Destruktive Mehrheiten und mangelnde Dialogfähigkeit

„Bei der Alternative für Deutschland (AfD) bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die eine Beobachtung der Gesamtpartei durch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigen.“ Beschluss des 10. Senates des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes am 14. September 2023.

Was geschah sonst noch am 14. September 2023? An diesem Tag tagte der Thüringer Landtag. Am Vormittag hat die Finanzministerin Heike Taubert den Haushaltsentwurf für das Jahr 2024 dem Landesparlament vorgestellt. Als letzter Redner in der Aussprache habe ich mich dann zu Wort gemeldet und meine Rede damit begonnen, Herrn Prof. Voigt, den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU Thüringen, direkt anzusprechen. Den Wunsch der Thüringer CDU nach einer gezielten Familienförderung für junge Familien, die zum ersten Mal immobiles Vermögen bilden wollen, halte ich für eine gute Idee und möchte sie aktiv unterstützen.

Kindern eine behütete Jugend in einem sicheren Wohnumfeld bieten zu können – ohne Sorge vor Wohnungsverlust – ist ein großer Wert. Für meinen Lebensweg gilt dies umso mehr, da, als unsere Kinder klein waren, wir genau diesen Weg gewählt haben. Damals gab es in Westdeutschland noch die so genannte 7b-Steuerabschreibung und so konnte man gezielt Vermögen aufbauen und Eigentum bilden. Vermögen hört sich hochtrabend an, denn tatsächlich ist ein Haus oder eine Eigentumswohnung eher ein kleines Vermögen und es gäbe auch andere Wohnmöglichkeiten, die ebenso einen sichereren Charakter haben. Die Wohnungsgenossenschaften z.B. gehören ihren Nutzern selbst. Kommunale Wohnungsbestände sind gebunden an die jeweilige Stadt. Im Kontext des genossenschaftlichen Wohnens habe ich zehn Jahre lang in Erfurt als Aufsichtsratsvorsitzender Erfahrungen sammeln können. Bei kommunalen Wohnungsbeständen haben wir hier in Ostdeutschland immer noch deutlich höhere Anteile als in den alten Bundesländern.

Als Gewerkschafter verbinde ich natürlich auch den Skandal um die „Neue Heimat“ mit diesen Komplexen.  Aus vielen Genossenschaften der Nachkriegszeit ist ja erst die „Neue Heimat“ entstanden, die letztlich an Missmanagement und fehlender politischer Unterstützung in die absolute Katastrophe geglitten ist. Kein Mensch erinnert sich heute noch an Bäcker Schiesser aus West-Berlin, der für die berühmte eine Mark die gesamte „Neue Heimat“ kaufen wollte. Gerüchte sagen, dass dahinter angeblich die Staatssicherheit der DDR gestanden habe, die Bäcker Schiesser erst in die Lage versetzt habe, hier als großer Aufkäufer aufzutreten. Leider wurden nach diesem Skandal viele Wohnungsbestände zu einer normalen börsennotierten Handelsware und mit der Debatte um „Deutsche Wohnen enteignen“ wird deutlich, wie brandaktuell das Thema auch heute weiterhin ist. Alles das hat an diesem 14. September 2023 auch mir vor Augen gestanden, als ich der CDU signalisierte durchaus Sympathie für ihr grundsätzliches Anliegen einer Familienförderung zu haben.

Am 28. August 2023 fand in der Staatskanzlei ein offizielles Treffen der Thüringer Finanzministerin, des Chefs der Staatskanzlei, des Umweltministers und mir sowie den drei Fraktionsvorsitzenden von Rot-Rot-Grün gemeinsam mit Herrn Prof. Voigt, Herrn Emde und Herrn Bühl von der CDU statt. In diesem Gespräch ging es um die Haushaltsaufstellung, das Haushaltsverfahren, Wünsche der CDU und Überlegungen, wie wir bis zum Dezember 2023 zu einem rechtsgültigen Landeshaushalt für das Jahr 2024 kommen könnten. Bei diesem Treffen formulierte schließlich der Fraktionsvorsitzende der SPD, Matthias Hey, die Frage, wie es um das Thema Grunderwerbssteuer und den Antrag der CDU, die dieselbe senken zu wollen, stehe. Ich habe aus meiner Perspektive das Gespräch so in Erinnerung, dass es einerseits um gezielte Familienförderung ginge und andererseits die CDU etwas verstimmt war, dass es bei dem Antrag zum Baukindergeld zu einer längeren Verzögerung gekommen sei. Deshalb war meine Aussage auch in diesem Gespräch, dass wir eine Verzahnung und Vernetzung mit dem Landeshaushalt 2024 avisieren sollten, sodass das Inkrafttreten zum 01.01.2024 garantiert werden könnte.

