Es geht ums Land!

Am Wochenende haben LINKE, SPD und Bündnis 90 / Die Grünen auf ihren Landesparteitagen bzw. ihrer Landesbasiskonferenz über den verhandelten Koalitionsvertrag „Gemeinsam neue Wege gehen. Thüringen demokratisch, sozial und ökologisch gestalten.“ intensiv diskutiert. Die Delegierten der SPD und der Grünen haben bereits mit großer Mehrheit beschlossen, den Weg einer Minderheitsregierung für Thüringen zu gehen und ich habe keine Zweifel, dass auch meine Partei, DIE LINKE, dem ausgehandelten Vertrag zustimmen wird.

Und ja: Die drei Parteien haben sich entschieden, in Thüringen erneut neue Wege zu gehen. Zum ersten Mal in unserem Bundesland soll nun der Versuch einer Minderheitsregierung unternommen werden. In Deutschland ist das ein durchaus ungewöhnlicher Weg, denn üblich sind eigentlich nur Koalitionsregierungen, die über eine Mehrheit im Parlament verfügen. Aber schon ein Blick in unser Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt zeigt, dass ein solches Modell nicht dazu führen muss, dass ein Bundesland in die politische Instabilität abrutscht, wie es einige Panikmacher prognostizieren. Von 1994 bis 2002 regierte Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) zunächst bis 1998 mit SPD und Grünen und dann bis 2002 allein mit der SPD in einer Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurde. Das Magdeburger Modell war entstanden.

Der entscheidende Unterschied zu Thüringen ist, dass die PDS von Beginn an staatspolitische Verantwortung bewiesen hat und bereit war, die Landesregierung zu tolerieren.

Ich muss das Ergebnis der Landtagswahl vom 27. Oktober 2019 hier nicht wiederholen. Meine Partei hat einen klaren Sieg errungen. Mit 31,0% haben so viele Thüringerinnen und Thüringer meine Partei gewählt, wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Überhaupt ist das bundesweit das beste Wahlergebnis meiner Partei. Ich habe das als klaren Auftrag der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes an meine Partei verstanden, die künftige Landesregierung zu bilden und entsprechende Gespräche zu führen.

Von Beginn an war dabei klar, dass rot-rot-grün keine eigene Mehrheit mehr im Landtag hat. 42 Abgeordnete gehören den Fraktionen von LINKEN, SPD und GRÜNEN an. Damit fehlen vier Stimmen zur absoluten Mehrheit. Aber auch die sogenannte Simbabwe-Koalition aus CDU, SPD, GRÜNEN und FDP hätte keine Mehrheit. Sie würde nur über 39 Sitze verfügen. Auch deshalb haben die Landesvorsitzende meiner Partei und auch ich schon am Wahlabend deutlich formuliert, dass es zwischen den demokratischen Parteien im Landtag nun Gespräche braucht, um gemeinsam Lösungen zu finden. Ich darf daran erinnern, dass sowohl CDU als auch FDP zunächst jedes Gespräch mit meiner Partei rigoros abgelehnt haben. Die von meiner Partei deutlich und ohne Vorbedingungen ausgesprochenen Einladungen wurden schlicht zurückgewiesen.

Die bisherigen Regierungsparteien haben deswegen zunächst verhandelt, welche Themen sie in den nächsten fünf Jahren angehen wollen. Das Ergebnis liegt nun vor. Die FDP kritisiert schon, dass die Vorhaben nicht konkret genug seien. Ich verrate den Liberalen gern ein Geheimnis: Das genau war unsere Absicht, denn uns ist bewusst, dass wir für alle Vorhaben die Unterstützung aus den Reihen von FDP und CDU brauchen und da macht es nun wahrlich deutlich mehr Sinn, allgemeine Leitziele zu beschreiben und darüber in Gespräche einzutreten. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass in einigen Köpfen der Kalte Krieg noch immer nicht überwunden wurde. Nachdem auch die Gespräche zwischen SPD und Grünen auf der einen und CDU und FDP auf der anderen Seite keinen Erfolg hatten, war der Eintritt in Koalitionsverhandlungen zwischen den bisherigen Regierungspartnern aus meiner Sicht die logische Konsequenz.

