Verantwortung in komplizierten Zeiten

Dass die von mir geführte Landesregierung keine eigene Mehrheit im Parlament hat ist hinlänglich bekannt. Die wenigen Minderheitsregierungen, die es bis dahin gab, waren immer Übergangsmodelle, aber nie wurde der Versuch gewagt, eine Minderheitsregierung über eine längere Zeit als vitales Konstrukt mit Gestaltungsauftrag zu etablieren.

Die Umstände nach der Kurzzeitwahl von Herrn Kemmerich, die zu einer solchen Landesregierung geführt haben, sind ebenfalls hinlänglich bekannt. Darum gedrängt habe ich mich wahrlich nicht, aber davor gedrückt eben auch nicht. Verantwortung in komplizierten Zeiten zu übernehmen, hat etwas mit Standfestigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu tun. Seit dem 4. März 2020 musste unsere Landesregierung unter der Federführung der Finanzministerin Heike Taubert drei Landeshaushalte aufstellen und zu Mehrheiten im Parlament führen. Während im Jahr 2018 noch heftig kritisiert wurde, dass wir uns aufgemacht haben, für die Jahre 2019 und 2020 einen entsprechenden Haushalt zu verabschieden, waren in 2020 alle froh, dass es diesen Doppelhaushalt gegeben hat. In Zeiten der Kurzzeitregentschaft von Herrn Kemmerich und der anhebenden Corona-Pandemie wäre die Verabschiedung eines Haushaltes extrem schwierig geworden.

Die Haushaltsplanung für das Jahr 2021 hatte Kollegin Taubert schon vorbereitet und so konnten wir nahtlos und ohne Lücke die Haushalte bis heute absichern. Verlässlichkeit für alle, die auf einen gesetzlich festgeschriebenen Haushalt bauen und damit Planungssicherheit für Kommunen, freie Träger, soziale Verbände, aber eben auch die stark von Corona und den Energiepreisen gebeutelte Wirtschaft.

Immer wieder begegnete mir das Vorurteil, jemand mit einem linken Parteibuch würde nur bestrebt sein, Schulden zu machen. Tatsächlich aber hatten wir in relativ kurzer Zeit bereits die erste Milliarde an bestehenden Schulden abgebaut. Unter Corona-Bedingungen mussten wir uns dann entscheiden, 1,2 Milliarden Euro frischer Kreditverbindlichkeiten aufzunehmen mit der Zusage, dass wir innerhalb von acht Jahren auch dieses Geld wieder zurückzahlen werden. An dieser Schwelle stehen wir heute, auch wenn wir zurzeit bei den Rahmenbedingungen durch die Bundesregierung einfach nicht wissen, wohin die Reise für unsere kommunale Familie und die Länder wirklich geht.

Ein Beispiel ist das aktuell von Herrn Lindner vorgelegte Wachstumschancengesetz. Dieses Gesetz schafft viele Steuererleichterungen für die gewerbliche Wirtschaft, ist aber so aufgelegt, dass wir alleine in Thüringen im Jahr rund 120 Millionen Euro Einnahmeverluste werden hinnehmen müssen. Zurzeit gibt es keinerlei Anzeichen, wie der Bund die von ihm verursachten Einnahmeausfälle wird ausgleichen wollen. Da scheinen mir noch sehr komplizierte Verhandlungen auf uns zuzukommen bzw. wir werden unsere Zustimmung im Bundesrat zu einem solchen Gesetz nicht geben können, wenn es gleichzeitig unsere Einnahmen erheblich schmälert.

Daneben gab es noch die Entscheidung zur Kindergrundsicherung, auf die wir so sehnlichst gewartet hatten. Die neue Ampelregierung hatte bei mir große Freude ausgelöst, als ich las, dass im Koalitionsvertrag die Kindergrundsicherung endlich als ein wirksames Mittel zur Armutsprävention und zur verbesserten Förderung für Kinder und Familien auf den Weg gebracht werden sollte. Die angekündigten 12 Milliarden, die Bundesministerin Frau Paus sich vorgenommen hatte, sind nun eingedampft auf 2,4 Milliarden und dürften nicht einmal die aktuellen Transferleistungen, die meistens für Alleinerziehende wirksam werden, so ausgleichen, dass damit Kindergartengebühren bezahlt werden könnten.