Ich habe das Gespräch mit dem vorsichtig optimistischen Eindruck verlassen, dass die Haushälter gemeinsam einen Weg finden würden, der auch für uns mehrheitsfähig sein könnte. Mein Angebot auf gezielte Familienförderung basierte also auf diesem Gespräch und den damit verbundenen Informationen.

Am Donnerstag, den 14. September 2023, habe ich deshalb die deutliche Formulierung im Parlament gewählt, dass wir ein solches Familienförderungspaket auf den Weg bringen würden, das mit dem 1.1.2024 wirksam wird, wenn damit die CDU ihre Initiative positiv umgesetzt sähe. Weder nach dem Gespräch mit Prof. Voigt noch nach meiner Ansprache im Parlament gab es ein Signal, dass dies so nicht funktionieren könnte oder gar, dass es andere Wünsche gäbe. Umso erstaunter war ich, als ich nach der Mittagspause feststellen musste, dass sich die CDU unmittelbar nach Aufrufe der Tagesordnung meldete und der Parlamentarische Geschäftsführer Herr Bühl darauf verwies, dass man den eigenen Antrag zum Thema Gebäudeenergiegesetz und dem Verhalten der Landesregierung im Bundesrat zurückziehen würde. Direkt im Anschluss meldete sich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Torben Braga, und formulierte den gleichen Satz – nämlich, dass die AfD ihren Änderungsantrag zu dem CDU-Antrag auch zurückziehen würde.

Damit war der Tagesordnungspunkt gestrichen und es wurde direkt der Tagesordnungspunkt zur Grunderwerbssteuersenkung der CDU aufgerufen. Die Abläufe danach waren schließlich recht turbulent.

Die Finanzministerin erläuterte abermals, warum sie erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bei dem handwerklich schlecht gemachten Gesetzesentwurf sehe und warum auch der Rechnungshof zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt sei. Es ging also unter anderem um die handwerkliche Vorbereitung des Antrages und um eine dann von Herrn Bühl mündlich vorgetragene mündliche Präzisierung. So etwas hatte ich im Parlament allerdings noch nie erlebt.

Schließlich wurde den Abgeordneten eine schriftliche Vorlage der Finanzministerin zur Kenntnis gebracht, in der all die verfassungsrechtlichen Bedenken aufgelistet waren und auch der handwerkliche Mangel, dass keine Haushaltsstelle definiert sei, in der die Gelder etatisiert werden und schließlich abfließen könnten. Auch eine fehlende Deckungsquelle wurde noch einmal moniert.

Daraufhin wurde ein Brief von Herrn Bühl an das Parlament verteilt, in dem er darauf verwies, dass er erstaunt sein, dass im Haushalts- und Finanzausschuss am Donnerstag, den 8. September 2023, der wissenschaftliche Dienst Bedenken geäußert habe. Der amtierende Landtagspräsident, Herr Bergner von der FDP, unterbrach daraufhin die Sitzung und bat die Parlamentarischen Geschäftsführer zu einer Beratung über den Fortgang der Tagesordnung. In dieser Beratung soll es um all die Bedenken gegangen sein und die CDU habe deutlich gemacht, dass sie nicht gewillt sei, auf die Bedenken einzugehen oder jetzt eine nochmalige Begutachtung durch den wissenschaftlichen Dienst zu akzeptieren. Mehrheitlich wurde dann gegen die Bedenken abgestimmt und in der Tagesordnung fortgefahren bis zur Schlussabstimmung, in der die CDU gemeinsam mit der AfD, der FDP und den fraktionslosen Abgeordneten die Mehrheit erzielte.

In der Thüringer Allgemeinen konnte man am selben Abend dann den Vorabtext lesen, dass Herr Braga von der AfD gegenüber der Presse geäußert habe, dass das Vorgehen nach der Mittagspause zwischen CDU und AfD abgesprochen worden sei.

In dem Kontext wurde mir noch einmal deutlich vor Augen geführt, was mir am Montag, den 11.9.2023, aus dem HuFA vorgetragen wurde.

