Innovationswoche der Sommertour #ZukunftThüringen – Tag 2: Innovatives Werkzeug Made in Thüringen

Am zweiten Tag meiner Sommertour geht es um passgenaue Produktionslösungen für die Werkzeugherstellung im digitalen Zeitalter. Kein Wunder, dass es mich da nach Schmalkalden verschlägt, wo 1348 der erste Schmiedehammer erwähnt wurde und seit dem 19. Jahrhundert namhafte deutsche Werkzeugmacher angesiedelt sind. „Hier kann man die Entwicklung des Werkzeugs gewissermaßen „vom Faustkeil bis zum Werkzeug 4.0“ nachverfolgen, sagt Prof. Dr. Frank Barthelmä, Geschäftsführer der GFE Präzisionstechnik Schmalkalden GmbH. Die GFE entstand durch die Umwandlung des ehem. VEB Werkzeugkombinats Schmalkalden“, in dem in den 1960ern alle örtlichen Werkzeug- und Besteckfabriken zusammengeführt wurden. Über 4.400 Beschäftigte waren hier tätig. 1978 wurde ein Forschungszentrum der Werkzeugindustrie angegliedert.

Hier wurde das erste sensorintegrierte Werkzeug (ein Messer) entwickelt, das mittlerweile ein Museumsstück ist. Heute werden hier Spezialwerkzeuge mit eingebauten Sensoren für die Automotivebranche und die Flugzeugindustrie entwickelt. Wichtige Partner sind dabei die Hochschule Schmalkalden und das Thüringer Kompetenzzentrum Wirtschaft 4.0. Dessen Leiter, Herr Dr. Matthesius ist ebenfalls vor Ort. Gemeinsam mit Herrn Dr. Barthelmä besichtigen wir das weite Betriebsgelände, auf dem auch die Modellfabrik „Prozessdaten, Datengenerierung und –transfer“ angesiedelt ist. „Seit den Gründungsjahren der GFE sind die Aufgaben zwar gleich geblieben, sie sind jedoch komplexer und digitaler geworden“, sagt Herr Dr. Barthelmä. Hinzu kam der Bedarf, Daten zu generieren, transferieren, zu speichern und zu nutzen, indem man sie z. B. firmenübergreifend austauscht. In diesen Aufgaben unterstützt die Modellfabrik kleine und mittlere Unternehmen, denen sie u. a. Beratung, Werkstatttreffen und Stammtische, Vorträge und Workshops sowie viele Test- und Erprobungsmöglichkeiten anbietet.  

Wieso das nützlich ist, wird mir auf verschiedenen Stationen demonstriert: In der GFE werden über Sensoren Produktionsprozesse in Echtzeit erfasst. –Im Schleifzentrum sehe ich, welchen konkreten Nutzen das hat: Beim Profil- und Rundschleifen tritt an einer Schleifscheibe ein nur schwer voraussagbarer Verschleiß auf. Das Problem ist, dass dieser Verschleiß oft erst bemerkt wird, Werkzeug oder Bauteil Fehler aufweisen, also gewissermaßen Ausschuss produziert wurde. Durch häufige Kontrollen und unbrauchbare Produkte entstehen Kosten, die durch Sensortechnik vermieden werden können: Erfasst ein Laserlinien oder Streifenlichtprojektionssensor den Rundlauf der Schleifscheibe direkt in der Maschine, können die Daten in Echtzeit ausgewertet und der Verarbeitungsprozess angepasst werden. Diese Prozess- und Qualitätskontrolle ermöglicht eine lange Lebensdauer der Werkzeuge als auch perfekt auf die Bedürfnisse der Kund/innen abgestimmte Produkte. Das kann auch so aussehen wie im Beschichtungszentrum der GFE: Hier können Unternehmen Materialtests mit verschiedenen Beschichtungen (benötigt man z. B. für Spezialbohrer oder Rettungsscheren) durchführen. Während es in den 1980ern nur eine Beschichtungsart gab, sind es heute 280 verschiedene. Nirgendwo in Thüringen ist das Angebot so ausgeprägt wie hier in Schmalkalden.

Apropos „Spezialbohrer“ – nachdem ich die GFE kennengelernt habe, besuche ich ein Unternehmen, das sehr eng mit ihr zusammenarbeitet: Es geht zur Weisskopf Werkzeuge GmbH nach Meiningen. Herr Lochmann, Fertigungsleiter, und Herr Oschmann, Key Account Manager, nehmen mich in Empfang und führen mich durch große und moderne Produktionshallen.

