Thüringer Paradoxien
Am Donnerstagabend, den 2. November 2023, erlebte der Thüringer Landtag eine von der CDU ausgelöste Debatte, die schlicht als paradox betrachtet werden muss. Während der Landtagssitzung ließ die CDU einen neuen Beschlusstext zum Tagesordnungspunkt „Entlastung der Landesregierung für das Haushaltsjahr 2020“ verteilen. Dieser Beschlusstext lautete, dass der Thüringer Landtag der Thüringer Landesregierung für das Haushaltsjahr 2020 keine Entlastung erteilen solle. Sicher: dass eine Oppositionsfraktion der Meinung sein kann, dass eine Landesregierung schlecht oder falsch gewirtschaftet habe und aus der politischen Betrachtung heraus deshalb keine Entlastung erfolgen solle, kann man noch aus strategischen Gründen nachvollziehen. Gleichwohl gibt es zum Haushaltsjahr 2020 eine abschließende Würdigung durch den Rechnungshof und diese Würdigung gemeinsam mit dem Jahresabschluss war längst Gegenstand der Beratung im Haushalts- und Finanzausschuss. Eine finale Beschlussfassung im Landtag erfolgt immer auf der Basis der Beschlussempfehlungen des zuständigen Ausschusses und damit in diesem Fall des Haushalts- und Finanzausschusses.
Warum erscheint mir die Debatte vom Donnerstagabend so paradox? Von Mitgliedern des Haushaltsausschusses höre ich, dass den Antrag auf Entlastung der Landesregierung die CDU-Fraktion im HuFa selbst schriftlich eingereicht hat. Das heißt, dass in der ursprünglichen Empfehlung zur finalen Beschlussfassung auch auf Antrag der CDU steht, dass die Landesregierung entlastet werden solle. Der am Anfang eines solchen Tagesordnungspunktes übliche Verfahrensschritt ist, dass zuerst der Haushaltsausschussvorsitzende zu den Empfehlungen spricht – in diesem Fall der Abgeordnete Volker Emde, den ich als ruhigen und sachlichen Abgeordneten sehr schätze. Seltsam ist nur, dass Volker Emde auf einmal eine Beschlussempfehlung vorträgt, die dem ursprünglichen CDU-Antrag diametral entgegengesetzt zu sein scheint.
Dieser Widerspruch wird dahingehend erklärt, dass es in der Zwischenzeit ein Rechtsgutachten gebe, das die CDU gemeinsam mit der FDP hat erstellen lassen, in Bezug auf die Beanstandungen des Rechnungshofes, die sich mit der juristischen Bewertung zur Berufung von Staatssekretären beschäftigen. Zu diesem Themenbereich gibt es aber längst einen auf Antrag der CDU und FDP eingerichteten Untersuchungsausschuss und zu den damit verbundenen Fragen hat der Chef der Staatskanzlei regelmäßig und umfassend auch im Haushalts- und Finanzausschuss Bericht erstattet.
Nunmehr könnte man denken, dass das Rechtsgutachten neue Tatsachen qualifiziert vortrüge. Dazu kann ich sagen, dass die Landesregierung ebenfalls ein umfassendes Gutachten hat erstellen lassen und – das wird niemanden wundern – welches zum genau gegenteiligen Ergebnis kommt. Der Gutachter Prof. Florian Meinel hat sich mit der nunmehr am Donnerstag problematisierten Frage beschäftigt und bestätigt, dass die Personalführung auch in Bezug auf Staatssekretäre dem üblichen Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Das heißt: so, wie wir bislang Entscheidungen im personalwirtschaftlichen Sinne getroffen haben, agieren 16 Bundesländer und die Bundesregierung, sagt jedenfalls der Gutachter. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Beanstandung des Rechnungshofes in Bezug auf die beamtenrechtliche Bestenauslese nicht zutreffend sei, da ein Staatssekretär in einem besonderen Vertrauensverhältnis zur jeweiligen Landesregierung und der sie bildenden Parteien stehen muss. Ein Staatssekretär ist eben auch – umgangssprachlich gesprochen – ein Beamter auf Abruf und kann jederzeit wieder aus dem Dienst genommen und in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Er übt quasi eine Zwitterfunktion aus, die im deutschen Beamtenrecht einzigartig ist. Dies alles kann der Untersuchungsausschuss gerne untersuchen und bearbeiten. Da überdies eine staatsanwaltliche Ermittlung der Staatsanwaltschaft Erfurt anhängig ist, wird auch mittelfristig eine rechtliche Bewertung vorliegen.
