Innovationswoche der Sommertour #ZukunftThüringen – Tag 1: Auftakt der Innovationswoche in Ilmenau

Heute bricht die letzte Woche meiner Sommertour #ZukunftThüringen an, die sich aus dem Dreiklang der Zukunftsthemen „Tourismus“, „starke Strukturen vor Ort“ und „Innovation“ zusammensetzt.

Meine erste Station liegt in Ilmenau, einem der wichtigsten Thüringer Investitionsstandorte. Hier besuche ich die Modellfabrik „Migration“ im Institut für Mikroelektronik- und Mechatronik-Systeme gGmbH, kurz „IMMS“ genannt. Die Modellfabrik, deren Name erstmal kompliziert anmutet, dient einem einfachen Zweck: „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die IT mit der realen Welt zu verbinden“, sagt Herr Prof. Dr. Sommer, der wissenschaftliche Geschäftsführer des IMMS. Gemeinsam mit Herrn Kelm, dem kaufmännischen Geschäftsführer, gibt er mir einen Überblick über die Tätigkeiten der Firma, die zum Thüringer Kompetenzzentrum Wirtschaft 4.0 gehört: Im Industrie 4.0-Kontext bedeutet „Migration“, bestehende Maschinen und Fertigungsanlagen fit für die Zukunft und die Einbindung in digitale Fertigungs- und Geschäftsprozesse zu machen. Denn die Digitalisierung ist wirtschaftlich nur dann tragbar, wenn eine Anwendbarkeit garantiert ist, gemeinsame Standards geschaffen werden und der Mittelstand nicht abgehängt wird.

Das IMMS ist ein strategischer Partner für kleine und mittlere Unternehmen in Thüringen. Da es sehr gut an die technische Universität Ilmenau und die universitäre Forschung angebunden ist, kann es der mittelständischen Wirtschaft akademisches Know-How zur Verfügung stellen und gemeinsam mit Unternehmer/innen passgenau weiterentwickeln. So stellt es z. B. Vorlaufforschung für die Entwicklung von Erzeugnissen der Mikroelektronik, Systemtechnik und Mechatronik zur Verfügung und ebnet kleinen und mittleren Unternehmen so den Weg in die Wirtschaft 4.0. Häufig geschieht dies, indem die Modellfabrik gemeinsam mit Unternehmer/innen in einem Verbundprojekt gemeinsame Zielstellungen entwickelt. Nachdem Grundlagenforschung betrieben wurde, werden diese industrienahen Projekte in die Wirtschaft übergeleitet werden. Die Anwendungsbranchen sind vor allem die Automatisierungs-, Medizin-, Umwelt- und Verkehrstechnik und die Halbleiterfertigung. Der Brückenschlag zwischen universitärer Forschung und der freien Wirtschaft bringt auch für die Ilmenauer Absolvent/innen viele Vorteile mit sich: Sie entwickeln langfristige Perspektiven in Thüringen und erleben den Praxisbezug Ihrer Studieninhalte. Derzeit verzeichnet die Modellfabrik 80 Mitarbeiter/innen.

Neben Verbundprojekten veranstaltet das IMMS auch Stammtische und Workshops zu Themen wie „Wie kommen die Sensordaten in die Cloud?“ oder „Datenbasierte Services und Geschäftsmodelle“ anlässlich derer Unternehmer/innen interaktiv ausprobieren können welche Digitalisierungskomponenten für Ihre Betriebe geeignet sind. Bei einem kurzen Rundgang durch die Labore des IMMS, wird mir auch ein aktuelles Erfolgsprojekt des IMMS vorgestellt: In Zusammenarbeit mit der IL Metronic Sensortechnik GmbH, der UV-Technik GmbH Wümbach und der UMEX GmbH wurde 2017 ein System zur Wasserentkeimung für die Schwimmhalle Ilmenau entwickelt. Ziel war die Entkeimung des Schwimmhallenwassers durch UV-Licht und die anschließende digitale Überwachung des Schwimmhallenwassers über eine Cloud. Während früher noch Reinigungszyklen festgelegt wurden und so nur relativ grob garantierten, dass das Wasser die erforderliche Qualität hat, kann ich nun auf einem Bildschirm live überwachen, welche Wasserqualität vorherrscht.

