Gelebte Solidarität à la Erfurt

Den 6. Februar 2023 werden wohl die Menschen im Süden der Türkei und im Norden Syriens nie mehr vergessen. Ein gewaltiges Erdbeben, gemessen mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala, zerstörte 10.000-fach Leben und nahm Millionen von Menschen jede Lebensgrundlage. Die Bilder die uns aus der Erdbebenregion erreichten, waren erschütternd.

Aus Erfurt war ein lieber Freund, Paul-Philipp Braun, im ersten Team aus Deutschland, das Nothilfe vor Ort leistete. Er berichtete ununterbrochen über das, was seine Kolleginnen und Kollegen gerade erlebten – so u.a. einen großen Lichtblick, als das Team nach mehreren Tagen eine Frau lebendig aus den Trümmern eines zerstörten Hauses bergen konnten. Die staatliche Hilfe in Deutschland lief schnell an und auch Thüringen wurde entsprechend in die Planungen einbezogen. Spontanhilfen kamen zustande und besonders bedrückend musste man zur Kenntnis nehmen, dass die Grenzen zwischen der Türkei und Syrien geschlossen blieben. Noch schlimmer war allerdings, dass der NATO-Partner Türkei in den Tagen darauf die Region in Syrien militärisch angriff, in der die Menschen genauso ums Überleben kämpften wie auf der türkischen Seite. Der militärische Hass wog schwerer als die humanitär notwendige Hilfe und das Militär, das dringend zum Retten und Bergen gebraucht werden würde, wurde eingesetzt, um die kurdische Selbstverwalterregion weiterhin völkerrechtswidrig anzugreifen. Nur Despoten agieren so. Deshalb haben wir uns in der Fraktion DIE LINKE. schnell entschieden, dass wir auf der syrischen Seite über Medico International helfen wollen. Meine erste Spende allein sollte es aber nicht bleiben und als ich von einer Kulturgruppe syrischer und türkischer Musiker hörte, die in Meiningen beheimatet sind, entschloss ich mich, in meiner Kirchgemeinde Martini Luther anzufragen, ob wir gemeinsam eine Solidaritätsaktion starten könnten. Da aber bedauerlicherweise unsere eigene Kirche, die Lutherkirche in Erfurt, aktuell baufällig ist, weil offenkundig der Untergrund nicht mehrgenügend Halt bietet, kam unsere Vikarin Julia Braband auf die Idee, doch die Thomasgemeinde anzufragen. Pfarrer Knoll war sofort einverstanden und besprach den Plan mit dem Gemeindevorstand. So reifte der Gedanke, ein Benefizkonzert zugunsten der Erdbebenopfer in Syrien und der Türkei durchzuführen.

Am Sonntag, den 12. März 2023, war es dann soweit. Die wunderschöne Thomaskirche hatte die Tore geöffnet und sogar für etwas Wärme im noch recht frostigen Kirchenraum gesorgt. Die Künstler Ibrahim Bajo und  Kantar von der Gruppe Syriab machten den Auftakt. Traditionelle Musikinstrumente, die einen besonderen Klangteppich in der Thomaskirche ausrollten, eröffneten das wunderbare Benefizkonzert. Die Künstler berichteten uns von ihrem Bangen und Beten um und für ihre Lieben – und ja, auch darüber, was es bedeutet, als Syrier vom Assad-Regime verfolgt zu werden und keine Chance zu haben, über irgendeinen Weg in die kurdische Region zu kommen, um die eigene Mutter treffen zu können. Mutter und Schwester signalisierten, dass er in Deutschland bleiben möge, denn jeder Mensch mehr würde weniger Wasser und Versorgung mit dem Grundlegendsten bedeuten. Viele Familienangehörige und Freunde leben nicht mehr und der Schmerz war unter uns regelrecht mit Händen zu greifen. Dass aber mit der Eröffnung eines Musikstückes auf klassischen arabischen Musikinstrumenten mit Bach der richtige Ton getroffen wurde, verzauberte die gesamte Kirche.

Über 200 Menschen sind zum Solidaritätskonzert gekommen und haben gerne die zehn Euro Spende als Eintritt bezahlt. Von Syriab öffnete sich die Klangwelt zur Nerly Bigband, die dieses Mal als etwas kleinere Formation sich als Nerly Smallband einreihte. Das erste Lied erklang allerdings gemeinsam und ich hörte später, dass die Proben dazu erst am Morgen begonnen hatten. Die Nerly Smallband groovte sich mit viel Blech schnell in die Herzen des Publikums und auch dann der Übergang zum wunderbaren VoicESS Jugendchor der Edith-Stein-Schule war unfassbar sanft und fließend. Die Nerly’s swingten die ersten Lieder des Jugendchors der Edith-Stein-Schule gleich mit und man merkte, wie eins ins andere floss. Nach einer Pause, in der es auch Essen und Trinken gab, faszinierte das Bermuda-Zweieck die Zuhörer mit Liedern, über die man beim Zuhören nur staunen konnte – egal, ob es das mutlose Mammut Helmut war oder der Vater, der vom Sohn gefragt wurde, wo er denn gewesen sei, als es um die Rettung des Planeten ging – die Texte konnten keinen der Anwesenden unberührt lassen. Die Kirche erbebte noch einmal, als das Vibration Syndicate volle Lotte die Wände zum Zittern brachte.

Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt in der Kirche schon wieder extrem kühl war – nachdem wir über eine Stunde überzogen hatte, donnerte der Abend mit dem Applaus der Gäste seinem Ende entgegen. Und wie es scheint hat jeder der Anwesenden noch einmal ordentlich in die Brieftasche gegriffen, denn der Abend hatte auch die Zielmarke von 5.000 Euro Spendengeld für Medico International geknackt und so konnten Pfarrer Thomas Knoll und ich die Gäste in einen schönen Sonntagabend entlassen. Es hat sich wieder einmal gezeigt: Solidarität in Erfurt kann auch in kürzester Zeit organisiert werden. Ich sage danke an alle Beteiligten, sowie die Wahlkreisbüros von Karola Stange, André Blechschmidt und mir, die genauso engagiert waren wie auch die Thomaskirchengemeinde. Einfach ein dickes Dankeschön.