In den letzten Wochen gab es nun doch Bewegung. Alt-Bundespräsident Gauck, der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus und andere warben intensiv dafür, jedenfalls die Debatte zu beginnen, was zwischen LINKEN und CDU bzw. zwischen der CDU und einer Minderheitsregierung gemeinsam machbar wäre. Das setzt Gesprächs- und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten voraus. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit unter Demokratinnen und Demokraten. Ich habe r2g nie als „ideologische“ Konstruktion verstanden. Für mich war diese Koalition in Thüringen die logische Folge, da die drei Parteien inhaltlich in vielen Themenbereichen gleiche oder ähnliche Ziele haben. Und ich bleibe dabei, dass es richtig und wichtig ist, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den Vorstellungen der Parteien herauszuarbeiten und deutlich zu machen. Aber ich neige nicht dazu, diese Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu überhöhen, denn zwischen LINKEN, CDU, SPD, Grünen und FDP sehe ich einen Grundkonsens im Hinblick auf die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft und auch in Bezug auf die besondere Verantwortung für unsere Geschichte.

Die Koalitionsparteien haben sich dazu bekannt, den Dialog mit dem ganzen Parlament zu suchen:

„Die Notwendigkeit im Parlament Mehrheiten zu suchen, sehen wir als eine Chance für die Thüringer Politik. In Regierungs- oder Oppositionsverantwortung muss die Politik besser zuhören, an der Sache orientierte Kompromisse finden und den Blick auch auf Ungewohntes richten. Die Regierungsarbeit wird dadurch herausfordernder. In unserem Freistaat ist demokratische Opposition künftig mit mehr Gestaltungsmöglichkeit verbunden. Das ist eine Chance, die mit staatspolitischer Verantwortung einhergeht. Als Minderheitskoalition, die das Land gestalten will, sind wir für den politischen und demokratischen Dialog offen. Diese Erwartung richten die Thüringerinnen und Thüringer nicht nur an uns Koalitionsparteien, sondern an alle demokratischen Parteien in unserem Freistaat.“

Die CDU-Landtagsfraktion hat nun auf ihrer Klausurtagung 22 Projekte beschlossen, die sie in den Landtag einbringen und debattieren will. Bis auf einen Punkt, der inzwischen durch die Koalitionsverhandlungen und die Ressortzuschnitte entschieden ist, nämlich die Forderung nach einem Heimatministerium, sehe ich kein Thema, über das wir nicht miteinander reden und verhandeln können. Und ich bin sicher, das gilt auch für die FDP.

Die Minderheitsregierung eröffnet CDU und FDP ganz neue Räume und Möglichkeiten, eigene politische Vorstellungen in den Landtag einzubringen und umzusetzen. Das wird über Debatten und Entscheidungen im Plenum und den Landtagsausschüssen geschehen, setzt aber aus meiner Sicht eine Verlässlichkeit im Umgang miteinander voraus. Was meine ich damit? CDU und FDP werden die Frage beantworten müssen, wie sie es mit der AfD halten.

Die AfD hat weder ihr Verhältnis zum Grundgesetz und noch weniger zur Verantwortung Deutschlands für Faschismus, Weltkrieg und Holocaust geklärt. Da wird von 180 – Grad – Wende und Vogelschiss gesprochen, immer wieder gibt es massive Ausfälle gegen die sog. Altparteien, Lügenpresse und Repräsentanten dieses Landes. Ich habe als Landtagsabgeordneter die Mitglieder der AfD-Fraktion vor einigen Tagen angeschrieben und sie gefragt, wie sie zu den Ausfällen von AfD-Mitgliedern und -Abgeordneten mir gegenüber stehen.

Wenn wir am Montag den 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz feiern, wenn wir im April der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald gedenken, wenn wir am 8. Mai 2020 den 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus begehen, dann ist für mich auch entscheidend, ob die AfD in Thüringen glaubhaft Position bezieht und ihr Verhältnis zu Rechtsextremen und Neofaschisten ein für allemal klärt. Natürlich sind auch die Abgeordneten der AfD im Ergebnis einer demokratischen Wahl ins Parlament gekommen aber längst nicht alle so Gewählten sind auch wirklich demokratisch gesinnt. Jemanden in eine parlamentarische Funktion zu wählen, der mich als Ratte bezeichnet hat, das werde ich mir jedenfalls nicht zumuten.

