen Mehrheitsverhältnissen. Seine klaren und besonnenen Analysen schätze ich seit vielen Jahren. Deshalb habe ich sehr gern seinen jüngsten Text als Gastbeitrag in mein Tagebuch aufgenommen.

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In den letzten Tagen ist insbesondere eine politische Entscheidung des Thüringer Landtages wieder einmal in den Fokus der bundesrepublikanischen Aufmerksamkeit gerückt. Erneut war ein unterstellter Dammbruch seitens der Thüringer CDU gegenüber der AfD Anlass und Gegenstand. Auch in Thüringen hat die politischen Auseinandersetzung über die sozialen Medien und Pressemitteilungen zwischen den Regierungsfraktionen und der CDU im Nachgang zur Novembersitzung des Landtages an Schärfe gewonnen. Eine subjektive Einordnung und Wertung der Ereignisse:

Die Tagesordnung der Plenarsitzung vom 9. bis 11. November 2022 war mit 71 inhaltlichen Tagesordnungspunkten mehr als gefüllt. Am Ende der drei Tage sollten davon nicht einmal 30 der Gesetzentwürfe und Anträge abgearbeitet sein. Die parlamentarische Praxis im Thüringer Landtag ermöglicht es vorab, dass einzelne Fraktionen neben den aus rechtlichen Gründen abzuarbeitenden Vorlagen auch einzelne ihrer Initiativen „zu setzen“. Das heißt, sie kommen zwingend zum Aufruf. Die CDU reklamierte zwei Themen für sich als besonders dringlich in ihrer parlamentarischen Schwerpunktsetzung zu diesem Plenum und setzte deren Beratung durch: Tagesordnungspunkt 73 „Leistung muss sich lohnen Aktivierender Sozialstaat statt alimentierendem Bürgergeld der Bundesregierung“ und Tagesordnungspunkt 79 „Gendern? Nein Danke! Regeln der deutschen Sprache einhalten – keine politisch motivierte Verfremdung der Sprache!“. Nicht nur die Schwerpunktsetzung, auch der Inhalt der Anträge und die öffentliche Kommunikation zu diesen, beim „Gender-Antrag“ auch die erfolgreiche gemeinsame Beschlussfassung mit der AfD lassen einen neuen politischen Stil der Thüringer CDU erkennen, der besorgniserregend ist und für die Demokratie auf fatale Weise gefährlich werden kann.

Die Fleißigen und die …

Bereits seit Wochen zog die CDU gegen das von der Bundesregierung geplante Bürgergeld zu Felde. Diese hatte sich entschieden, dass mit der Agende 2010 von Rot-Grün eingeführte diskriminierende Hartz-IV-System durch ein moderneres Bürgergeld abzulösen. So sollen Sanktionsmöglichkeiten gelockert, Menschen nicht dauerhaft in Armut getrieben, ihnen die Chance zur Qualifizierung statt Zwangsarbeit im Niedriglohnsektor belassen und der Übergang in Arbeit durch verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten erleichtert sowie mehr Kooperation statt Kontrolle und Zwang geschaffen werden. Und, der Regelsatz sollte um etwa 50 Euro angehoben werden. Nun gibt es auch an dieser Reform berechtigte Kritik, da beispielsweise nach wie vor Sanktionen in Form der Leistungskürzungen unterhalb des Existenzminimums (!) möglich sein werden und Sozialverbände nachrechneten, dass eine armutsfeste Grundsicherung noch einmal 44% über den von der Ampelkoalition festgelegten Regelsatz liegen muss. DIE LINKE hat ihre Kritik formuliert und einen Tag vor der Entscheidung im Bundesrat aus Sicht der LINKEN Regierungsvertreter:innen in den Bundesländern veröffentlicht[1].

Die CDU stützt ihre sich zur Kampagne ausweitende Kritik auf die Behauptung, dass künftig Empfänger:innen von Bürgergeld mehr am Ende des Monats in der Tasche haben würden, als Menschen die fleißig seien und arbeiten gehen würden. Diese Behauptung hält keinem einzigen Faktencheck[2] stand und ist schnell als unwahre Polemik entlarvt. Das scheint der CDU aber lange Zeit egal, da die populistische Kampagnenformel „Arbeit muss sich lohnen“ verfängt und es so deutlich wie selten zuvor zu erleben ist, wie eine Partei, die sich als in staatspolitischer Verantwortung stehende, wertebasierte Partei sieht, mit Unwahrheiten auf Stimmungs- und Stimmenfang geht. Der Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Mario Voigt, bezeichnete das Bürgergeld als „Politik auf dem Rücken der Fleißigen“[3]. Das Bild ist eindeutig. Hier die Fleißigen, die sich anstrengen. Auf der anderen Seite diejenigen, die auf Kosten der Fleißigen faul seien und das schöne Leben genießen würden. Die CDU setzt ganz offensichtlich auf bereits vorhandene Vorurteile und trägt dazu bei, diese Vorurteile zu manifestieren und in der Gesellschaft weiter zu verbreiten.

