Ehrenamtswoche der Sommertour – Tag 4: Starke Strukturen vor Ort
Auch am vierten Tag meiner Sommertour geht es um starke Strukturen vor Ort: Um Ehrenamtliche und soziale Dienste, die oft genug eng miteinander verwoben sind – das Hauptamt wird sozusagen durch das Ehrenamt getragen.
Die Tour beginnt im Kyffhäuserkreis. Es geht nach Sondershausen, in die Seniorentagesstätte des Deutschen Roten Kreuzes, wo mich die Heimleiterin, Frau Töpfer, Landrätin Hochwind, Bürgermeister Grimm und der DRK-Vorsitzende, Herr Hengstermann, bereits erwarten.
Bei einem Rundgang durch das helle und einladende Gebäude fällt sofort auf, dass hier Lebendigkeit und Freude herrscht. Das liegt unter anderem am direkt benachbarten Kindergarten, dessen Freigelände die Seniorentagesstätte umschließt. Eine erfolgreiche Kombination und „Win-Win-Situation“ für alle Beteiligten: Wenn die Türe offen ist, gehen die Kinder hier ein und aus, lachen und singen mit den Senior/innen. Sie lernen, dass auch das Älterwerden zum Leben gehört. Dass es so kam, erzählt mir Frau Töpfer, war reiner Zufall: Der Kindergarten, den derzeit 125 Kinder besuchen, war zuerst da. Als sich die Gelegenheit bot, einen leerstehenden Gebäudeteil zu kaufen, investierte das DRK kurzerhand 500.000 Euro und bot zunächst 15 Plätze zur Tagespflege an. Mittlerweile gibt es eine lange Warteliste und eine angegliederte ambulante Pflege.
Im großen Aufenthaltsraum, der wie eine moderne Wohnküche wirkt, unterhalte ich mich mit den Senior/innen über ihre Erfahrungen. „Die Einrichtung ist unser zweites zu Hause geworden“, berichtet ein älterer Herr. Besonders gefällt den Bewohner/innen und Gästen, dass es keine festen Vorschriften zur Tagesgestaltung gibt. „Wir werden gefragt: Was haben wir lange nicht mehr gemacht? Was würden wir gerne wieder mal machen? Hier stimmt einfach alles.“, sind sich die älteren Herrschaften einig. Besonders positiv wird der Hol- und Bringdienst hervorgehoben.
Der DRK ist als starke ehrenamtliche Organisation ein sehr wichtiger Partner des Kyffhäuserkreises, berichtet die Landrätin. Dies macht sich nicht nur hier in der Seniorentagesstätte bemerkbar:
Gemeinsam fahren wir zur nächsten Station, zur Freiwilligen Feuerwehr Sondershausen. Hier werden wir durch den Stadtbrandmeister, Herrn Meißner, in Empfang genommen. Nach einer kurzen Besichtigung des „Fuhrparks“, fahre ich mit der Feuerwehrleiter auf 30m Höhe und verschaffe mir einen Überblick über Sondershausen. Anschließend erhalte ich im Besprechungsraum einen Überblick über die vorbildliche (Zusammen-)Arbeit der Freiwilligen Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks, der Bundeswehr und des Deutschen Roten Kreuzes vor Ort.
Ich erfahre, dass die FFW Sondershausen insgesamt aus 14 Ortsteilfeuerwehren mit 571 Mitgliedern besteht. Die 5 Ortsteilfeuerwehren Sondershausen-Mitte, -Bebra, -Berka, Stockhausen und –Jecha bilden eine Stützpunktfeuerwehr. Neben der örtlichen Gefahrenabwehr nimmt eine Stützpunktfeuerwehr auch Aufgaben des überörtlichen Brandschutzes wahr. Diese historisch gewachsene Zusammenarbeit der 5 Feuerwehren der Kernstadt hat sich bewährt, weil sie eine Spezialisierung der Einheiten auf neue technische Herausforderungen gestattet und den Verein vor „Sinuskurvenschwankungen“ in der Mitgliederzahl bewahrt. Zusätzlich hat der Verein „Kooperationsbrücken“ zu anderen Institutionen geschlagen:
Die Bundeswehr am Standort Sondershausen und Bad Frankenhausen wird heute durch vier Kamerad/innen vertreten. Hier vor Ort werden 1200 Anwärter/innen ausgebildet. Mit einem Stammpersonal von 250 Mitarbeiter/innen ist sie einer der größten Arbeitgeber. In den letzten Jahren wurden große Investitionen getätigt, unter anderem in eine Schießanlage, die nächstes Jahr in Betrieb gehen soll. Auf dieser dürfen auch die ortsansässigen Polizist/innen Übungen machen, die derzeit schon die Bundeswehr Sportplätze und –hallen mitnutzen. „Alle Leute, die hier sitzen, sind vernetzt“, sagt der Bürgermeister, selbst ehemaliger Polizist. Er berichtet, wie das THW Sicherheitsübungen für die Polizei und die Freiwillige Feuerwehr organisiert, das DRK Schulungen durchführt oder bei der dezentralen Unterbringung von Asylbewerber/innen unterstützt. Allen „Einheiten“ ist gemein, dass sie sich um den Nachwuchs sorgen. „Eine der größten Herausforderungen für die Zukunft ist, dieses Ehrenamt für Jugendliche spannend und attraktiv zu halten – quasi von der Playstation rein in die Gruppe“, sagt Herr Meißner, „Wir müssen neue Wege gehen und anders denken.