Der Haushalts- und Finanzausschuss habe am 8. September 2023 den Tagesordnungspunkt „Senkung der Grunderwerbsteuer“  bearbeitet, denn im Parlament kann nichts behandelt werden, was nicht eine Empfehlung aus dem zuständigen Fachausschuss hat. Diese Empfehlung zum Grunderwerbssteuersenkungsgesetz wurde am 8. September 2023 im Haushalts- und Finanzausschuss beraten und dort sei es zu seltsamen Vorkommnissen gekommen. Mir wurde berichtet, dass bei Aufruf des CDU-Tagesordnungspunktes der AfD-Abgeordnete, der üblicherweise im HuFa sitzt, ausgewechselt wurde gegen den Parlamentarischen Geschäftsführer Herrn Braga- jener Herr Braga, der in der TA darauf verwies, dass das Vorgehen am Plenartag abgesprochen gewesen sei. In der Beratung des HuFA sei es ausdrücklich um die Bedenken des Rechnungshofes gegangen und Frau Finanzministerin Taubert habe ausdrücklich darum gebeten, sich mit den handwerklichen Fehlern zu beschäftigen. Es gab eine Diskussion, da die Abgeordneten aus unserer Fraktion ausdrücklich den Wunsch geäußert haben, dass der wissenschaftliche Dienst des Thüringer Landtages, der ein unabhängiges Beratungsgremium ist, ein rechtliches Gutachten fertigt zu den Fragen, die sowohl vom Rechnungshof als auch von der Finanzministerin vorgetragen worden sind.

Nun solle es sich erstaunlich abgespielt haben: nur Herr Braga habe dazu das Wort ergriffen während sich – so die Beobachtung – die CDU-Abgeordneten überhaupt nicht an der Debatte beteiligt hätten. Lediglich der Haushaltsausschussvorsitzende Herr Emde habe die Sitzung geleitet. Bereits am Montag, den 11. September 2023 wurde mir folgender Eindruck vermittelt: „Mir kam es vor, als wäre es alles orchestriert“.

So gesehen stellt sich für mich die Abstimmung am 14. September 2023 gemeinsam mit der AfD in einem anderen Licht dar, als das, was anschließend behauptet wurde. Auch wird immer wieder behauptet, wir hätten in zwei Abstimmungen als Rot-Rot-Grün die Mehrheiten nur erreicht, weil wir ebenfalls mit der AfD abgestimmt hätten. Diese Erläuterungen sind allerdings unzutreffend, denn in beiden Abstimmungen hatten wir immer ohne die AfD schon die Mehrheit. Wenn 42 Stimmen von Rot-Rot-Grün gegen 28 Stimmen von CDU und FDP stehen, ist dies jedenfalls, wie man unschwer feststellen kann, die Mehrheit. Würde die AfD in diesem Fall nicht abstimmen, hätten wir die Abstimmung schon gewonnen. Wenn die AfD mit uns abstimmt wird die Mehrheit zwar größer, aber die vorhandene Mehrheit ist eben immer noch da. Erst, wenn man die Abstimmung verkehrt und die AfD mit CDU und FDP stimmt, bekommt man eine Mehrheit gegen die Minderheitsregierung. Dies ist schon einmal von der CDU praktiziert worden als es um eine sogenannte Genderdeklaration ging.

 

Im Fall der Grunderwerbssteuer hätte man eine echte Alternative gehabt, indem das deklaratorisch vorgetragene Ziel der gezielten Familienförderung zu erreichen gewesen wäre mit der Landesregierung und der rot-rot-grünen Parlamentsvertretung, sodass es auf eine Abstimmung mit der AfD gar nicht angekommen wäre. Wer also Familien fördern will, der müsste Wert darauflegen, dass diese Förderung handwerklich sauber erarbeitet, haushaltsrechtlich klar deklariert und mit einem Deckungsvorschlag versehen ist. So verstehe ich solide und korrekte Parlamentsarbeit.

Ich wundere mich deshalb, wie wenig Rücksicht die CDU darauf genommen hat, dass die haushaltsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken vorher bearbeitet werden konnten. Der Abgeordnete Andre Blechschmidt aus meiner Fraktion hat schließlich eine Erklärung zum Abstimmverhalten abgegeben und darauf hingewiesen, dass seine Rechte als Parlamentarier grob beschnitten worden seien, weil die destruktive Mehrheit ihm das Recht abgesprochen habe, einen Minderheitenantrag im Haushalts- und Finanzausschuss stellen zu können. Denn tatsächlich, die Landesregierung und die sie tragende rot-rot-grüne Koalition vertritt die Minderheit im Parlament. Und wenn die CDU immer für sich Minderheitenrechte als kleinere Fraktion deklariert, gilt dies immer nur so lange bis die interessengeleitet sich auch über Minderheitenrechte hinwegsetzt. Früher hätte dies zu einem Aufschrei geführt. Heute entwickelt sich dies auf eine seltsame Weise zur Normalität.