Spaltung durch Stigmatisierung

Im Jahr 2014 stellten im Auftrag der damaligen CDU-geführten Landesregierung Thüringer Wissenschaftler mit ihrer jährlichen Untersuchung zum Thüringen Monitor fest, dass die Abwertung Langzeitarbeitsloser die in der Bevölkerung mit 53% am weitesten verbreitete Kategorie gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit darstellt. Der die Untersuchungsergebnisse dann im Jahr 2015 vorstellende Thüringer Ministerpräsident, Bodo Ramelow (DIE LINKE), sagte dazu, „es sei wichtig, Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben, aus dieser ‚Stigmatisierung‘ herauszukommen“[4]. Sieben Jahre später arbeitet die CDU mit falschen Behauptungen weiter an dieser Stigmatisierung. Dass sie dabei zudem Gründe für den Bezug von existenzsichernden Leistungen gänzlich negiert, so arbeiten circa eine Millionen der Bezieher von Grundleistungen selbst, aber beispielsweise als Alleinerziehende in Teilzeitarbeitsverhältnissen diese ergänzend zur Existenzsicherung erhalten, kann nur als bewusst in Kauf genommene Spaltung der Gesellschaft, als bewusst betriebenes gegeneinander Ausspielen von Arbeitenden und Grundsicherungsempfänger:innen und in der Absicht des Niedrighaltens von Sozialleistungen als gewollte Aufkündigung des Sozialstaatsprinzips verstanden werden.

Doch während der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz am Abend des 6. November 2022 in den „Tagesthemen“ die argumentative Rolle rückwärts vollzog und die Zustimmung zur Erhöhung der Regelsätze bei Fortbestand des diskriminierenden Hartz-IV-Systems der Ampelregierung anbot, blieb sich die Thüringer CDU treu. Am 10. November kam im Thüringer Landtag ihr Antrag zum Aufruf, der unbeeindruckt der vielfachen Richtigstellungen weiter behauptete, dass „es bei Einführung eines Bürgergeldes im Freistaat Thüringen besonders häufig dazu kommen (wird), dass sich die Erwerbsarbeit für Arbeitnehmer finanziell nicht mehr lohnt, das heißt, dass erwerbsfähige Bürgergeldbezieher, ohne einer entsprechenden Erwerbsarbeit nachzugehen, finanziell bessergestellt sind, als Erwerbstätige, welche diese Leistungen finanzieren“[5]. Gleichzeitig startete die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag eine Kampagnenseite mit dem ziemlich entlarvenden, aber ehrlichen Domainnamen ampel-stoppen.de, auf der sie wissentlich nachweislich falsche Rechenbeispiele weiter verbreitete. In der Debatte selbst wiederholte Fraktionsvorsitzender Voigt das Bild der „Politik auf dem Rücken der Fleißigen“ und der „sich nicht lohnenden Arbeit“, um dann zu behaupten, die CDU habe die Erhöhung des Regelsatzes doch selbst vorgeschlagen. Eine ziemlich widersprüchliche und auch dreiste Verdrehung der Tatsachen, was sich auch am Tag, als der Bundesrat mit den Stimmen der CDU-geführten Bundesländer die Bürgergeld-Reform ablehnte, noch einmal zeigte, als Voigt kommentierte „Es ist gut, dass der Bundesrat den sozial ungerechten Entwurf der Ampel-Regierung gestoppt hat.“ und weiter unbeirrt behauptete „Wer arbeitet, muss mehr Geld haben als jemand, der nicht arbeitet. Mit ihrer Zustimmung zu dem Ampel-Entwurf zeigt die Thüringer Landesregierung, dass sie diesen Grundsatz nicht teilt.“[6]

Gerechte Lohnpolitik und solidarisches Bürgergeld

In der gesamten Debatte versucht sich die CDU als Interessenvertreter der für geringe Löhne arbeitenden Menschen darzustellen. Und in der Tat sind Niedriglöhne ein gesellschaftliches Problem, weil sie Menschen in die Abhängigkeit ergänzender staatlicher Leistungen zwingen, menschenwürdige soziale und kulturelle Teilhabe nicht ermöglichen und vor allem auch Altersarmut produzieren. Dies bekämpft man aber nicht dadurch, in dem Löhne weiter niedrig gehalten werden und die Grundsicherung an Niedriglöhnen orientierend weiter unter dem Existenzminimum bleibt. Doch beim Einsatz für bessere Löhne sieht man nur selten die CDU an der Seite der Gewerkschaften, Sozialverbänden und sozial orientierten politischen Parteien. In Thüringen steht die CDU historisch für den Ausbau des Niedriglohnsektors und dem aktiven Werben mit eben jenen niedrigen Löhnen gegenüber Unternehmen als Standortvorteil. Der gesetzliche Mindestlohn wurde durch die CDU immer wieder kritisiert, der in Thüringen eingeführte vergabespezifische Mindestlohn bekämpft. Initiativen zur erleichterten Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen scheiterten am Widerstand der CDU.