“ Durch die enge Vernetzung am Standort Sondershausen, hofft man, interessante Einblicke bieten zu können, um auch mittel- und langfristig jung zu bleiben. Ich danke allen Haupt- und Ehrenamtlichen Retter/innen für ihr vorbildliches Engagement – vor allem ihr Zusammenwirken beeindruckt mich sehr – und hätte mich gerne noch viel länger mit ihnen ausgetauscht. Doch der nächste Termin wartet:
Weiter geht es nach Heringen, wo Herrn Landrat Jendricke, Herrn Bürgermeister Schröter sowie viele weitere Mitglieder der Bürgerstiftung „Goldene Aue“ treffe. Die Bürgerstiftung wurde am 17. Juni 2015 gegründet und engagiert sich für die Landgemeinde und die von ihr verwalteten Kommunen. Das reicht von Projekten zum Erhalt der sozialen Infrastruktur, Bildungs- und Kulturprojekten und Hilfe bei der Jugendarbeit bis hin zum Denkmalschutz.
Wir versammeln uns in der Ortsmitte um ein wunderschönes, aber sichtlich verfallenes Fachwerkhaus. Was aussieht wie eine Ruine, ist in Wirklichkeit das ehemalige Kolbenach Stift und ein wichtiges Zukunftsprojekt zum altersgerechten Wohnen in Heringen. Wie die Stiftung Landleben in Kirchheiligen, die ich auf meiner letzten Sommertour besuchte, stellt sich die Heringer Bürgerstiftung den Folgen der demographischen Entwicklung. Viele Menschen haben in den letzten Jahrzehnten die Stadt und die ländliche Region der Goldenen Aue verlassen. Die Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter. Es mangelt an adäquatem Wohnraum. Darum kaufte die Stiftung aus 36.000 Euro Stiftungsvermögen und 4000 Euro Spenden das ehemalige Kolbenach –Stift. Im Zentrum der Landgemeinde Stadt Heringen soll eine Wohnanlage entstehen, die geeignet ist, die Bedürfnisse der älteren Generation zu erfüllen. Bis zur Wende diente das Gebäude als Landambulatorium für die Region der Goldene Aue. Diesem historischen Ansatz folgend entstand der Gedanke, durch bürgerschaftliches Engagement das momentan leerstehende Gebäude zu einem Wohnhaus umzubauen, welches altersgerecht ausgestattet ist.
Hier sollen sechs barrierefreie Wohneinheiten mit den Vorzügen einer zentral gelegenen Wohnanlage entstehen. In Zusammenarbeit mit dem ASB wird die Betreuung der Bewohner organisiert. Das Gebäude liegt im unmittelbaren Zentrum der Landgemeinde. In den Nachbargebäuden befinden sich bereits jetzt wichtige Versorgungseinrichtungen, wie zum Beispiel eine Praxis für Allgemeinmedizin, ein Zahnarzt oder eine Praxis für Physiotherapie. Apotheke, Rathaus, Kindergarten und die Promenade sind nur wenige Meter entfernt. Die Begegnungsstätte im Rathaus liegt in unmittelbarer Nähe. Durch die Umsetzung im unmittelbaren Stadtzentrum soll auch die Innenstadt der Landgemeinde belebt und für die älteren Menschen neue und ansprechende Lebensbedingungen in einem attraktiven Umfeld geschaffen werden.
Nach einer Besichtigung dieses Zukunftsprojekts, führt mich ein kleiner Spaziergang zum Schloss Heringen. Auch hier geht es um Landambulatorien. Derzeit ist die Ausstellung „Medizinische Versorgung auf dem Lande – vom Landarzt zum Landambulatorium 1945 – 1990“ zu besichtigen. Doch hierbei handelt es sich nur um eine von zahlreichen Sehenswürdigkeiten: Schloss Heringen, im Kern eine mittelalterliche Wasserburg, wurde nach 1945 verstaatlicht und befindet sich seit 1990 im Eigentum der Stadt. In den 1960er Jahren bestanden Abrisspläne wegen des bedrohlichen Bauzustandes durch unsachgemäße statische Eingriffe in den vergangenen Jahrhunderten. Bis 2003 drohte sein restloser Zusammenbruch, welcher nur durch die aufopferungsvolle Arbeit Ehrenamtlicher vor Ort – nicht zuletzt durch den Vorsitzenden des Fördervereins Axel Hofmann und Herrn Kauschke, den Vorsitzenden der Interessengemeinschaft „Schloss Heringen 1327“ e.V. – verhindert werden konnte.
