Von Krieg, Frieden und der Energie der Zukunft
In dieser Woche erhielt ich einen Offenen Brief der Kreishandwerkerschaft Gera und Zeulenroda. Die Handwerkerinnen und Handwerker brachten darin ihre tiefe Sorge über die aktuelle weltpolitische Situation ebenso wie über die ganz konkreten Auswirkungen der gegenwärtigen Energiesituation zum Ausdruck. Meinen Antwortbrief möchte ich hier öffentlich zugänglich machen.
Vorweg ist mir allerdings wichtig zu betonen, dass ich all diese Ängste und Bedenken sehr ernst nehme, berühren sie doch ganz existenziell unser aller Alltag – mental, aber auch ökonomisch und sozial.
Wir stehen daher vor der Herausforderung, die berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Ukraine und des restlichen Europas zu verbinden mit einer Energiepolitik, bei der die Dekarbonisierung mit einer raschen, umfassenden, nachhaltigen und vor allem sozial gerechten Strategie gekoppelt wird, die ins Alltagsleben übertragen werden kann.
Der Sommer diesen Jahres hat uns auf beängstigend vielfältige Weise vor Augen geführt, wie hoch der Handlungsdruck geworden ist. Waldbrände in Deutschland und auf der ganzen Welt stecken den Globus in Brand. Die Pegelstände an Loire, Po und Rhein sind so niedrig, dass Sandbänke, von denen kein Mensch überhaupt noch wusste, dass sie existieren, wieder sichtbar werden. Das dynamische Abschmelzen der Gletscher ebenso wie das Auftauen der Permafrostböden und das Abschmelzen der Eiskappen an den Polen setzt die wichtigsten Meeresströmungen und Biotope unter Druck.
Die Überschreitung all dieser Kipppunkte muss uns wachrütteln. Wir haben kein Recht, die Erde, auf der wir leben, zu behandeln, wie es uns gerade passt. Wir müssen sie als eine Leihgabe begreifen, deren sichere und behutsame Übergabe an unsere Kinder und Kindeskinder unsere höchste Pflicht ist
Um hier die richtigen Schritte zu gehen, müssen wir miteinander um den richten Weg ringen. Dazu lade ich alle Akteure aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ein.
Mein Brief:
Sehr geehrter Herr Schweyer, sehr geehrte Damen und Herren Unterzeichnende,
o.g. Brief erreichte mich am 10.08.2022. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik ausschließlich in der Zuständigkeit des Bundes liegen, ich Ihr Schreiben daher auch vor diesem Hintergrund zur Kenntnis nehme.
Nichtdestotrotz stehe ich fest auf dem Standpunkt, dass wir bei all unseren politischen Entscheidungen und unterschiedlichen ökonomischen, persönlichen und sozialen Betroffenheiten die Augen vor dem völkerrechtswidrigen Putin’schen Angriffskrieg in Europa nicht verschließen dürfen.
Meine Vision von Europa ist die eines Kontinents des Friedens, der Freiheit und der guten Nachbarschaft, auf dem sich kein Land vor seinen Anrainern fürchten muss. Ich bin mir sicher, dass Sie als Unterzeichnende mit mir diesen Wunsch teilen.
In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich als Bundesratspräsident unter anderem unsere östlichen Nachbarn Polen und Rumänien (dort vor allem Geras Partnerschaft Temeswar) besucht. Nicht zuletzt aufgrund ihrer unmittelbaren räumlichen Nähe zu Russland wird dort von Deutschland wesentlich mehr Solidarität erwartet. Und wenn diese Erwartungshaltung meint, dass die Bundesrepublik in Europa in Zeiten der Unsicherheit und Krisen als Stabilitätsanker fungieren soll, kann ich diese Position sehr gut verstehen und nur unterstützen.
Weiterhin ist der Thüringer Landtag mit dem Parlament in Litauen verpartnert. Ich erwähne dieses, weil Deutschland im Allgemeinen und Thüringen im Speziellen in diesem osteuropäischen Partnerstaat großes Vertrauen genießt. Vilnius und Erfurt sind Partnerstädte mit einer langen Geschichte. Der litauische TÜV beispielsweise wurde von seinem Thüringer Pendant aufgebaut. Die NATO-Militärpräsenz in Litauen wird seit einiger Zeit von Thüringen aus geführt und organisiert. Soldatinnen und Soldaten aus unserem Bundesland sind seit längerem vor Ort, d.h. also, dass auch Landeskinder in unmittelbarer Nähe zum Krieg in der Ukraine ihren Dienst versehen.
Finnland und Schweden – um zwei weitere Beispiele zu nennen – beabsichtigen aktuell, den Schutz der NATO für ihre Länder zu erreichen.
Freilich wäre mir eine europäische Friedensunion lieber, da ich auch das aggressive Agieren und destabilisierende Verhalten des NATO-Partners Türkei deutlich missbillige.
Bei allen Debatten über die Art und Weise des Umgangs mit der aktuellen Situation muss jedoch aus meiner Sicht eines klar sein: Krieg als Mittel der Politik muss im 21. Jahrhundert umfassend geächtet werden.
Wer also eine europäische Friedensarchitektur unter Einbeziehung Russlands fordert – eine Idee, die ich, wie oben angedeutet, befürworte– kann nicht umhin, Wladimir Putin unmissverständlich klar zu machen, dass dafür zunächst die Waffen der Armee, die er völkerrechtswidrig in die Ukraine schickte, schweigen müssen und ihr Abzug dringend erforderlich ist.