Das IMMS leistet einen wichtigen Beitrag für die Zukunftssicherheit der Thüringer Wirtschaft, indem es Unternehmer/innen sensibilisiert, mobilisiert, neue Projekte Initiiert und selbst Prototypen entwickelt. Ähnlich verhält es sich auch bei meinen nächsten Stationen, jedoch auf einem etwas anderen Gebiet: Ich setze meine Reise zur nur wenige Minuten entfernten Fakultät für Neuroinformatik und Kognitive Robotik fort. Hierbei handelt es sich gewissermaßen um den „Schmelztiegel der Digitalisierung“, in welchem Informatik und Automatisierungtechnik aufeinandertreffen.

Am Eingang empfängt mich SUSE – eine Roboterdame, in deren durchsichtigem Plexiglaskopf rote LEDs blinken und die mich mit ein paar großen, klimpernden Puppenaugen anblinkt.

SUSE ist ein Assistenzroboter und damit ein typisches Produkt dieser Ilmenauer „Schmiede“. Sie bringt mich in den ersten Stock der Fakultät, wo ich einen Überblick über die aktuellen Forschungsaktivitäten erhalte. Fachgebietsleiter Prof. Dr. Horst Michael Groß, der mich gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Scharff, dem Rektor der TU, empfängt, geht kurz auf SUSE ein: „Wir befinden uns im Zusebau der Uni, der 200 Mitarbeiter/innen auf 4 Etagen in ca. 30 Büros beherbergt. Die Aufgabe, sich hier einen Überblick zu verschaffen und Gäste stets basierend auf der aktuellen Belegung herumzuführen ist wie geschaffen für einen Roboter.“

Die Thüringer Robotikforschung feiert nächstes Jahr ihr 25. Jubiläum. Wurde in den Anfängen eher erforscht, wie Roboter interagieren, so beschäftigt man sich hier heute mit geeigneten Anwendungsfeldern. Grundbedingung ist im Bereich der Neuroinformation und kognitiven Robotik, dass der Einsatz von Robotern keine Arbeitsplätze kostet und eine Interaktion zwischen Mensch und Roboter stattfindet. Bei meinem Rundgang werden mir 4 Anwendungsbereiche dieser Roboter vorgestellt:

1. Roboter als Reha-Trainer

Ein Studierender der Universität bewegt sich auf Krücken den Gang hinunter, während ihm auf ca. 2 m Entfernung ein Roboter folgt, der seine Bewegungen per Kamera erfasst und auf Skelettdaten basierend analysiert. Der Roboter bittet ihn daraufhin, seinen Körper noch etwas aufzurichten und größere Schritte zu machen. Diese Art von Robotern wird seit 2016 in Kliniken getestet und dient beispielsweise für Lauf- und Orientierungsübungen von Schlaganfallpatienten, aber auch in der orthopädischen Rehabilitation (zum Beispiel nach einer Hüft-OP). Da das „Interface“ der Roboter menschlich und freundlich wirkt, erhöhen sie die Motivation und Sicherheit der Patient/innen mehr als andere Trainingshilfen. Sie ermöglichen gleichzeitig eine Dokumentation des Heilungsprozesses.

2. Häusliche Assistenzrobotik

2015 wurde durch dieses Institut der erste und bis dahin längste Einsatz von autonomen Roboterassistenzen in 9 Privatwohnungen von Senior/innen begleitet. Für 120 Stunden wurde ein Modell getestet, das älteren Menschen durch eine Reihe von Hilfsmitteln (Erinnerung an Medikamente, Abspielen von Musik, Erkennung von Notsituationen, Telefon- und Adressbuchfunktion…) den Alltag erleichtern sollte. Das Nachfolgermodell wurde 2018 für 120 Tage und in 20 Privatwohnungen ausprobiert. Durch eine namentliche Ansprache und die Begrüßung und Verabschiedung der Senior/innen gewinnen diese ihre Assistenzroboter schnell lieb. Viele wollten sie nach Ablauf der Testphase nur ungern wieder zurückgeben.