Die 1994 gegründete Weisskopf Werkzeuge GmbH gehört seit 2012 zur MAPAL-Gruppe, einem Unternehmen, das sich auf Holzbearbeitungsmaschinen und Gewindebohrer spezialisiert hat und Weltmarktführer für Sonderbohrer ist. MAPAL stellt Zerspanungstechnik für alle großen Automobilhersteller her. 42% der Produkte werden dabei nach Deutschland, 22% in andere EU-Länder, 22% nach Asien und 13% in die USA vertrieben. Ca. 100 der 5250 Mitarbeiter/innen arbeiten in Thüringen – Tendenz steigend. Innerhalb der Gruppe ist die Weisskopf GmbH auf Vollhartmetall-Werkzeuge spezialisiert. Ihr Produktionsschwerpunkt liegt auf Sonderwerkzeugen für Bohr- und Fräsanwendungen, die z. B. in der Winkraft, der Automobilindustrie, im Maschinenbau oder im medizinischen Bereich Anwendung finden. Ca. 100 000 Sonderbohrer und 70 000 Spezialfräser werden jährlich hergestellt. In einem anderen Bereich fertigt das Unternehmen Spezialbohrer mit Hartmetall- oder KD-Schneiden. Mit einem Erweiterungsbau wurde 2015 die Produktionskapazität mehr als verdoppelt. Seit Kurzem ist hier auch ein ein firmeneigenes Nachschleifzentrum für Bohrer und Fräser verschiedenster Art angesiedelt.

Auf meinem Firmenrundgang erkenne ich die erfolgreiche praktische Umsetzung all dessen, was ich in der Modellfabrik gesehen habe: Die Weisskopf-Fertigung ist stark digitalisiert und vernetzt. Das betrifft sowohl Kund/innen und Lieferant/innen als auch alle Prozesse der Fertigungstechnik, inkl. Mess- und Prüftechnik. Über die Cloud einer Schwesterfirma können sich Endkunden zu Produktions- und Anwendungsfragen sowie zur Wiederaufarbeitung austauschen. Auf diese Weise werden auch bei den Abnehmer/innen Betriebsabläufe optimiert.

Einmal mehr wird deutlich, welche immense Bedeutung Sensoren in der Präzisionstechnik vorkommt. Meine letzte Station führt mich daher zur Meininger FIBOTEC Fiberoptics GmbH, die optronische Mess- und Sensortechnik für Industriekunden sowie Brand- und Gasmeldesicherheitstechnik entwickelt und produziert. Dr. Ronny Wozniza und Dr. Gerald Werner nehmen mich in Empfang und geben mir einen Einblick in die Arbeit der spannenden, 2001 gegründeten und aktuell 8-Mitarbeiter/innen starken Firma:

Die Entwicklung von Sensoren, die als Grundlage der Datenerhebung für digitale Produktionsabläufe benötigt wird, ist sehr handwerklich orientiert. In 4 Laboren, die wie eine Mischung aus Büro und Werkstatt anmuten, werden verschiedene Test mit den hauchdünnen Glasfasern durchgeführt. „Die Faseroptik ist dabei eine Nischentechnologie und recht Kostenintensiv“, stellt Herr Dr. Werner fest. Zugleich wird diese Nischentechnologie dringend benötigt: Sie findet im Hochtemperaturbereich (wie z. B. Kernreaktoren) oder im medizinischen Bereich (z. B. MRT) Anwendung. Bei der Oberflächenkontrolle von Einspritzdüsen, bei Kamerasystemen oder zur Ergänzung von Robotern, die stereoskopisch enge Bauräume (wie z. B. Pipelines) untersuchen, bietet der geringe Durchmesser der Glasfasern von 1/10 mm unschlagbare Vorteile. Auch für Alarmanlagen werden sie angewandt.

Nachdem ich mir angeschaut habe, wie faseroptische Lichtquellen, Laserdioden, Faserlaser und weitere faseroptische Lichtquellen hergestellt werden, wird mir wieder einmal bewusst, wie gut wir in Thüringen aufgestellt sind. Unter anderem durch die Cluster und Netzwerke im Bereich Wirtschaft 4.0 können wir allen Orten versteckte Spitzenreiter, „Hidden Champions“, aufweisen.

Doch es gibt eine zentrale Herausforderung, die mir heute an allen drei Stationen vorgetragen wird: Das Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte. Die GFE, die nach der Wende einen Großteil ihrer Mitarbeiter/innen halten konnte, sieht einer großen Verrentungswelle entgegen. Auch die Weisskopf GmbH weiß ihre Mitarbeiter/innen als wichtigstes Kapital „in guten wie in schlechten Zeiten“ zu schätzen. Auch in Krisenzeiten wurden daher alle Arbeitsplätze gehalten. Nun herrscht in der Region fast Vollbeschäftigung. Um qualifizierte Mitarbeiter/innen zu finden, wurde eine eigene Lehrwerkstatt (Ausbildungsberuf Schleifwerkzeug- bzw. Zerspahnungsmechaniker/in) eingerichtet. Die Auszubildenden werden zu 99% übernommen. Trotzdem werden derzeit 15 Mitarbeiter/innen gesucht.

Die Hintergründe dieses Phänomens sind mir sehr bewusst und ich werde weiterhin die Thüringer Unternehmer/innen nach Kräften dabei unterstützen, gute Voraussetzungen für Fachkräfte zu schaffen und Maßnahmen vorantreiben, die dem demographischen Wandel begegnen.