In Zusammenarbeit mit dem Freistaat erstellten sie ein Nutzungs- und Sanierungskonzept für das Schloss und konnte so Stadt, Land und Bund für eine mehrjährige Gesamtfinanzierung gewinnen. Es folgte ein Instandsetzungsprozess, der 2016 den Thüringischen Denkmalschutzpreis erhielt. Nun soll hier Thüringer Geschichte an authentischen Orten erzählt werden. Im Kern erzählt das regional ausgerichtete Museum die Geschichte von der Besiedlung der Region. Ausgestellt werden unter anderem einige der 10.000 Fundstücke, die über 7500 Jahre zurückdatieren und bei Ausgrabungen in der Goldenen Aue gefunden wurden. Wenn man so will, ist Heringen also „das älteste Dorf Thüringens“. Ohne ehrenamtliche Engagierte sähe wäre Heringen heute bei weitem nicht so schön, nicht der attraktive Wohnort als der es sich heute präsentiert. Ich bin beeindruckt vom Ideenreichtum und der professionellen Umsetzung der Projekte vor Ort und komme gerne wieder.
Nun aber nimmt mich Herr Landrat Jendricke mit zur letzten Station des heutigen Tages. Auch sie liegt im Landkreis Nordhausen und ist wichtig für unser Zusammenleben: Ich besichtige das Abfallwirtschaftszentrums Nentzelsrode. In einer idyllischen, bewachsenen Hügellandschaft liegt die Deponie, von der – trotz sommerlicher Temperaturen – kaum Geruch ausgeht. Einige dieser Hügel sind ehemalige Müllhalden, auf denen ab 1994 eine erste Oberflächenkultivierung erfolgte. Bis dahin kannte man hier das Bild von ständig wachsenden und offen brennenden Mülldeponien. Das sieht heute ganz anders aus. Auf 8 Hektar werden 1,1,7 Mio. m³ Müll deponiert. Olaf Salomon ist der Geschäftsführer der Stadtwerke Gruppe und präsentiert mir gemeinsam mit dem Landrat die Arbeit der 20 Mitarbeiter/innen. Die Deponie besteht aus einer mechanischen Aufbereitungsanlage, einer Bioabfallbehandlungsanlage, einer Grünabfallkompostierung, einer Sickerwasserbehandlungsanlage und einer Deponiegasverwertung. Durch das Verbot des Verbrennens von Grünschnitt hat sich der Biomüll um 450% gesteigert. Biomüll aus den Haushalten wird in der Biogaslanlage, einem geschlossenen System, verwertet. Entstehendes Methangas wird über das Blockheizkraftwerk verstromt und dient für den Betrieb der Anlagen am Standort. Hierzu werden auch die Photovoltaikanlage auf dem Altpolder und der Windpark auf dem Deponiegelände verwendet. Überschüsse werden in das öffentliche Netz eingespeist. Ansonsten wird aus Grünabfällen und Grünabfallkompostierung natürlicher Dünger erzeugt. Von dem Müll, der vor Ort sortiert und verarbeitet wird, bleiben 10% Restmüll (Plastik, große Holzstücke und Steine).
Besonders stolz ist der Landkreis auf seine erfolgreiche Rekommunalisierung der Deponie. Seitdem betreibt Remondis die Anlage im Auftrag des Zweckverbandes und des Landkreises. Der Betrieb kümmert sich auch darum, den Restabfall der Verbraucher/innen (ca. 75.000 t, Tendenz rückläufig) zu sortieren und in spezielle Verbrennungsanlagen zu fahren.
Zu guter Letzt darf auch ich mal ran: Ich begebe mich in die Führerkabine eines sogenannten „Umsetzers“ – ein großes Fahrzeugs, mittels dessen Kompost umgeschichtet werden kann, und werde Zeuge, wie das Gerät einen 2-Mann-großen Berg aus alten Bäumen, Friedhofsabfällen und weiterem Grünschnitt bearbeitet. Diese High-Tech-Dimension der Entsorgungswirtschaft ist wirklich faszinierend. Zusammenfassend kann ich sagen, dass in Nentzelsrode einiges richtig gemacht wird: Der Landkreis Nordhausen verbindet hier Abfallwirtschaft mit der Erzeugung erneuerbarer Energien – auch so sieht #ZukunftThüringen aus.