Fürderhin nehmen Sie in Ihrem Schreiben Anstoß an einem „Kurs, der den Ausstieg aus der Energieerzeugung mit heimischen Brennstoffen und der Kernenergie besiegeln will, ohne dass zuverlässige und bezahlbare Alternativen vorhanden sind.“ Diese Positionierung überrascht mich, müssten doch gerade der HWK, aber auch der Innung und ihren Obermeistern die neuen Konzepte alternativer Energiegewinnung nicht nur bekannt sein, treiben sie diesen Ausbau doch auch tagtäglich in der Praxis sehr erfolgreich voran.
Ich zumindest weise immer wieder und seit langer Zeit deutlich und mit Nachdruck auf die Notwendigkeit und Innovationspotenziale des strategischen Dreiklangs aus dezentraler, regionaler und regenerativer Energiegewinnung hin – ein Modell übrigens, das nicht nur in Thüringen Zukunft hat. (Hierzu habe ich mich erst heute in der TLZ geäußert. Den entsprechenden Artikel lege ich Ihnen bei.)
Gerade für die Region Ostthüringen wäre die Bündelung sämtlicher vorhandener regenerativer Energiequellen nebst der Energiespeicher der lokalen Pumpspeicherwerke der Saalekaskade eine wirkliche Alternative zu den konventionellen Formen fossiler Energieerzeugung.
Was allerdings keiner von uns ernsthaft wünschen kann, ist eine Rückkehr zur Atomenergie. Gerade in Ostthüringen sind die Folgen der SDAG Wismut bis heute in Erinnerung, aber auch praktisch spürbar. Die Umwandlung der Kegelhalden von Ronneburg war seinerzeit eine Forderung aus der Region selbst, um die Asche- und Staubbelastung zu reduzieren. Das kontaminierte Wasser muss allerdings noch sehr lange und kostenaufwendig saniert werden. Ich bin der Bundesrepublik Deutschland dafür sehr dankbar, da die dort entstandenen Kosten weder von der DDR noch vom heutigen Thüringen hätten aufgebracht werden können.
Wie viele Bergleute an den Folgen einer Kontamination verstorben sind, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Klar ist allerdings – und das zeigen Beispiele wie Bad Schlema oder die BUGA in Ronneburg und Gera eindrücklich – warum es ein unschätzbarer Gewinn für eine Region ist, eben nicht mehr kontaminationsgefährdetes Atomwirtschaftsgebiet zu sein.
Wer Kernenergie fordert, muss sich weiterhin im Klaren darüber sein, dass ihre Erzeugung Brennstäbe benötigt. Wenn es seinerzeit – wie nach 1990 einmal avisiert – zum Bau eines Atomkraftwerkes in Remptendorf an der Bleilochtalsperre gekommen wäre – ich bin mir sicher, dass niemand die verbrauchten Brennelemente hätte lagern wollen. Umso betrüblicher stimmt es mich, wenn in der Region um Remptendorf heute Transparente gegen den Bau von Windkraftanlagen präsentiert werden, obwohl gerade diese Anlagen derzeit zu den preiswertesten Stromerzeugern zu zählen sind. Ohne Zweifel kommt es in diesem Kontext auch auf die richtige Dosierung an.
Mit dem sinnvollen Einsatz von Biomasse (Holz, Gülle,Grünschnitt, etc.), Solarthermie, PV und Wind- und Wasserkraft, verbunden mit der Speicherung volatiler Energien in den vorhanden Talsperren und Pumpspeicherwerken, hätten wir jedenfalls in Ostthüringen genügend Voraussetzungen, um eine Vorreiterregion zu werden.
Beim Braunkohleabbau allerdings Dörfer abzubaggern und ihren Bewohnern das Recht auf Heimat abspenstig zu machen, finde ich gerade dann ungerecht, wenn gleichzeitig auf Transparenten gegen Windkraft in Ostthüringen zu lesen ist: „Energie ist erneuerbar – Heimat nicht“.
Dörfer, die in der Bleilochtalsperre, dem Hohenwartestausee oder zuletzt in Leibis versunken sind – auch das ist „verlorene Heimat“. Und „verlorene Heimat“ werden auch der stetige Temperaturanstieg und das Austrocknen unserer Wälder in ungeahnten Größenordnungen zur Folge haben. Deshalb werbe ich für eine echte Energiewende – jetzt und nachhaltig. Dazu braucht es gute Handwerker und einen veränderungsbereiten Mittelstand, zu dem ich Sie zähle.
Deshalb bin ich ausdrücklich gern und jederzeit gesprächsbereit und führe bzw. vertiefe den Dialog mit Ihnen.
Sehr geehrter Herr Schweyer, sehr geehrte Unterzeichnende,
wir stehen in der Tat vor großen Herausforderungen, die ich nicht bestreite. Gleichwohl kommen wir einer Lösung nicht näher, wenn wir versuchen, die Sicherheitsinteressen der Ukraine sowie die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Normen gegen die berechtigten Bedürfnisse nach umfassender Energiesicherheit in Deutschland und der EU auszuspielen.
Mir ist in jedem Fall sehr daran gelegen, mit allen betroffenen Akteuren aus Handwerk und Industrie diejenigen Wege auszuloten, die uns sicher und solidarisch durch die gegenwärtige Zeit bringen und würde mich freuen, auch Sie hierbei an meiner Seite zu wissen.
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow