Verantwortung für unser Land übernehmen

Am Mittwoch, dem 4. März 2020 werde ich mich erneut der Wahl zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen im Landtag stellen.

Es ist vorher aber sicher nützlich, sich die Ereignisse vom 5. Februar 2020 und danach vor das geistige Auge zu rufen. Am 5. Februar standen im Landtag in den ersten beiden Wahlgängen zwei Kandidaten zur Wahl: ich als gemeinsamer Kandidat von LINKEN, SPD und Bündnis 90 / Die Grünen und Christoph Kindervater als parteiloser Kandidat, vorgeschlagen von der AfD. Im ersten Wahlgang erhielt ich 43 Stimmen und Herr Kindervater 25 Stimmen (drei Stimmen mehr, als die AfD-Fraktion Mitglieder hat), 22 Abgeordnete enthielten sich. Im zweiten Wahlgang bekam ich 44 Stimmen und Herr Kindervater 22 Stimmen und 24 Abgeordnete enthielten sich. Im dritten Wahlgang stellte die FDP-Fraktion Thomas L. Kemmerich als Kandidaten auf. Das Ergebnis ist bekannt. Herr Kemmerich erhielt 45 Stimmen, ich 44 Stimmen, Herr Kindervater keine Stimme und ein Abgeordneter enthielt sich. Damit war Herr Kemmerich als Ministerpräsident gewählt-

Herr Möller von der AfD erklärte nach der Wahl, dass CDU und FDP damit in die Falle der AfD getreten seien und die auslegte Leimrute ihre Wirkung entfaltet habe. Was das über die Aufrichtigkeit, die Geradlinigkeit und die Transparenz einer solchen Kandidatur sagt, das steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die AfD hat das Parlament offenkundig missbraucht und das auch noch offen zugegeben.

Aber: Herr Kemmerich hat diese Wahl angenommen. Erst Tage später reifte in ihm die Erkenntnis, dass es offenbar keine gute Idee war, eine Wahl anzunehmen, die er allein der AfD zu verdanken hat. Das und der starke öffentliche Druck zwangen ihn zum Rücktritt. Damit ist er seit dem 8. Februar aber nur noch geschäftsführend im Amt und da er keine Ministerinnen und Minister ernannt hat, ist er faktisch die Regierung und die Arbeit wird durch die weiter im Amte befindlichen Staatssekretärinnen und Staatssekretäre von LINKEN, SPD und Bündnis 90 / Die Grünen erledigt. Herr Kemmerich selbst hat ja die gute Arbeit der Verwaltung und der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre mehrfach hervorgehoben.

Mit seiner Rücktrittserklärung verband Herr Kemmerich ja die Ankündigung, dass seine Fraktion einen Antrag auf Auflösung des Landtags stellen wolle, auch, wenn dafür die fünf Abgeordneten der FDP nicht reichen, da es mindestens 30 Abgeordnete unter einen solchen Antrag braucht. Wäre Herr Kemmerich zu mir gekommen und hätte mich gefragt, ich hätte seinen Antrag gern unterschrieben und unterstützt.

Inzwischen ist die FDP aber von diesem Plan abgerückt. Stattdessen erklärt sie, dass die FDP mich keinesfalls wählen werde, ohne irgendeinen Vorschlag anzubieten, wie wir zu stabilen Verhältnissen kommen können. Nur um es noch mal deutlich zu machen: Es liegt in der Verantwortung der FDP, dass wir im Moment keine handlungsfähige Regierung haben, wie sich neulich an den leeren Bänken im Bundesrat betrachten ließ.

Wer aber wie die FDP weder einen Kandidaten unterstützt, noch einen eigenen aufstellt und auch keine Neuwahlen will, der lässt zu, dass es erneut die AfD ist, die die Spielregeln bestimmt. Ich kann, offen gesagt, nicht verstehen, was die Abgeordneten der FDP zu einem solchen Handeln bewegt. Erst das Land ins Chaos stürzen und dann an der Seite stehen und abwarten. Damit geht die böse Saat der AfD am Ende auf. Ob das im Interesse der FDP liegen kann, das bezweifle ich doch sehr.

Aber auch in der CDU vollziehen sich seit dem 5. Februar interessante Entwicklungen. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende, Mike Mohring, ändert seine Meinung inzwischen fast stündlich. Ich komme gar nicht mehr mit. Nur konkrete Vorschläge, wie es weitergeht, die sind dabei nicht zu vernehmen. Mal will er stabile Verhältnisse organisieren, dann erklärt er, dass Neuwahlen nicht nötig sein aber in keinem Fall dürfe Ramelow mit Stimmen der CDU-Fraktion aktiv gewählt werden. Er hat aber auch keinen Vorschlag gemacht, wie er stabile Verhältnisse erreichen will und vor allem, mit welcher Person, um Neuwahlen zu vermeiden.

Und noch spannender ist zu beobachten, mit welchen intimen Kenntnissen der Lage in Thüringen sich die drei Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet hervortun. Was wird da alles erzählt aber auch die drei verbindet nur eins: Ramelow darf durch die CDU am 4. März nicht gewählt werden.

Und besonders absurd ist die Erklärung von Herrn Merz, dass es meinem arroganten und anmaßenden Verhalten zu verdanken sei, dass Thüringen ohne Regierung dasteht. Ich hätte gar nicht antreten dürfen, so seine steile These. Er sollte Herrn Mohring fragen, was der dazu meint. Der hat mir nämlich im Wahlkampf vorgeworfen, dass es mein Plan sei, einfach geschäftsführend im Amt zu bleiben und mich keiner Wahl zu stellen. Und vor allem übersieht er, welche Verantwortung die CDU an dem entstandenen Desaster trägt.

Ich erlaube mir den Hinweis, dass die CDU mindestens zweimal die Chance gehabt hätte, der Trickserei der AfD aus dem Weg zu gehen.

Ich erinnere an den Bundestagsabgeordneten Albert Weiler, der über die „BILD“ seine Bereitschaft zur Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten erklärt hatte. Dieses Angebot wurde von der Thüringer CDU ausgeschlagen.

Und ich selbst hatte vorgeschlagen Frau Lieberknecht für den Übergang bis zu raschen Neuwahlen als Ministerpräsidentin zu wählen. Das wäre auch kein Verstoß gegen Parteitagsbeschlüsse der CDU gewesen. Mit der ihrer Wahl hätten wir eine technische Regierung bilden können, dem der Chef der Staatskanzlei, die Finanzministerin und der Justizminister angehört hätten, um Neuwahlen so vorzubereiten, dass uns kein juristischer Ungemach droht, etwa durch den Rechtsstreit um das Paritätsgesetz. Auch dieser Vorschlag wurde von der CDU abgelehnt.

All das ist den Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz offenbar entgangen. Es gab also Vorschläge für die aber die Unterstützung der CDU notwendig gewesen ist.

Inzwischen gab es Verhandlungen mit Mitgliedern der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, u.a. dem neuen Fraktionsvorsitzenden, Prof. Mario Voigt, um zu erreichen, dass das Land wieder voll handlungsfähig wird, der Haushalt für 2021 beschlossen wird und dann Neuwahlen im April 2021 herbeizuführen. Ich will ausdrücklich den Kollegen der CDU danken, dass sie sich konstruktiv in diese Gespräche eingebracht haben.

Leicht war das nicht, denn so wenig konkrete Lösungsvorschläge aus der Bundesrepublik auch kamen, so lauter wurde das Getöse, dass die CDU niemals Ramelow wählen dürfe. Das ist schon eine skurrile Situation, denn sie führt dazu, dass das Land handlungsunfähig bleibt. Wer weder den Landtag auflösen will, noch konstruktive Vorschläge zur Bildung einer Landesregierung macht, den kann ich in dieser Debatte nicht ernst nehmen.

Ich darf darauf hinweisen, dass wir diese Woche eine Plenarsitzung des Landtags haben. Die Landesregierung besteht im Moment aus einer Person und diese Person ist eben nicht so ohne weiteres durch Staatssekretärinnen und Staatssekretäre im Plenum vertreten. Konkret heißt das, dass Herr Kemmerich viel Sitzfleisch bräuchte, damit die FDP nicht nach der Landesregierung auch noch den Landtag handlungsunfähig macht.

Aber ich bin sehr optimistisch, dass die Vereinbarung für die Wiederherstellung stabiler Verhältnisse im Land zwischen LINKEN, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Abgeordneten der CDU ihr Wirksamkeit ab Mittwoch entfalten kann. Meine Hoffnung ist, dass alle Abgeordneten von LINKEN, CDU, SPD, FDP und Bündnis 90 / Die Grünen ihre staatspolitische Verantwortung und die damit verbundene Tragweite ihrer ganz persönlichen Wahlentscheidung sehen. Dann ist mir nicht bange.

Auch dann nicht, wenn Herr Höcke heute seine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten erklärt, denn das macht nur noch deutlicher, worum es am Mittwoch geht und wer zur Wahl steht und vor allem mit welchem inhaltlichen Angebot. Mir geht es darum, das Land wieder stabil und verlässlich zu regieren, den Haushalt für 2021 zu verabschieden und Neuwahlen im April 2021 zu ermöglichen. Das Parlament ist eben keine Spielwiese, auf der man beliebig Fallen aufstellen oder Leimruten auslegen kann. Das Parlament muss wieder Zentrum der politischen Debatte und Entscheidung werden und dazu braucht es auch eine handlungsfähige Regierung.