Wer Versöhnung will, braucht Klarheit im Gedenken…
Die Einwohnerinnen und Einwohner von Hildburghausen werden in diesen Tagen mit einer ganz besonderen Anzeige im Amtsblatt der Stadt Hildburghausen „überrascht“. In Erinnerung an die 218 Opfer des Bombenangriffs der 8. US-Luftflotte ließ der Oberbürgermeister der Stadt, Holger Obst (CDU), eine Original-Gedenkanzeige vom 2. März 1945 nachdrucken. Daneben Bilder der damaligen „Gedenkveranstaltung“ der nationalsozialistischen Stadtverwaltung. Was für eine Geschmacklosigkeit und vor allem was für eine unhistorische Einordnung des Nationalsozialismus.
Nicht die Alliierten haben Krieg und Vertreibung begonnen. Krieg, Bombenterror und industrieller Massenmord gingen von Deutschland aus und haben Millionenfachen Tod über die ganze Welt gebracht. Bei jedem Volkstrauertag wird deshalb allen getöteten Menschen gedacht und damit immer ein Zeichen der Versöhnung gesetzt. Am Holocaust-Gedenktag wird den ermordeten Menschen in allen Vernichtungslagern gedacht. Beides sind die die Ausgangspunkte für die Übernahme von Verantwortung und die Voraussetzung dafür, Versöhnung zu ermöglichen.
Der Bürgermeister Obst von Hildburghausen muss dringend erklären, warum er zu diesen Ursachen schweigt. Die Originalanzeige aus der NS Zeit und der damit verbundene Hinweis auf die „Worte des Führers“ sind einfach unerträglich. In jedem Heimatmuseum würde man die notwendigen Erläuterungen erwarten, um keinerlei falsche Schlüsse zuzulassen. So schließt diese Anzeige aber leider nahtlos an dem Opfermythos an, den Alt- und Neonazis in Dresden aber auch auf Rechtsrockkonzerten, nicht nur in Themar, zelebrieren. Aber auch der Satz von der geschichtspolitischen Wende von Herrn Höcke ist hier angesiedelt. In einer Region, in der viele Menschen sich gegen Nazis, gegen Rechtsrockkonzerte engagieren und immer wieder Zeichen des friedlichen Protests setzen, ist eine solche Anzeige inakzeptabel. Eine solche Geschichtslosigkeit dürfen wir nicht hinnehmen und schon gar nicht unwidersprochen lassen, sonst werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht, weder den Ermordeten noch den Gefallenen oder den Opfern unter der Zivilbevölkerung.
Hier erwarte ich eine Klarstellung von Herrn Bürgermeister Obst aber auch eine deutliche Distanzierung des Thüringer CDU Vorsitzenden.
Wie Umgang mit Geschichte funktionieren kann, lässt sich beispielhaft in Coventry erleben. Das Nagelkreuz von Coventry (https://de.wikipedia.org/wiki/Nagelkreuz_von_Coventry) steht für den christlichen Weg der Versöhnung und setzt ein starkes Zeichen, dass wir alle gemeinsam daran arbeiten müssen, die Wiederholung des nationalsozialistischen Schreckens nie wieder zuzulassen. Ausgehend von Coventry verbindet das Nagelkreuz alle Gemeinden zum gemeinsamen Gedenken und erst darüber entsteht die Chance auf Versöhnung. Das Nagelkreuz von Coventry baut Brücken und überwindet Täter und Opfer um zu einem gemeinsamen Gedenken zu kommen.
Wenn Bürgermeister Obst nach Stunden des Schweigens dann einräumt, da sei wohl was schiefgegangen und man habe das historische Dokument nicht richtig erklärt, man wolle in Zukunft besser aufpassen, dann ist das keine Erklärung dieser Gedankenlosigkeit. Immerhin lädt er daneben zu einem Gedenken ein, aber will er die damalige Propagandaveranstaltung etwa fortsetzen? Das Bild und den Text habe weder er noch sonst wer richtig erkannt? Das kann und will ich nicht glauben. Die jetzige Erklärung erklärt die Ungeheuerlichkeit nicht. Wer sich damit auseinandersetzen will, der sollte sich mit dem Nagelkreuz von Coventry intensiv auseinandersetzen. Schade das Herr Obst beim Volkstrauertag in Schmalkalden nicht anwesend war, denn dann hätte er seinem CDU Kollegen Krapp zuhören können, der seit Jahren beim Gedenken immer die richtigen Akzente setzt. Oder bei seinem Nachbarbürgermeister Tomas Kaminski, den er gerne beim Gedenken vor der zerstörten Synagoge zum 9.November jedes Jahr erleben kann. Erinnerungskultur mit den Bürgerinnen und Bürgern zusammen und immer mit Überlebenden oder der Angehörigen aus der ganzen Welt. Wenn Herr Obst wirklich den Opfern gedenken möchte gibt es da noch ein paar mehr, auch in Hildburghausen! http://www.alemannia-judaica.de/hildburghausen_synagoge.htm
Falls er das übersehen haben sollte: Diese Menschen fehlen jedenfalls alle schon auf dem Bild mit den NS Uniformen. Und es gibt weitere Opfer, denen in Hildburghausen zu gedenk wäre. Etwa der Ermordeten und Zwangssterilisierten der Landesheilanstalt Hildburghausen, die in der Zeit des Nationalsozialismus Opfer des Euthanasie-Programmes wurden, oder die zahlreichen Menschen aus Osteuropa, die in der Gegend Zwangsarbeit leisten mussten. Kann man all die in Hildburghausen in der NS-Zeit umgebrachten Menschen einfach vergessen? Kann man Bilder vom Gedenken in der NS-Zeit einfach abbilden und kein Wort darüber verlieren, wer zu diesem Zeitpunkt vertrieben, geschändet, sterilisiert, in Lager verbracht, zu Zwangsarbeit genötigt oder einfach schon umgebracht war. Sind diese Opfer weniger wert? Die fehlenden Juden oder die in Lager oder Euthanasie verbrachten Menschen in der Landesheilanstalt? Dazu kein Wort des Bürgermeisters… Nun bleibt allein das Gedenken an die Opfer der Bombenangriffe, unreflektiert und durch die Brille der Nazis, der Mörder. Das aber zerstört die Brücken der Versöhnung. Und selbst die Einladung zum Gedenken, die der Bürgermeister Obst versendet, offenbart seine Ahnungslosigkeit, seine Naivität oder sein Unwissen. Ich kann ihm nur empfehlen, sich an dieser Stelle dringend forztzubilden. Es gibt ein gutes Buch, das auch elektronisch zu lesen ist „Hildburghausen unterm Hakenkreuz“ http://www.schildburghausen.de/chronik/1933-1945/
Versöhnen bedeutet Klarheit, sonst muss es als Verhöhnen wahrgenommen werden. Gerade in Nachbarschaft zu dem Gasthaus von Tommy Frenk und den Rechtsrockkonzerten in Themar ist das mehr als notwendig. Die Menschen vor Ort erwarten Klarheit und kein Verschwurbeln.