Dabei hätte ausgerechnet die Thüringer CDU an eine frühere Debatte über ein solidarisches Grundeinkommen in der laufenden Diskussion anschließen können. Im Jahr 2008 legte der damalige Ministerpräsident Thüringens und CDU-Landesvorsitzende Dieter Althaus ein Konzept[7] für ein solidarisches Bürgergeld als bedingungsloses Grundeinkommen vor. Kerninhalt war ein zur Auszahlung kommendes Netto-Bürgergeld in Höhe des Existenzminimums nach dem Existenzminimumbericht der Bundesregierung[8] (2008: 595 Euro; zum Vergleich 2023: 909 Euro), dass jeder, also auch Erwerbstätige erhalten sollten. Hinzu sollte ein monatlicher Gesundheitszuschuss in Höhe von 200 Euro zur Finanzierung des Gesundheitswesens kommen. Vorschläge für einen festen Steuersatz, Reduzierung des Bürgergeldes ab einem eigenen Einkommen von 1.600 Euro, Bürgergeldrente sowie zum Wegfall von Sozialversicherungsbeiträgen und einheitlichen Steuersätzen komplettierten das Bürgergeld-Konzept aus den Reihen der CDU, das Mario Voigt, damals noch Landesvorsitzender der Jungen Union, für dessen Einführung als Systemwechsel und als Alternative für mehr Generationengerechtigkeit[9] bewarb.

Im Jahr 2022 war es mit dieser Generationengerechtigkeit nicht mehr so weit her. Ein Ziel der CDU-Kritik am Bürgergeldkonzept der Bundesregierung war das sogenannten Schonvermögen. Menschen sollten in den ersten 24 Monaten des Bürgergeldbezuges ein unantastbares Vermögen von 60.000 Euro besitzen dürfen. Dies scheint der CDU zu hoch. Zum Ausdruck kommt dabei eine Missachtung gegenüber der für viele Menschen durch Lohnarbeit erwirtschaftete Sicherung für das Alter. Diese solle gefälligst aufgebraucht werden. In Kombination mit dem Grundsicherungsbezug würde somit Altersarmut erst hervorgerufen und manifestiert. Während die CDU also Kleinstvermögen bei Bürgergeldbezug an den Kragen will, wird ihre Vorstellung von Schonvermögen bei der Diskussion um Ausdehnung der Erbschafts- und Wiedereinführung der Vermögenssteuer deutlicher. Eigentümer großer Vermögen sollen mit Verweis auf ihre Leistungen für die Gesellschaft (sic!) unangetastet bleiben. Die ungleiche Betrachtung sozialer Milieus wird auch darin deutlich, dass immer wieder auf den Vorwurf des Leistungsmissbrauchs zurückgegriffen wird. Und in der Tat schätzt die Bundesagentur für Arbeit den gesamtwirtschaftlichen Schaden durch Hartz-IV-Betrug auf jährlich 60 Millionen Euro. Dieser beträgt allerdings nur 0,06 % des Schadens, der jährlich durch Steuerhinterziehung der Gesellschaft entsteht.

Ein neuer Politikstil

Vor diesem Hintergrund der entfesselten Sozialneiddebatte, der diskreditierenden Zweiteilung der Gesellschaft in Fleißige und vermeintlich weniger fleißige Leistungsbezieher, dem mangelnden Engagement für mehr Lohngerechtigkeit und dem staatlichen Zugriff auf erarbeitete kleine Vermögen, während große unabhängig davon wie sie entstanden sind, unangetastet bleiben sollen, ist es schon fast ein Hohn, wenn die Positionierung der CDU Thüringen als „sozial-gerecht“ gegenüber dem „sozial ungerechten“ Bürgergeld der Bundesregierung verklärt wird.

Die bewusst wahrheitswidrige Verklärung der eigenen Positionierung als auch die anderer politischer Akteure war schon immer ein Mittel der Politik. Doch erst mit dem Auftreten der AfD und der Leichtigkeit der Verbreitung von Behauptungen in den sozialen Medien hat dieses Mittel im politischen Alltag umfassend Raum ergriffen und wird zunehmend auch von anderen politischen Akteuren, insbesondere zunehmend von der CDU Thüringen in ganz erheblichem Umfang missbraucht[10].

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der genannte Antrag zur geschlechtergerechten Sprache[11] der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag.