Ich erwähne das auch deshalb, weil sich vor wenigen Tagen ein Ereignis zum 90. Jahrestag jährte, das in besonderer Weise mit der Geschichte Thüringens verbunden ist. Am 23. Januar 1930 wurde zum ersten Mal eine Landesregierung unter Beteiligung der NSDAP gebildet. Ausgerechnet in Thüringen, dem Geburtsort der Weimarer Republik, wurde deren Ende eingeläutet, damals unter aktivem Mittun bürgerlicher Parteien. Die Geschichte mahnt uns also auch in dieser Hinsicht.

Bevor wir im Landtag über die verschiedenen inhaltliche Angebote sprechen, bevor wir den Diskurs und Streit um die besten Lösungen für das Land beginnen, braucht es aber eine handlungsfähige und vom Parlament legitimierte Regierung. Das verbindet sich mit der Wahl des Ministerpräsidenten.

Die Thüringer Verfassungsmütter und -väter haben dabei durchaus auch an unklare politische Verhältnisse gedacht, als sie den Verfassungstext formulierten. Ihr Wunsch war klar: eine regierungslose Zeit sollte es nicht geben und auch keine endlose Ministerpräsidentenwahl. Deswegen gibt es, anders, als in anderen Landesverfassungen, keine Frist für die Regierungsbildung und auch eine Regelung in der Landesverfassung, den Art. 77 Abs. 3, die sichert, dass immer ein Ministerpräsident gewählt ist:

„Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in gehei­mer Abstimmung gewählt. Erhält im ersten Wahlgang niemand diese Mehrheit, so findet ein neuer Wahlgang statt. Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahl­gang die meisten Stimmen erhält.“

Bezüglich der Auslegung dieser Verfassungsnorm schienen bis 2014 alle einig zu sein. 2009 kandidierte Christine Lieberknecht für das Amt der Ministerpräsidentin. CDU und SPD hatten gemeinsam 48 Stimmen, doch in den ersten beiden Wahlgängen erhielt sie nur 44 Stimmen. Die Landtagsverwaltung hatte vorher als Interpretation der Verfassung empfohlen, dass sie im dritten Wahlgang auch bei mehr NEIN- als JA-Stimmen gewählt ist. Um die Lage zu klären, entschloss ich mich damals zu kandidieren und Christine Lieberknecht erhielt im dritten Wahlgang 55 Stimmen. Für mich damals auch eine Frage, staatspolitische Verantwortung wahrzunehmen.

2014, als ich erneut kandidierte, diesmal als Kandidat von LINKEN, SPD und Grünen, änderte die Landtagsverwaltung, für mich sehr überraschend, ihre Auffassung. Nun sollte nicht mehr das Meist-Stimmenprinzip gelten. Das sogenannte Zeh-Gutachten sagte das aus. Prof. Morlok dagegen bestätigte die Auffassung, das gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält, egal, wieviel Nein-Stimmen es gibt. Am Ende war die Debatte irrelevant. Im zweiten Wahlgang wurde ich mit der nötigen Stimmenzahl gewählt.

Seit 2014 nun streiten wir über die Auslegung der Verfassung. Interessanterweise erst seit dem Moment, als kein CDU-Mitglied mehr als Ministerpräsident kandidiert. Da schert es nicht, dass etwa einer der Verfassungsväter, Dr. Andreas Kniepert (FDP) eben diese Auffassung auch vertritt:

„Nach dem Text der Verfassung gibt es keine Nein-Stimmen. Es müssten sich alle anderen Abgeordneten enthalten und das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn der Landtagspräsident die Verfassung weiterhin anders interpretiert, riskiert er nur, dass die Wahl des Ministerpräsidenten am Ende vor dem Verfassungsgericht landet. Damit wäre Thüringen dann auf Monate ein Platz in der „heute-Show“ sicher.“

Auch der Verwaltungsrechtler Joachim Wieland vertritt im „Spiegel“ diese Haltung.