3. Robotik in öffentlichen Umgebungen

Auch Inspektionsroboter für Rohre und Straßen werden hier in Ilmenau entwickelt: „Der kleine Riss von heute ist das Schlagloch von morgen“, sagt Dr. Debes, der für Inspektionssysteme zur Erkennung von Schadstellen zuständig ist. Derzeit werden jährlich 60 Millionen Bilder – größtenteils „händisch“ –analysiert, um den Zustand von Straßen und Rohrleitungen zu ermitteln. Die schiere Masse und die Ermüdung menschlicher Analytiker/innen stellen hier Sicherheitsrisiken dar. Videoinspektionssysteme könnten in Zukunft eine verlässliche Abhilfe schaffen. Dabei werden aufgezeichnete Videos von Straßenbelägen sequenziert und zunächst durch Menschen analysiert. Durch neuronale Netze, erkennen Roboter die Beschädigungen bald auf menschlichem Niveau.

4. Einsatz im Handel

Das vierte Anwendungsfeld der kognitiven Robotik erlebe ich bei meinem Folgetermin: In der Zusammenarbeit zwischen TU Ilmenau und Thüringer Unternehmen im Bereich der Robotik, spielt insbesondere die Metralabs GmbH eine große Rolle. Sie hat sich auf Shopping-Lotsenroboter und weitere Roboter für den Einzelhandel spezialisiert.

Lotsenroboter können den Einzelhandel beispielsweise in der Inventur unterstützen, entwendete Gegenstände mit der Hilfe von RFID-Technologie aufspüren, Barcodes scannen, als Reinigungsroboter fungieren oder Personen mit Hausverbot identifizieren. In einer Fabrikhalle, die einem Hindernisparcours gleicht, erlebe ich, wie verschiedene Robotertypen den Füllstand eines Regals erkennen und Kundinnen und Kunden bspw. durch gezielte Ansprache bitten, kurz zur Seite zu treten.

Geschäftsführer Dr. Trabert gibt mir einen kurzen Überblick über das Unternehmen: Inspiriert durch eine erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb „Jugend forscht“ gründete er 2001, gemeinsam mit Andreas Bley, Christian Martin und Matthias Merten (alle Absolventen der TU Ilmenau) die MetraLabs GmbH. Heute ist das Unternehmen Weltmarktführer im Bereich autonome, mobiler und interaktiver Serviceroboter.

2007 entwickelten sie in enger Kooperation mit „ihrer“ Uni den weltweit erste mobile Shopping-Lotsenroboter TOOMAS, der sich 2009 erstmals im Langzeit-Feldtest (10 Roboter waren für 300 Tage in 3 Einkaufsmärkten unterwegs, bedienten 13.000 Kund/innen und legten 3500 km zurück) bewährte und 2010 den Thüringer Forschungspreis gewann.2015 wurde der weltweit 1. RFID-Inventur-Roboter, der dauerhaft im Einzelhandel installiert ist, in Betrieb genommen. In diesem Jahr stellt die Firma auf der CeBIT einen Serviceroboter vor, der heute in der Stadt Ludwigsburg im Einsatz ist und den Bürger/innen bei Behördengängen hilft.

Neben der Herstellung der Serviceroboter, entwickelt die MetraLabs GmbH u. a. verschiedene Apps für Service-Roboter (bspw. für den Einsatz in Restaurants, Pflegeheimen, Museen, Shopping-Malls, im Einzelhandel, in Reinräumen oder in der Industrie) und unbemannte Unterwassersysteme für Tieftauchgänge.

Nach diesen spannenden Einblicken in die Ilmenauer Forschungslandschaft ist mir mehr denn je bewusst, wie weitreichend „die digitale Revolution“ in alle Lebensbereiche Einzug gehalten hat. Herausforderungen liegen für Thüringen vor allem darin, den Brückenschlag zwischen universitärer Forschung und Wirtschaftsunternehmen erfolgreich zu vollziehen und zugleich genügend Absolvent/innen der relevanten Wissenschafts- und Forschungszweige in Thüringen zu halten.

Die Erfolgsgeschichten, die ich heute in Ilmenau erleben dürfte und von denen ich noch auf viel mehr Seiten berichten könnte, machen Hoffnung auf eine digitale #ZukunftThüringen. Ich bin jetzt schon gespannt auf meine morgigen Stationen.