In einer Pressemitteilung vom 11. November 2022 stellt die CDU die Behauptung auf, dass Anlass für ihren Antrag „unter anderem ein Vorhaben der Landtagsverwaltung, künftig auch Sitzungsprotokolle mit Gender-Sternchen, -Doppelpunkt oder Unterstrich zu versehen“[12] gewesen sei. Die Landtagsverwaltung hatte aber nicht den Vorschlag unterbreitet, Sitzungsprotokolle zu „gendern“, auch nicht eine Vielzahl unterschiedlicher Zeichen einzuführen, sondern in dem Fall, wenn ein Mitglied des Thüringer Landtages in seiner Rede den Glottisschlag, also eine Sprechpause wie bei A|orta, Spiegel|ei, O|ase oder eben Freund|innen, nutzt, dies auch als Wiedergabe des gesprochenen Wortes einheitlich im Protokoll zu dokumentieren. Der Duden sieht hierfür – wie soeben verwendet – auch ein maschinenlesbares Zeichen vor. Bereits im Ältestenrat verhinderte die CDU mit der AfD und der Gruppe Bürger für Thüringen eine solche Protokollierung mit der Folge, dass jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete bei der Korrektur seines eigenen Beitrages nun im eigenen Ermessen ein entsprechendes Zeichen einfügen wird. Weder stimmte also die Beschreibung des behaupteten Anlasses, noch bestand dieser am Tag der Plenarsitzung noch. Warum ein gescheiterter Vorschlag zur einheitlichen und dudenkonformen Protokollierung des tatsächlich gesprochenen Wortes allerdings als Anlass dazu eigenen soll, die Landesregierung aufzufordern, sich dafür einzusetzen, dass in Schulen, Hochschulen, Gerichten und im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk auf die Anwendung der sogenannten Gendersprache in der Kommunikation, also mündlich wie schriftlich, verzichtet wird, erschließt sich nicht. Der Duktus der Argumentation und Motivation ist allerdings getragen von verschwörungstheoretischen Anleihen aus dem rechten Kulturkampf. Da wird von einer kleinen Elite schwadroniert, die gegen den Willen der freiheitsliebenden Mehrheit dieser eine Form der Sprechweise aufzwingen will und dabei der seit Jahrhunderten offenbar ohne Veränderung gebliebenen deutsche Sprache ihrer Schönheit, Klarheit und Verständlichkeit berauben will. „Jeder soll so reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“[13], verkündet die CDU und verschafft erstmalig einem Antrag die parlamentarische Mehrheit, der Menschen vorgeben soll, wie nicht gesprochen werden darf. Dem zuvor gegangen waren sieben Gesetzentwürfe der AfD seit 2014 die Sprache betreffend, die bislang auch an der Ablehnung der CDU scheiterten. Die Koalition von LINKE, SPD und Grüne hat nicht einen einzigen parlamentarischen Antrag in den Landtag eingebracht, um Sprachvorgaben auf den Weg zu bringen. Im Unterschied zur AfD und nun auch zur CDU sind die r2g-Abgeordneten der festen Überzeugung, dass Sprache weder durch politische Mehrheiten festgelegt, noch Sprachentwicklung mit Hilfe politischer Mehrheiten verhindert werden darf. Die Verwendung geschlechtergerechter bzw. geschlechtersensitiver Sprache ist auch unter den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen sehr unterschiedlich. Aber einig sind wir uns, dass Sprache gesellschaftliche Verhältnisse manifestieren kann und zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse auch immer die Veränderung von Sprache gehört, insbesondere dann, wenn durch ihre Verwendung mindestens ein Geschlecht verborgen bleibt.

Kein Kronzeuge, aber deutliche Reaktionen

Gerne bezieht sich die CDU in ihrer Ablehnung der „Gendersprache“ auf den Rat für deutsche Rechtschreibung. Dieser hat in seinen Empfehlungen vom 26.03.2021 zur geschlechtergerechten Schreibung[14] darauf verwiesen, dass Zeichen wie Asterisk, Unterstrich oder Doppelpunkt „zum jetzigen Zeitpunkt nicht in das Amtliche Regelwerk aufgenommen werden“. Bekräftigt hat er aber auch ausdrücklich seine Auffassung, dass „allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen“. Und kommt deshalb auch ganz zwangsläufig zu der Selbstverpflichtung, „die weitere Schreibentwicklung (zu) beobachten. Er wird dabei insbesondere prüfen, ob und inwieweit verschiedene Zeichen zur Erfüllung der Kriterien geschlechtergerechter oder -sensibler Schreibung geeignet sein könnten.“[15] Als Kronzeuge für ihren Kampf gegen das „Gendern“ kann sich die CDU jedenfalls nicht auf den Rat für deutsche Rechtschreibung stützen.

Was aber sagen die betroffenen Institutionen wie Schule, Journalisten und Hochschulen zur Sprachvorgabe à la CDU. Die Reaktionen sind so deutlich und eindeutig, dass auf ihre Wiedergabe nicht verzichtet werden soll.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW Thüringen formuliert etwa: „Mit ihrem Antrag „Gendern? Nein danke!“, den der Thüringer Landtag am Donnerstag mit den Stimmen von CDU, AfD und „Bürgern für Thüringen“ beschlossen hat, bleibt die Thüringer CDU ihrer reaktionären Tradition treu. Mehr als 20 Jahre, nachdem die damals CDU-geführte Thüringer Landesregierung beim Bundesverfassungsgericht erfolglos gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft geklagt hat, setzt sie nun ihren rechten Kulturkampf fort und sucht die Annäherung zur AfD. Mit dem Beschluss wird die Landesregierung aufgefordert, geschlechtergerechte Sprache zu verbieten und stattdessen den Gebrauch des generischen Maskulinums, also der männlichen Form, den Bildungseinrichtungen und der öffentlichen Verwaltung vorzuschreiben. Dieser Beschluss ist ein Schlag ins Gesicht gegen alle Menschen, die sich bemühen, inklusiv zu handeln und auch sprachlich niemanden auszugrenzen. Und erst recht stellt es eine Missachtung aller derjenigen Menschen dar, die nicht mit der maskulinen Form bezeichnet werden wollen. Es ist eine Bevormundung aller im Bildungswesen und im Landesdienst Beschäftigten, indem ihnen ein diskriminierungsfreier und anerkennender Gebrauch der deutschen Sprache verboten werden soll.“[16]

Der Deutsche Journalistenverband Thüringen attestiert dem Antrag der CDU, sich gegen die Grundfreiheiten der Demokratie zu richten: „Wer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Wissenschaft und der Justiz die Worte vorschreiben will, der verstoße gegen die Freiheit von Presse, Wissenschaft und die Gewaltenteilung. Der DJV Thüringen appelliert an die Landesregierung, die Aufforderung des Thüringer Landtags, Hochschulen, Einrichtungen der Rechtspflege sowie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf die bisherigen Regeln der deutschen Sprache zu reduzieren, kritisch zu hinterfragen. Wer Journalist:innen vorschreiben will, wie sie zu schreiben haben, greift in die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Medien ein. Es brauche eine Sprache, die alle inkludiert und die gesellschaftliche Vielfalt abbilde und kein Verbot einer gendergerechten Sprache.“[17]

Für die Friedrich-Schiller-Universität Jena erklärt der Präsident Prof. Dr. Walter Rosenthal auf die seitens der Universität vorgenommene wissenschaftliche Betrachtung von Sprache: „Studien der Sprachwissenschaften, Soziologie und Psychologie haben gezeigt, dass Sprache die Welt nicht nur abbildet, sondern formt und sich auf die soziale Wahrnehmung und das Verhalten auswirkt. Auch an einer Universität ist geschlechtergerechte Sprache ein wichtiger Aspekt, um die Gleichbehandlung der Geschlechter zu fördern. Wir halten aus diesem Grund an unseren Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache fest. Den Universitätsangehörigen ist es mit Verweis auf die Freiheit von Forschung und Lehre freigestellt, die vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten einer geschlechtergerechten Sprache für sich zu wählen. Gleichzeitig wird niemandem ein Nachteil entstehen, der auf das Gendern verzichtet. Ich rate, den Umgang mit dem Thema nicht durch politisch motivierte Maßgaben zu polarisieren.“[18]

In einem Offenen Brief wenden sich 145 namentlich zeichnende Wissenschaftler:innen der Erfurter Universität an die Öffentlichkeit: „Mit Enttäuschung und Besorgnis nehmen wir die Nachricht auf, dass der Antrag der Fraktion der CDU im Thüringer Landtag „Gendern? Nein Danke! Regeln der deutschen Sprache einhalten – keine politisch motivierte Verfremdung der Sprache!“ am 10. November 2022 vom Thüringer Landtag verabschiedet worden ist. Zu den Grundlagen einer weltoffenen, den Grund- und Bürgerrechten aller Menschen verpflichteten Gesellschaft gehört es, alle Menschen in ihren Geschlechtsidentitäten sprachlich sichtbar werden zu lassen und ansprechen zu können. Dies wird in zivilgesellschaftlich nicht akzeptabler Weise durch die Bitten an die Landtagspräsidentin (Abschnitt II. des Antrags) eingeschränkt. Fataler noch wäre es, wenn die Landesregierung versuchte, mit sprachpolitischen Maßnahmen in die Freiheit von Lehre und Forschung an den Universitäten einzugreifen, wie es in Abschnitt III. 2. und 3. des Antrags gefordert wird. Politisch besorgniserregend ist zudem, dass der Landtagsbeschluss, der mit den Stimmen der CDU gemeinsam mit den Stimmen von AfD und den „Bürgern für Thüringen“ gefasst worden ist, einen Verstoß gegen das Prinzip, nicht mit vom Verfassungsschutz als extremistisch bezeichneten Parteien zu kooperieren, darstellt.“[19]

In einer Reaktion auf diesen Offenen Brief unterstellte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, den Wissenschaftler:innen ein „merkwürdiges Demokratieverständnis“[20]. Es erscheine, so Andreas Bühl mit Blick auf die Kritik am Zustandekommen einer parlamentarischen Mehrheit in Abhängigkeit der Stimmen der AfD „demokratietheoretisch fraglich, der Union das Recht abzusprechen, eigenständig parlamentarische Anträge zur Abstimmung zu stellen“[21]. Nur hat er das politische Problem selbst nicht erkannt, wenn er glaubt, man könne Antrag und Abstimmverhalten der CDU beurteilen, ohne es in den Kontext parlamentarischer Mehrheiten und gesellschaftlicher Entwicklungen zu stellen. Wer glaubt, das eigene politische Handeln losgelöst von dessen Wechselwirkung zu einer extrem rechten Partei und deren Verhalten im Parlament betrachten und bewerten zu können, irrt und zeigt, aus der Geschichte wenig gelernt zu haben. Dabei sicherte der Vorsitzende der CDU-Fraktion am 9.11.2022 auf dem jüdischen Friedhof der Jüdischen Landesgemeinde noch zu, entschieden sich denen „in den Weg stellen, die aus der Geschichte nichts gelernt haben.“ Dabei ist es so einfach. Prof. Dr. Carlo Masala vom Institut für Politikwissenschaft formulierte auf Twitter sehr prägnant: „Es gibt mE einen zentralen Unterschied, ob du eine parlamentarische Mehrheit auch mit den Stimmen oder nur wegen der Stimmen hast. Im ersten Fall kannste nichts machen. Im zweiten Fall, machste es besser nicht.“[22] Diese Frage hat sich die CDU Fraktion vielleicht anfangs nicht gestellt. Aber spätestens zur Landtagssitzung selbst, als die CDU einen Kompromissvorschlag der Fraktionen DIE LINKE, SPD und Grüne ablehnten, war ihr bewusst, dass sie den Antrag nur mit den Stimmen der extrem rechten AfD durchsetzen kann. Die Koalitionsfraktionen hatten angeboten, gemeinsam den Satz „In seiner Funktion als Verfassungsorgan sowie als Bildungs-, Veranstaltungs- und Begegnungsstätte spricht sich der Landtag gegen herabwürdigende Sprachformen und für mehr Sprachsensibilität aus und unterstützt einen entspannteren Umgang mit der deutschen Sprache.“ zu beschließen. Es war der CDU weniger wichtig, dieses deutliche Signal demokratischer Parteien auch gegen Hate Speech in Gesellschaft und sozialen Medien zu beschließen, als mit der AfD gemeinsam gegen „Gendersprache“ eine parlamentarische Mehrheit zu organisieren.

Keine Kooperation? Was sonst?

Die CDU erwidert, dass es keine Kooperation mit der AfD gegeben habe. Wenn sie damit meint, dass es vorher keine Absprachen zum Antrag gegeben habe, mag sie Recht haben. Die brauchte es ja auch nicht, der Zustimmung der AfD konnte sie sich sicher sein. Klar ist, durch eine Kooperation, hier dem bewussten Zusammenwirken in einer Abstimmung mit dem Ziel des Erreichens einer parlamentarischen Mehrheit, hat die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag einer extrem rechten Partei den Weg zur aktiven Mitgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse eröffnet. Der gemeinsame Applaus von CDU und AfD im Landtag nach der aus ihrer Sicht erfolgreichen Abstimmung dieses kooperative Zusammenwirken sichtbar gemacht. Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordneten und heute auf Twitter sehr rege und prononciert politische Debatten begleitende Ruprecht Polenz schrieb seiner CDU in Thüringen sehr deutlich ins Stammbuch: „Kulturkampf. Die CDU macht Front und lässt sich von der AfD unterstützen. Ein absolutes no go. Keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD bedeutet auch, keine Anträge zu stellen, die nur mit der AfD eine Mehrheit bekommen können.“[23]