Aber die CDU ficht all das nicht an. Mike Mohring meint, jeder Vereinsvorsitzende bräuchte eine Mehrheit. Das klingt verständlich, aber wir können auch einfach in die Geschichte schauen. Am 25. Juni 1951 wählte der Landtag von Schleswig-Holstein Friedrich Wilhelm Lübke zum Ministerpräsidenten. Er erhielt damals vor 69 Jahren im dritten Wahlgang 28 Ja-Stimmen und 37 Nein-Stimmen und regierte, ohne, dass irgendjemand seine Legitimität in Frage stellte.

Nun plant die CDU einen neuen Schachzug. Ein Antrag soll den Justiz- und Verfassungsausschuss beauftragen zu entscheiden, wie Art. 77 Abs. 3 der Landesverfassung auszulegen sei. Und diese Entscheidung soll dann die Präsidentin daran binden. Auch das ein einzigartiger Vorgang.

Es ist vollkommen legitim, unterschiedliche Ansichten zur Auslegung einer Norm zu haben, es ist auch legitim, diese politisch zu debattieren oder sich darüber zu streiten. Die juristische Entscheidung aber, wie die Verfassung in Streitfällen letztendlich auszulegen ist, obliegt nach Art. 80 der Landesverfassung dem Thüringer Verfassungsgerichtshof. Er ist ein unabhängiges und eigenständiges Verfassungsorgan neben Landtag und Landesregierung.

Zu recht sind wir stolz auf die Balance der Gewaltenteilung in Deutschland zwischen Legislative, Exekutive und Judikative und mit Sorge blicken wir etwa immer wieder nach Polen oder Ungarn, wo diese Gewaltenteilung zunehmend ausgehöhlt wird. Wollen wir wirklich, das künftig mit Mehrheit im Landtag beschlossen wird, wie die Verfassung zu interpretieren ist?

Ich bin von meiner Partei im Frühjahr 2019 als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert worden. Wir kennen die Direktwahl des Ministerpräsidenten nicht, er wird durch den Landtag gewählt. Umfragen zufolge will eine Mehrheit, dass ich Ministerpräsident bleibe und noch mehr Menschen sind der Auffassung, dass ich eine gute Arbeit mache.

Mike Mohring stand ebenfalls als Ministerpräsidentenkandidat zur Wahl, bei Björn Höcke weiß man nicht so genau, was er will… Wie dem auch sei: Die CDU ist der klare Verlierer der Landtagswahl aber wenn Mike Mohring meint, er könnte trotzdem Ministerpräsident werden, dann hätte er eine einfache Möglichkeit, das herauszufinden. Er könnte bei der Wahl kandidieren und damit die Verhältnisse klären.

Aber nun kommt die sogenannte „Werteunion“ um die Ecke und will einen Kandidaten aus dem Hut ziehen. Was ist das aber für ein Demokratieverständnis der verdutzen Bevölkerung in Thüringen nun einen Kandidaten zu präsentieren der sich in Thüringen keiner Wahlauseinandersetzung gestellt hat, aber bei dessen Wahl im Parlament es keine Rolle spielen würde, wer letztlich diese Person wählen würde. So ein Grundverständnis lässt mir das Blut in den Adern gefrieren und zerstört letztlich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Sinn demokratischer Wahlen. Das ist nicht konservativ, so etwas ist schlimmste Machtpolitik, ohne jede ethische Rückbindung. 

Ich bin nicht von dem Modell überzeugt, dass es am Ende Kandidatinnen und Kandidaten gibt, die sich den Bürgerinnen und Bürgern bei der Landtagswahl am 27. Oktober überhaupt nicht zur Wahl gestellt haben.

Insofern sollte die CDU den Weg für die Bildung der neuen Landesregierung nun endlich frei machen oder Mike Mohring sollte zur Wahl antreten. Auch die CDU muss sich ihrer staatspolitischen Verantwortung endlich stellen, es geht nicht um uns, es geht um unser Land und die Menschen die hier leben. Deswegen sind wir gewählt und nicht für irgendwelche Machtspiele.