Nun stehen wir in Thüringen vor der Frage, wie wir das dritte Kindergartenjahr endlich beitragsfrei bekommen, denn immerhin würde dies jährlich noch einmal einen Finanzbedarf von 40 Millionen Euro erfordern. Ich kämpfe intensiv seit Jahren darum, dass wir unter der Überschrift „Bildung und Betreuung muss beitragsfrei sein“ endlich ein Finanzsystem zur Absicherung der Kinder entwickeln, bei dem Eltern nicht mehr herangezogen werden zur direkten Beitragsbezahlung. Ich möchte nicht, dass diejenigen, die auf staatliche Hilfen angewiesen sind, nur zum Ersatz von Beiträgen für Kindergärten wiederum zur Behörde gehen müssen, um dort quasi sämtliche Unterlagen vorzulegen, um nachzuweisen, dass man so viel Bedürftigkeit hat, dass man aus eigener Kraft das Geld nicht stemmen kann. Deswegen wäre eine wirksamere Alternative eine Kindergrundsicherung, die ausreichend nachhaltig finanziert wird, so dass uns jedes Kind gleich viel wert ist. Erfolgt dies über diesen Weg nicht, dann müssen wir auch das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei gestalten, sodass wir endlich die Eltern aus der Mischfinanzierung herausbekommen und zwischen der Ebene der kommunalen Familie und dem Land die Kosten direkt verteilt werden.

All das vorangestellt macht deutlich, dass der letzte Dienstag zur Entscheidung eines Landeshaushaltes einen hohen Druck gegenüber der gesamten Landesregierung bedeutet. Es ist in der Tat so, dass wir den Landeshaushalt 2023 zu 2024 um 686,2 Millionen werden anheben müssen. Dies ist der Zuwachs, der real einzuplanen ist, ohne die Risiken, die zum Beispiel durch das Wachstumschancengesetz und andere Dinge entstehen, aus dem Blick zu verlieren. Von diesen 686,2 Millionen schlägt aber allein der Kostenzuwachs im Personalbereich mit 191,2 Millionen zu Buche, da hier durch die Verfassungsklagen das Abstandsgebot der Beamten zu den Bürgergeldsätzen zu einer deutlichen Erhöhung der Beamtenvergütung geführt hat. Kalkulatorisch ist auch ein Tarifabschluss mit 3,5 Prozent eingeplant, der aber nach allem, was wir bei dem Tarifvertrag Bund und Kommunen gesehen haben, nicht reichen wird. Um 9,5 Millionen sind Zinsfinanzierungskosten gestiegen, aber um 163,7 Millionen Euro wird der Tilgungsbetrag angehoben. Hier wird deutlich, dass wir weiter an dem Ziel arbeiten, unser Versprechen, die Schulden nicht aufwachsen zu lassen, sondern die in Corona-Zeiten gesondert aufgenommenen Gelder wieder abzufinanzieren, einzuhalten.

Der größte Kostenpunkt in dieser Rechnung ist allerdings der Betrag von 320 Millionen Euro, der ein reiner Zuwachs für die kommunale Familie darstellt. Darin enthalten sind 270 Millionen Euro für die sogenannte Finanzausgleichsmasse und 50 Millionen sind Kosten für Straßenausbaubeiträge und mögliche Gemeindeneugliederungskosten, die wir damit absichern wollen. Diese vier Posten – Tilgung, kommunale Familie, Zinskosten und Personalkosten – als Zuwachsbeträge sind in Summe das, was tatsächlich der Haushalt im Ansatz 2023 eine Erhöhung in Richtung 2024 aufweist. Tatsächlich werden wir dann zum 31.12.2024 bei einem Kreditverbindlichkeitsbetrag liegen von 15.499.724.360,90 Euro, also rund 15,5 Milliarden. Hatten wir also am 31.12.2014, als ich gerade als Ministerpräsident die Verantwortung übernommen hatte, einen Schuldenstand von 15.856.743.340,49 Euro so liegen wir am Ende des Jahres 2024 in Summe um 357 Millionen unter dem Wert, der mir von den CDU-Regierungen hinterlassen wurde. Natürlich kann ich dann auch mit Stolz darauf hinweisen, dass wir in dieser Phase auch 6.500 neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt haben. Das sind 38 Prozent des gesamten pädagogischen Personals, welches an unseren Schulen tätig ist.