Sowohl Masala als auch Polenz kritisieren nicht in erster Linie, dass Konservative und extrem Rechte in einzelnen Fragen Positionen – wie in diesem Fall – gemeinsam teilen. Sie kritisieren, dass die CDU sich zur Durchsetzung der Unterstützung durch extrem Rechte bedient und auf diese von vornherein abzielte. Ruprecht Polenz verweist aber auch darauf, dass es schon nötig sei, dass „sich die CDU beim Vorschlag eigener Alternativen, Initiativen etc von der Afd unterscheidet“[24]. Mit dem Wort ‚Kulturkampf‘ macht Polenz aber auch die Dimension der Debatte um Sprache und um das durchgesetzte Sprachverbot deutlich: Es geht um Kultur, um die Kultur des Zusammenlebens. Und hier drängen sich historische Parallelen auf, die Sorgen bereiten müssen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und das Ende der Weimarer Republik mit all den schrecklichen Folgen des Holocaust und des zweiten Weltkrieges war nur möglich, weil Demokraten sich immer weniger einig wurden, weil Konservative eine ideologische Nähe zum Rechtsextremismus glaubten zu erkennen und dies beginnend im Kampf gegen die Moderne, gegen künstlerische Avantgarde, gegen eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich fortbewege vom kulturellen Ursprung der deutschen Nation, den es zu bewahren gelte. Der angeblichen von ‚Führergilden‘ verfolgten ‚Vermischung der Völker‘ wurde der Kampf angesagt und sich dabei gestützt auf das ‚gesunde Volksempfinden der Massen‘. Der Untergang der Weimarer Republik wurde auch durch einen Kulturkampf begleitet, der Nationalsozialisten und Konservative zu Partnern machte. Nun mögen historische Vergleiche immer mit einer Vielzahl von analytischen Unschärfen und Schwächen bei der Übertragbarkeit in eine heutige Zeit verbunden sein, das macht die aus den daraus sichtbar werdenden Gefahren und erwachsenden Ängste aber nicht falsch.

Die AfD nahm die Einladung zur Mitgestaltung gerne an und die möglicherweise verfolgte Strategie, durch Übernahme von Positionen der AfD Wähler:innen an die CDU zurückzugewinnen, offenbarte unmittelbar ihre gefährlichen Schwächen, die die Thüringer Allgemeine sehr treffend mit den Worten „Gewählt wird das Original“ kommentierte. Bereits im Landtag hielt die AfD der CDU vor, noch vor wenigen Monaten einer inhaltlich gleichartigen Initiative der AfD widersprochen zu haben. Auf der in Erfurt am 12.11. stattgefundenen rechten Demonstration feierte Höcke sich, die AfD und die „Kollegen der CDU, die sich das erste Mal ein Herz gefasst und Mut bewiesen haben“[25]. Spätestens hier hätte es die CDU bei ihrer im Landtag vorgenommenen Positionierung belassen können. Doch zeitgleich forderte die CDU in einer Pressemitteilung die Landesregierung auf, nunmehr den „erfolgreichen Antrag der CDU-Fraktion“[26] schnell umzusetzen.

Dem vorausgegangen war unter anderem die Einschätzung auch der Thüringer Landesregierung, dass der Beschluss nach Inhalt und Form keine Wirkung haben wird. So dürften wie bereits beschrieben, Vorgaben und Verbote insbesondere zur mündlichen Kommunikation durch die Landesregierung an Hochschulen, Schulen, Medien, Gerichten schon selbst an Grenzen verfassungsrechtlicher Zulässigkeit stoßen. Unwirksam wird der Antrag auch deshalb bleiben, weil er an vielen Stellen den Grad notwendiger Bestimmtheit insbesondere mit Hinweis auf die Umsetzung der Empfehlung zur geschlechtergerechten Sprache durch den Rat für deutsche Rechtschreibung vermissen lässt. Auch das mit Mehrheit von der Landesregierung abverlangte Bekenntnis zur “deutschen Sprache als wesentlichen Pfeiler der Demokratie“ dürfte nicht nur an der sich aufdrängenden Parallele zum Bekenntniszwang in der DDR scheitern, sondern an der schon historisch und gegenüber andersprachigen demokratischen Staaten scheinenden Anmaßung.

Verfassung vs. Demokratie?

Aber der CDU ist ohnehin bekannt und auch bewusst, dass der Antrag selbst keine rechtliche Bindungswirkung gegenüber der Landesregierung entfalte, es sich bei dem Beschluss vielmehr um eine bloße Willensäußerung handelt. Das Parlament als gesetzgebendes Verfassungsorgan habe eben kein allgemeines Recht, der Regierung Weisungen zu erteilen. Aus der Thüringer Verfassung ergibt sich „keine rechtsverbindliche Verpflichtung der Landesregierung abgeleitet werden, schlichte Parlamentsbeschlüsse umzusetzen“. Nach Art. 48 Abs. 1 ThürVerf ist der Landtag das „oberste Organ er demokratischen Willensbildung. Diese Bestimmung der Verfassung schreibt den Grundsatz der parlamentarischen Demokratie fest. Ein allumfassender Vorrang des Landtags gegenüber anderen Verfassungsorganen folgt daraus jedoch nicht.“ Und weiter: „Diese nach der Thüringer Verfassung bestehende Rechtslage zur rechtlichen Unverbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse wird weder in der Literatur zum Thüringer Verfassungsrecht … noch durch die Rechtsprechung zum Verfassungsrecht anderer Länder der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt.“

So formulierte es der Thüringer Verfassungsgerichtshof am 02. Februar 2021 in seiner Entscheidung[27] im Organstreitverfahren der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag gegen die damalige CDU-geführte Landesregierung (VerfGH 20/09). Anlass für die Klage war, dass die Landesregierung die „Festlegungen des Landtagsbeschlusses hinsichtlich der Herabsetzung der Grenzwerte und der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in die Vereinbarung mit der K+S Kali GmbH“ nicht aufgenommen hat.