Man könnte nunmehr also die Frage stellen, ob die strittige Betrachtung über die Berufung von Staatssekretären tatsächlich Auswirkungen auf die Haushaltsführung 2020 hatte und weiterhin, ob dieses einen so gravierenden Punkt darstellt, dass er letztlich zur Nichtentlastung der Landesregierung führen müsse. In diesem Zusammenhang müsste überdies geklärt werden, ob es eine objektive vorsätzliche oder vermeidbare Fehlleistung war, die letztlich den Landtag dazu bringt oder auch zwingt, die Entlastung zu verweigern. Außerdem muss die CDU eine ganz grundsätzliche Frage beantworten. Nehmen wir einmal an, die Vorhaltungen des Rechnungshofes seien zutreffend. Der entsprechende Bericht liegt allerdings erst sei reichlich einem Jahr vor. Wie soll die Landesregierung bitte rückwirkend etwas ändern? Das bleibt das große Geheimnis der CDU.
Unterstellen wir, die von mir geführte Landesregierung habe solch vermeidbare oder vorsätzliche fehlerhafte Leistungen bei der Berufung von Staatssekretären zu verantworten, die zu einer Verweigerung der Haushaltsentlastung führen müssten – es bliebe die Frage: Ist es nicht paradox, wenn Herr Kemmerich wortreich die Beanstandungen der CDU unterstreicht, wenn doch auch andere Landesregierungen die gleichen Fehler gemacht haben?. Gerade mit Blick auf die Ereignisse im Jahr 2020 muss ich mir hier verdutzt die Augen reiben.
Am 5. Februar 2020 hat sich Herr Kemmerich vom Thüringer Landtag bekanntermaßen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen und die AfD hat sich genötigt gesehen, einen Scheinkandidaten aufzustellen, um – so Herr Möller von der AfD wörtlich – Herrn Kemmerich auf die Leimroute zu locken bzw. Herrn Kemmerich eine Falle zu stellen.. Beanstandet also Herr Kemmerich die beamtenrechtliche Bestenauslese von Staatssekretärinnen und Staatssekretären für das Haushaltsjahr 2020, so muss er sich doch fragen lassen, wer ab dem 6. Februar 2020 unter dem Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich die Arbeit in den Ministerien gemacht hat. Es waren exakt die gleichen Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, die vorher schon von unserer Landesregierung berufen waren. Er hat sie weder entlassen noch neue berufen.
Dass er sich jetzt aber im Jahr 2023 in der Debatte um die Entlastung für das Haushaltsjahr 2020 daran nicht mehr erinnern kann, scheint mir doch sehr paradox zu sein. Paradox ist auch, dass die CDU-Landtagsfraktion am 21. Februar 2020 mit den LINKEN, der SPD und den Grünen einen Stabilitätspakt schriftlich vereinbart hat, in dem nicht nur die laufenden Geschäfte der Landesregierung neu geordnet worden sind und auf deren Basis ich meine Arbeit als Ministerpräsident wiederaufnehmen konnte, sondern auf deren Basis auch das Haushaltsaufstellungsverfahren 2021 gemeinsam mit der CDU vereinbart wurde.
Es scheint mir also hochlogisch zu sein, dass die CDU im Haushalts- und Finanzausschuss auf der Basis des Rechnungshofberichtes zum Abschluss des Haushaltsjahres 2020 die Empfehlung selbst eingebracht hat, die Landesregierung zu entlasten. Dass sich aber wenige Wochen später die gleiche CDU nicht mehr daran erinnert, dass sie einen Stabilitätspakt mit der Landesregierung und den die Landesregierung tragenden Parteien geschlossen hat, ist ebenso paradox.
Diese seltsame Debatte löste sich dadurch auf, dass am Ende von den rot-rot-grünen Koalitionären die Rücküberweisung in den Haushalts- und Finanzausschuss beantragt, dem der Landtag geschlossen folgte.
Im Anschluss an diese Vorgänge habe ich mir allerdings erlaubt, den Haushaltsausschussvorsitzenden auf diese Widersprüche anzusprechen. Den Vizepräsidenten des Thüringer Landtages, Herrn Bergner von FDP, habe ich hingegen gefragt, ob man nicht wüsste, welche Staatssekretärinnen und Staatssekretäre im Jahr 2020 ab 5. Februar die Arbeit gemacht hätten. Resultat: nur verdutzte Gesichter. Ich stelle mir noch viel mehr spannende Fragen: Welche beamtenrechtliche Bestenauslese hat eigentlich Ministerpräsident Kemmerich angewandt? Müsste das nicht auch von einem Rechnungshof thematisiert werden? Erkennt die CDU eigentlich das sehr eigentümliche Paradoxon, dass der Rechnungshof, das, was er uns heute vorhält, bereits der Landesregierung unter Christine Lieberknecht vorgehalten hat?
Offenkundig scheinen Fakten an solchen Abenden keine große Rolle mehr zu spielen. Doppelte Standards anzulegen ist eben bequemer.
Mir bleibt am Ende – trotz dieser Thüringer Paradoxien – nur festzustellen, dass ich davon überzeugt bin, dass die Landesregierung nach Recht und Gesetz gehandelt hat. Es hat also gute Gründe für die einstimmige Entscheidung des Haushalts- und Finanzausschusses gegeben.