Mit 600 Millionen Euro haben wir den höchsten Haushaltsbetrag seit der Neugründung des Landes Thüringen in unsere Schulen für Neubau oder Sanierung investiert.

Auch das muss man bedenken –  was es wirklich heißt, eine derartige Kraftanstrengung für Schülerinnen und Schüler stemmen zu müssen.

In dieser Zeit ist auch der gesamte Bereich des Kommunalen Finanzausgleichs Jahr für Jahr stetig gewachsen. Allen Behauptungen und Unkenrufen zum Trotz haben wir die Gemeinden nicht finanziell ausgetrocknet, sondern jährlich die Zuweisungen erhöht. Trotz drei Jahren akuter Krisenherausforderungen haben wir keinen kommunalen Kämmerer alleine gelassen. Tatsächlich weist das Statistische Landesamt sogar einen systematischen Abbau der Schulden in der kommunalen Familie nach.

Über diese vier Eckpunkte könnten wir debattieren. Denn ja, auch die mittelfristige Finanzplanung der Finanzministerin weist aus, dass ab dem Jahr 2025 zum ersten Mal ein Defizit von 1,15 Milliarden zu entstehen droht. Dies ist die Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen und zwar egal, wer nach der Landtagswahl die Regierung wird führen können.

Es ist kein Geheimnis, dass ich um eine weitere Amtsperiode mit Gestaltungsauftrag kämpfe. Aber ich will am Beispiel der CDU erläutern, was ich unter Thüringer Paradoxie verstehe. Einerseits erwartet die CDU von uns, dass wir jetzt rund eine Milliarde aus dem laufenden Haushalt für 2024 zusätzlich heraussparen, um uns gleichzeitig aber vorzuhalten, dass wir nicht genügend Personal für den Bereich Schule oder Polizei eingestellt hätten. Verweisen wir darauf, dass wir die Stellen geschaffen haben, aber kein Personal finden, halten sie das für eine Ausrede. Wenn wir weiterhin darauf hinweisen, dass es auch in den Schulen hohe Unterschiede gibt zwischen der Verteilung von Klassenstärken und dass die Frage der Gerechtigkeit dort auch eine Rolle spielt, dann behauptet die CDU, dass wir Schulen schließen wollten, obwohl die CDU weiß, dass die Schulträgerschaft – also die Hoheit über derartige Entscheidungen – bei der kommunalen Familie liegt. Uns übersendet man ein Eckpunktepapier, wie sich die CDU den Landeshaushalt vorstellt und auf Basis der Berechnungen der Haushälter aus den rot-rot-grünen Landtagsfraktionen wird mir aufgelistet, dass es sich bei allen Begehrlichkeiten um rund 900 Millionen Euro Zuwachs handelt, den die CDU gerne eingeplant haben möchte, um mir gleichzeitig zu sagen, dass ich eine Milliarde Euro sparen soll. 900 Millionen Ausgaben plus eine Milliarde sparen heißt dann aber 1,9 Milliarden Euro umschichten.

 

Diese Arbeit möchte die CDU wiederum nicht leisten, sondern kündigt an, dass wir als Kabinett dies alles als Vorleistung erbringen sollen, damit wir eventuell Unterstützung im Parlament erhalten. Ich halte das für eine Thüringer Paradoxie oder um am Schluss eine ironische Wendung im Lindner‘schen Sinne zu verwenden: „Keinen Haushalt 2024 zu haben, ist viel schlechter als einen ungeliebten Haushalt.“

Deshalb haben wir unseren Haushaltsentwurf gemäß der Thüringer Landesverfassung am vergangenen Dienstag beschlossen und leiten ihn dem Landtag zu. Dieser wird sein Königsrecht ausüben und ich denke, Parlamentarier sollten im Blick haben, was ein nicht beschlossener Haushalt bedeutet: keine gesetzliche Grundlage, um unendlich viele Aufgaben von freien Trägern, sozialen Trägern, Kulturschaffenden, aber auch der kommunalen Familie absichern zu können. In jedem Fall werden die Aufwüchse, für die wir so heftig kritisiert werden, für die kommunale Familie dann auch nicht zur Realität werden und so gesehen steht jetzt die Frage von Verlässlichkeit und Vertrauen für das Jahr 2025 auf der Tagesordnung.