Seit dieser Entscheidung ist jedem Parlamentarier bewusst, dass es eines Gesetzes bedarf, wenn rechtlich verbindlich und verpflichtend Regelungen zur Umsetzung kommen sollen. Anstatt auf die Verfassungsgerichtshofentscheidung und das Verhältnis der Verfassungsorgane untereinander zu verweisen, attestiert der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt in der BILD-Zeitung unter der nur schwer Sachlichkeit erahnen lassenden Überschrift „Geht der Gender-Irrsinn weiter“ der Landesregierung ein „merkwürdiges Demokratieverständnis“ und unterstellt öffentlich gefällig und eingänglich der Landesregierung, dass diese „immer wieder (sic!) versucht, Entscheidungen des Parlamentes zu ignorieren“. Nun kann man politisch kritisieren, dass die Landesregierung einen von ihr nicht geteilten politischen Willen von CDU und AfD nicht umsetzt. Die CDU müsste dann aber auch einräumen, wie und mit wem der politische Wille entstanden ist und man müsste auch einräumen, dass man in Kenntnis der Rechtslage selbst ein unverbindliches Instrument aus dem parlamentarischen Werkzeugkoffer gewählt hat. Lieber erklärt man die auf der Verfassung beruhende demokratische Praxis zum „merkwürdigen Demokratieverständnis“ und bedient das demokratische System in Frage stellende Vorurteile, anstatt über dieses mit dem Ziel dessen Stärkung aufzuklären. Eine Stärkung die es gegenwärtig zur Verteidigung gegenüber den Feinden der Demokratie dringend bedarf.

Auf den antifaschistischen Konsens besinnen

Die Parteien in Thüringen sollten die Herausforderungen für die Demokratie und die demokratischen Institutionen annehmen, die entstehen, wenn mehr als 20% der Wähler:innen eine extrem rechte Partei in das Verfassungsorgan gewählt haben. Das dabei Mehrheitsfindungen im Parlament insbesondere unter den Bedingungen einer Minderheitskoalition erschwert werden, ist dabei aber nicht auf diesen hohen Stimmenanteil für die AfD ausschließlich zurückzuführen. Entscheidend dafür ist vielmehr, wie die demokratischen Parteien untereinander und mit der AfD als politischen Akteur umgehen. Wenngleich nicht allein in der Verantwortung stehend hat insbesondere die CDU-Fraktion noch einen Klärungsprozess vor sich. Die selbst zugeschriebene Rolle als konstruktive Opposition die mit der Regierungskoalition gemeinsam Gestaltungsverantwortung übernehmen will, ist noch lange nicht gefunden. Der dafür notwendigen Verbindlichkeit in Absprache- und Verhandlungsprozessen steht der nachvollziehbare Wunsch wertebasierter Erkennbarkeit als Opposition entgegen. Die Verbindung beider Ansprüche ist der CDU bislang nicht gelungen. Die Übernahme nur einer der klassischen Rollen als Oppositions- oder Regierungsfraktion oder ein ständiges Wechseln zwischen diesen Rollen wird in der spezifischen Situation in Thüringen zum politischen Scheitern führen und die CDU und damit auch das demokratische konservative Lager langfristig schwächen. Die Erkenntnis darüber, kann aber Grundlage für einen sachlichen und konstruktiv ergebnisorientierten Gestaltungsprozess mit den Regierungsfraktionen sein, die sich freilich ihrerseits in einer nach wie vor ungewohnten Rollensituation ebenso finden müssen. Grundlage gemeinsamer parlamentarischer Verantwortungswahrnahme als Regierungs- bzw. Oppositionsfraktionen kann aber nur das unbedingte Festhalten an dem nach 1945 gewachsenen antifaschistischen Konsens bieten. Für die CDU heißt das hinsichtlich des neuerlichen und diesmal erfolgreichen Versuches, die AfD zur mitgestaltenden politischen Kraft zu machen, nicht mehr, als sich auf die klare Aussage des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz zu besinnen: „Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben. Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“[28]

 


[10] Ich lade Sie gerne ein, bezogen auf meine Öffentlichkeitsarbeit und die der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag den Gegenbeweis anzutreten.
[13] ebenda
[15] ebenda
[21] ebenda