Vom Abschiednehmen in der Osterzeit
Für Christen in aller Welt ist Ostern ein besonderes Fest, steht es doch für das Leiden, aber auch die Auferstehung Jesu Christi. Letzteres, soviel Hoffnung spendende, Ereignis hat auch mich schon durch manche schwere Zeit getragen. Und doch war die diesjährige Osterzeit für mich vor allem eine Zeit des Abschiednehmens und Trauerns. Gleich fünf Menschen, die mich auf meinem Lebensweg in ganz unterschiedlicher Weise begleitet haben, sind von uns gegangen.
Mit Günter Pappenheim verstarb am 31.03. einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald. Erst vor kaum drei Jahren hatten wir seinen Bruder Kurt zu Grabe getragen, der wie Günter bis an sein Lebensende ein engagierter Antifaschist und Kämpfer gegen jede Form des alten und neuen Nazismus gewesen ist. Ich erinnere mich noch gut an meine Trauerrede zu Ehren von Kurt und wie schwer mir auch damals das Abschiednehmen fiel. Jetzt auch noch Günter zu verlieren ist ein harter Schlag. Er hat zwar ein gesegnetes Alter von 95 Jahren erreicht und er selbst wie auch wir anderen wussten natürlich, dass ab einem gewissen Punkt im Leben jeder Tag ein Geschenk ist. Und trotzdem: Das Gefühl des Verlusts und der Blick auf die nicht auszufüllende Lücke, die Günters Tod hinterlässt, haben mich sehr getroffen.
Noch Ende letzten Jahres konnte ich ihm in seiner Wohnung in Zeuthen den Thüringer Verdienstorden überreichen und erst vor wenigen Wochen telefonierte ich mit seiner Frau Margot, die mir freudig berichtete, dass Günter bald von einem Krankenhausaufenthalt zurückkehren würde und welche Hoffnung sie für die letzte Etappe ihres gemeinsamen Lebens hätten.
Sie wollten – auch, weil das Alter viele Selbstverständlichkeiten wie das Treppensteigen nicht mehr zuließ – ihre letzten Jahre in einem guten Pflegeheim verbringen. All dies kann jetzt nicht mehr sein. Aber jedes Mal, wenn wir den Schwur von Buchenwald sprechen, werden wir auch an Günter und sein Vermächtnis denken, das uns Auftrag ist.
Bereits wenige Tage vor Günter war am 29.03. mein alter Weggefährte Hans-Gerd Öfinger gestorben. Über viele Jahre war er nicht nur ein wichtiger Mitstreiter in der Partei DIE LINKE., sondern insbesondere ein hervorragender Journalist und Hessen – Korrespondent des Neuen Deutschland (ND). Seine zahlreichen unfassbar informierten Artikel zur hessischen Landespolitik, aber auch zu Spezialthemen wie Eisenbahn – oder Gewerkschaftspolitik haben – gerade auch in politischen Gremien – eine breite Leserschaft gefunden. Dass er nun an den Folgen einer COVID19-Infektion gestorben ist, schmerzt. Ich werde einen klugen und weitsichtigen Zeitgenossen schmerzlich vermissen.
Schließlich erreichte mich am Ostermontag über Umwege und aus heiterem Himmel die Nachricht vom Tod meines Mitstreiters Joachim Kaufmann. Ich sehe noch vor mir diesen einen Tag vor über 30 Jahren als ich Joachim das erste Mal im Erfurter Gewerkschaftshaus begegnet bin. Ich war frisch zugezogen und Joachim beriet damals unsere Gewerkschaftsmitglieder in allen möglichen Versicherungsfragen. Im Hauptamt bei der Volksfürsorge angestellt, war er ehrenamtlich ein äußerst rühriges Mitglied der Gewerkschaft HBV. In den letzten Jahren hatten wir noch häufig Kontakt, vor allem wegen Joachims zweiten großen Hobbies – nämlich des Funkens. Mit welcher Leidenschaft er jungen Menschen das kleine Einmaleins des Funkens beibrachte und alles über Kurz- und Langwellen verständlich zu erklären wusste, hat mich tief beeindruckt. In der Welt des 21. Jahrhunderts kann man sich kaum noch vorstellen, wie essentiell das Funken in früheren Jahrzehnten gewesen ist und mit welcher Aufregung man zufällig eingefangene Funksprüche aus der Ferne zu entschlüsseln suchte. Doch auch heute können wir – gerade in Notsituationen und bei mangelhaftem Netz – durchaus noch vom Funken profitieren. Das Neue mit dem Alten zu versöhnen war eine von Joachims großen Leidenschaften. Ich und die vielen jungen Menschen, die bei ihm das Funken von der Pieke auf lernten, werden ihn nie vergessen.
Meine langjährige hbv-Kollegin Giesela Mühlberg verstarb am 22.3.2021 – auch im betagten Alter. Als Jungsekretär hatte ich Gelegenheit viel von ihr zu lernen. Sie war eine außergewöhnlich standhafte und glasklare Frau. Im Einzelhandel hat sie uns ermutigt, kämpferisch die Kollegen zu begleiten. Den Beschäftigten Mut zu machen und dabei im Arbeitskampf auch Verantwortung zu übernehmen war stets ihr Credo. Frauenrechte und Emanzipation waren ihr selbstverständlich und bei der altäglichen Arbeit in der Gewerkschaft für sie unverhandelbare Grundsätze.
Zuletzt schließlich mussten wir Abschied von einem alten Frankfurter hbv-Urgestein nehmen – Heiner Halberstadt. Das linke Gewissen Frankfurts nannte man ihn. Wir begegneten uns bei der Arbeit an der Erfurter Erklärung und später standen wir gemeinsam mit Willy van Ooyen in so manchen Sturm in der Gründungsphase der Partei DIE LINKE. Er war mir stets ein ehrlicher und zuverlässiger Berater und Begleiter.
Giesela, Heiner, Günter, Hans-Gerd und Joachim waren sehr unterschiedliche Menschen und Charaktere, die auf ihren ganz eigenen Wegen jeden Tag daran mitgearbeitet haben, dass die Welt für viele Menschen ein Stück besser wurde. Sie hatten für ihre selbstgestellten Aufgaben Feuer gefangen und verstanden es, jeden, der ihnen begegnete, ebenfalls mitzureißen. Sie waren im besten Sinne des Wortes „Menschenfänger“.
Ich jedenfalls habe viel Kraft tanken können, bei und mit der Arbeit gemeinsam mit solchen Menschen, an deren Wirken ich mich orientieren und aufrichten konnte. Ihnen gehen meine Gedanken dieser Tage zu.