Thüringer Impressionen oder warum Duelle früher auch tödlich enden konnten

In den vergangenen Wochen wurde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob ich es richtig finde, dass Prof. Dr. Voigt als Vorsitzender der CDU Thüringen das Duell mit Herrn Höcke (AfD) im Fernsehen sucht, warum ich dabei auf Distanz bliebe bzw. nicht selbst die Konfrontation suche. Immer wieder habe ich versucht zu erläutern, dass man Herrn Höcke über seine Inhalte stellen und potentielle AfD-Wähler ermuntern muss, sich mit seinen Positionen und deren Konsequenzen für ihr eigenes Leben auseinanderzusetzen.

Außerdem: kritischer Journalismus gilt bei Herrn Höcke – wie generell bei der AfD – als genauso verächtlich wie die staatlichen Institutionen und die verantwortungstragenden Parteien in Deutschland, die nur noch unter dem Rubrum „Altpartei“ diffamiert werden. Ich finde es deshalb problematisch, genau diesem Herrn Höcke nun bei einem Sender eine Bühne zu bieten, der für ihn genauso Teil der „Systempresse“ ist, wie nahezu alle anderen Qualitätsmedien. Von dem Geschenk der Aufmerksamkeitsgenerierung, das man Herrn Höcke seitens der CDU damit übergibt gar nicht zu reden.

Für mich widersprüchlich bleibt aber auch, dass Prof. Dr. Voigt bei Abstimmungen im Landtag dann auf die Mehrheitsbeschaffung durch die AfD nicht verzichtet, wenn er weiß, dass er ein Thema nur über die AfD im Thüringer Landtag platzieren und durchsetzen kann. Es wiederholt sich im Kleinen also immer wieder der 5. Februar 2020, als die CDU meinte, mit ihren Stimmen für Herrn Kemmerich die bürgerliche Mitte zu wählen, aber die AfD gleichzeitig mit einem Scheinkandidaten ein Manöver inszenierte, das in der demokratischen Gesellschaft ein Erdbeben auslöste. Die AfD sprach danach von einer Falle, die man gebaut habe und dass man Herrn Kemmerich auf die Bühne locken wollte oder von einer Leimroute, die man ihm ausgelegt habe, damit er auf selbiger festkleben würde. Das sind die Bewertungen, die Herr Möller von der AfD den Journalisten seinerzeit gab.

Ich wundere mich bis heute, dass Herr Kemmerich zu all diesen Punkten – auch vier Jahre danach-   keinerlei Reflektion hat erkennen lassen. Dass aber die Thüringer CDU bei Wind im Wald, „Gendern“ oder der Senkung der Grunderwerbssteuer die politische Agenda ausdrücklich unter Inkaufnahme der AfD-Stimmen durchsetzt, scheint mir schon ein deutlicher Widerspruch zu der Behauptung zu sein, man wolle Herrn Höcke stellen bzw. das, was an der Normalisierung des Faschismus über Herrn Höcke und die AfD täglich zu lesen und hören ist, damit entlarven.

Thüringer Richter haben festgestellt, dass es eine zulässige Wertung sei, Herrn Höcke einen Faschisten zu nennen. Es besteht deshalb ein nicht nur kleiner Widerspruch zwischen dem selbsterklären Anspruch der CDU, Herrn Höcke und die AfD im Fernsehen entlarven zu wollen, und der parlamentarischen Praxis der gleichen CDU, ihre Ziele unter Inkaufnahme von AfD-Stimmen durchzusetzen ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, inhaltliche Schnittmengen mit den anderen Parteien im Parlament herauszuarbeiten.

Beim Thema „Gendern“ wird dies besonders deutlich. Während die Thüringer Landesregierung keinerlei Reglung getroffen hat und auch gar nicht vorhatte, irgendwas vorzuschreiben, bringt die CDU Anträge ein, die uns etwas verbieten sollen, was wir unsererseits überhaupt nicht auf den Gesetzgebungsweg und auch nicht im Verordnungsrahmen einführen wollten. Ich verstehe dieses Vorgehen einfach nicht. Ein anderes Beispiel: bei der Grunderwerbssteuer in Kombination mit der Förderung von jungen Familien hatte ich sogar ausdrücklich Herrn Voigt zwei Tage vor der Abstimmung angeboten, dass wir die Familienförderung aktiv auf der Basis der von ihm beschriebenen Eckpunkte mittragen würden. Und obwohl der SPD-Fraktionsvorsitzende noch ausdrücklich fragte, ob er denn jetzt vorhätte, mit der AfD diese Abstimmung auf den Weg zu bringen, und er in dem Gespräch keine Antwort geben konnte, stellte er schon 48 Stunden später die entsprechenden Weichen in den Ausschüssen des Landtages mit aktiver Unterstützung der AfD.

Deshalb: es klafft aus meiner Sicht eine tiefe Kluft zwischen Herrn Voigts medialer Inszenierung als „Entlarver“ der AfD und seinem praktischen Agieren Stimmen der AfD mitzunehmen, wenn es eben in sein Kalkül passt.  Hier ähnelt er übrigens Herrn Kemmerich und der Thüringer FDP, die damit ebenso wenig Probleme haben.

Dabei ist es für mich nicht der entscheidende Faktor, dass die AfD  Anträgen aller anderen Fraktionen zustimmt, sondern vielmehr, ob man seine politische Agenda nur durchsetzen kann, wenn man von Anfang an die Stimmen der AfD einkalkuliert. Es geht also nicht darum, ob oder wie die AfD im Einzelnen stimmt, sondern es geht um die Frage, ob man deren Stimmen gezielt in Kauf nimmt, um seine eigene Politik durchzusetzen. Und an diesem Punkt habe ich noch nicht einmal von der Problematik der Landtagsauflösung im Jahr 2021 gesprochen, als Herrn Prof. Voigt vier eigene Abgeordnete die Gefolgschaft versagten und so eine Landtagsauflösung ohne AfD-Stimmen verunmöglichten. Ich hatte den Willen zu einem schnellen Neustart für Thüringen nach dem Chaos, das CDU und FDP mit der AfD angerichtet hatten. Aber auch hier folgten auf Herrn Prof. Voigts große Worte keine Taten.

In anderen Phasen der letzten vier Jahre haben wir dann allerdings wiederum mit aktiver oder passiver Unterstützung der CDU Landeshaushalte beschlossen und so Thüringen arbeits- und handlungsfähig gehalten. Das Land hat viele richtige Entscheidungen mehrheitlich im Landtag erlebt und eben auch die ein oder andere politische Geisterfahrt unter Einschluss der AfD erdulden müssen. In dieser ganzen Zeit hat außerdem ein parlamentarischer Ausschuss sich mit Verfassungsänderungen beschäftigt und sollte ein Paket mit verfassungsändernden Maßnahmen schnüren, die seit langer Zeit als sinnvoll und notwendig erachtet wurden. Darunter völlig unspektakulär, eine einfache Verfassungsänderung, die sich mit der digitalen Veröffentlichung von Gesetzen und Verordnungen beschäftigt, um Prozesse zu beschleunigen Diese Analogvorschrift in der Verfassung ist seit langer Zeit überholt und ich kenne niemanden im Parlament, der noch irgendein Argument dafür aufwendet, warum diese Vorschrift in der Verfassung bleiben soll. Gleiches gilt für   auch die Erweiterung der Staatsziele um die Würdigung des Ehrenamtes, die ebenfalls völlig unstrittig ist. Jedenfalls behauptete das die große Mehrheit im Parlament immer wieder und sehr viele Vereine und Verbände haben sich dafür stark gemacht.

In einem anderen Punkt verliert sich die CDU allerdings wieder in einer Schaukelpolitik des „Kommste nicht heute, kommste morgen. Oder eben gar nicht.“ Noch vor knapp vier Jahren sprach sich der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring deutlich für die Einführung des fakultativen Referendums aus. Auch ich habe mir immer gewünscht, dass endlich ein solch klares direktdemokratisches Element in die Verfassung aufgenommen wird , bei dem die Bürger Gesetze nach einer Parlamentsentscheidung durch ein Volksverfahren überprüfen können. Meine Position war immer, dass diese nachgelagerte Bürgerbeteiligung nur dann Sinn macht, wenn vorgelagert vor Parlamentsentscheidungen Bürgerentscheide und Volksentscheide auch zur Rechtsetzung führen dürfen, wenn sie Geld kosten. Bislang ist das in Thüringen durch einen  sogenannten Haushaltsvorbehalt in der Verfassung ausgeschlossen. Leider hat die CDU beim Wechsel des Vorsitzenden das Thema plebiszitäre Elemente gleich mit beerdigt und deshalb stand das fakultative Referendum und der Haushaltsvorbehalt in der Schlussphase der Verhandlungen zur Verfassungsänderung nunmehr überhaupt nicht mehr im Raum. Erstaunlich war – und das komplettiert das Bild einer Partei, die einfach nie weiß, was sie will – dass die Vertreter der CDU schließlich erklärten, dass es jedwede Verfassungsänderungen nur gebe, wenn in der Verfassung die Abstimmung der Ministerpräsidentenwahl im dritten Wahlgang geändert werde. Das war eine verblüffende Verbindung, denn bislang waren Digitalveröffentlichung oder Ehrenamt –also zwei wirklich sinnvolle Themen – von wirklich niemandem mit der Wahl des Ministerpräsidenten verbunden worden. Warum auch? Hier reden wir von völlig unterschiedlichen Dingen, die die CDU nunmehr aus ziemlich durchsichtigen politischen Gründen zusammenbinden will. Man hat ein Junktim aufgestellt und damit alle anderen Verfassungsänderungen in Geiselhaft zum dritten Wahlgang des Ministerpräsidenten genommen. Juristisch kann man den dritten Wahlgang betrachten wie man will, da es in der Tat in der juristischen Fachwelt sowohl tragfähige Argumente für die eine wie die andere Interpretation gibt.

Klar ist, dass das, was wir in der Verfassung stehen haben, auch in der Verfassung von Schleswig-Holstein steht und dort ist der Fall, der heute immer wieder in Thüringen konstruiert wird, einmal in den Fünfzigerjahren eingetreten. Der Ministerpräsident bekam dort bei einer Abstimmung zu seiner Wahl mehr Nein- als Ja-Stimmen und war trotzdem gewählt. Die Frage nach Mehrstimmenprinzip oder Meiststimmenprinzip mag für Laien Haarspalterei sein, aber in diesem Fall bei der Wahl von Friedrich Wilhelm Lübke am 25. Juni 1951 war sie durchaus relevant. Die verfassungsrechtliche Beurteilung war eindeutig und die Wahl war gültig.

Natürlich ist es für Außenstehende schwer zu verstehen, warum man mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt sein soll und oft wird von der CDU behauptet, dass ja selbst im Kaninchenzüchterverein eine solche Wahl zu einem Vorsitzenden nie zustande kommen könnte. Ein Kaninchenzüchterverein oder Brieftaubenverein, der sich nach Vereinsrecht organisiert, hat aber keinen Gesetzgebungsauftrag und eine Landesregierung ist nicht eine ehrenamtliche Vereinstätigkeit, sondern eine verfassungsrechtlich normierte Aufgabenstellung. Das sollte die CDU aus jahrzehntelanger Regierungstätigkeit eigentlich wissen.

Nur ein kleiner historischer Exkurs noch zu diesem Thema: 2009 stand Christine Lieberknecht vor der selben Problematik. CDU und SPD hatten eine eigene Mehrheit und trotzdem war Christine Lieberknecht im ersten und zweiten Wahlgang nicht gewählt worden. Im dritten Wahlgang bin ich angetreten und habe damit diese Frage praktisch gelöst. Man kann nämlich die Diskussion um den dritten Wahlgang gelinde gesagt politisch missbrauchen, wenn man immer wieder darüber lamentiert, ohne die eigentliche Frage zu beantworten.

Wenn Herr Voigt nun ein Duell mit Herrn Höcke im Fernsehen sucht: Wieso eigentlich schließt seine CDU heute schon die Kandidatur von Herrn Voigt im dritten Wahlgang gegen Herrn Höcke nach der Landtagswahl am 1. September aus? Hier wird es doch erst spannend, denn die Argumentation der CDU, man müsse den dritten Wahlgang klären und alle anderen verfassungsrechtlichen Fragen hintanstellen, bis der dritte Wahlgang geklärt ist, funktioniert doch nur dann, wenn die CDU keinen Kandidaten aufstellt. Seit 2009 habe ich jeweils bei allen Wahlen zum Ministerpräsidenten im dritten Wahlgang zur Wahl gestanden. Auch am 5. Februar stand ich auf dem Abstimmungsschein der Abgeordneten. Das heißt, die lautstarke Diskussion der CDU über einen dritten Wahlgang spielt faktisch in Thüringen überhaupt keine Rolle und hat in den letzten Jahren auch keine Rolle gespielt. 2009 habe ich die Frage praktisch und staatspolitisch verantwortungsbewusst geklärt und meinen Namen mit eingebracht, damit diese Diskussion sich erst gar nicht ergibt. Danach fing die CDU an, über mich zu debattieren und hat seitdem keinen Kandidaten im dritten Wahlgang gestellt. Hätte die CDU am 5. Februar 2020 neben Herrn Kemmerich, neben dem Scheinkandidaten der AfD und mir auch Herrn Mohring oder einen anderen CDU-Kandidaten aufgestellt und ihm das Vertrauen geschenkt, wäre Thüringen viel erspart geblieben. Auch hier wieder: Herr Prof. Voigt schaukelt hin und her, aber wo er am Ende zum Ruhen kommt, weiß keiner – schon gar nicht der Wähler.

Deshalb zum Schluss: Politik besteht auch aus Kommunikation und medialer Öffentlichkeit. Aber Herr Prof. Voigt muss sich entscheiden: will er politische Verantwortung für unser schönes Bundesland übernehmen oder will er Showpolitik betreiben? Von letzterem hatten wir meiner Meinung nach im Jahr 2020 genug. Ich jedenfalls kämpfe auch weiterhin für konkrete Politik, die das  Leben für unsere Bürger einfach besser macht.

Dafür braucht es keine Duelle, sondern Redlichkeit. Die hat die AfD am 05.02.2020 gründlich verspielt. Mitgespielt haben bei diesem Trauerspiel die Herren Kemmerich und Prof. Voigt.