So weit weg vom erhofften Frieden

In den letzten Tagen haben die Aussagen von Günter Grass für viele Diskussionen gesorgt. Meine Gedanken dazu habe ich über Ostern aufgeschrieben. Sie wurden heute als Gastbeitrag in der TLZ veröffentlicht:
 
Günter Grass hat eine notwendige und überfällige Diskussion angestoßen und irrt trotzdem gewaltig! Er kritisiert zurecht die deutsche Waffenexport-Politik und greift das deutsch-israelische U-Boot-Geschäft richtigerweise an! Wenn er strikt aus einer friedenspolitischen Logik argumentieren wollte, dann müsste er aber die deutsche Kriegs- und Interventionspolitik genauso schonungslos angreifen und mit aller Schärfe die Panzerlieferungen für Saudi-Arabien kritisieren, um sich nicht dem Verdacht der überzogenen Israelkritik und dadurch des Antisemitismus zu geraten. Diesen Vorwurf halte ich allerdings für unzutreffend, wenn man das Gesamtwerk von Grass betrachtet und auch seine politischen Einwürfe der vergangenen Jahrzehnte berücksichtigt. Nur scheint mir, ist ihm irgendwie der Orientierungssinn beim Verfassen des Gedichtes abhanden gekommen. Was wollte er erreichen? Frieden? Den Weltfrieden gar? Durch unvergleichliche Gleichsetzungen gelingt dies nicht.

Ich war im Januar in Israel und im besetzten Westjordanland. Ich habe die quälende israelische Besatzungspolitik und deren unmenschliche Facetten in Hebron erleben müssen, aber ich habe auch die Friedensaktivisten von ”All for Peace“ in Jerusalem besucht (siehe Foto). Im Haus der Journalisten-Gewerkschaft in Tel Aviv konnten wir eine beeindruckende Ausstellung über die Bedrohung der israelischen Pressefreiheit durch die ständige Kriegssituation betrachten. Aber dazu muss man auch wissen: Diese Bilder werden öffentlich ausgestellt.

Wir in Deutschland sollten nie vergessen, dass Israel seit der Staatsgründung faktisch im Kriegszustand ist. Von Anfang an wollten die arabischen Nachbarn diesen Staat der Juden verhindern und sie mit Waffengewalt ins Meer treiben. Aber nach der Shoa gab es den wohl sehr verständlichen Wunsch vieler Juden, nie mehr wehrlos zu sein. Dieser Wunsch hat etwas mit deutscher Schuld und Verantwortung zu tun. Deshalb sollte von einem Deutschen, der auch im verbrecherischen NS-Regime Dienst verrichtet hat, mehr Differenziertheit abverlangt werden, denke ich.

Nun sollten wir aber nicht die berühmte deutsche Antisemitismus-Keule rausholen, nur weil Günter Grass ein Gedicht geschrieben hat. Wir sollten es gemeinsam lesen und unsere Argumente austauschen. Unsere Argumente für Frieden, denn darum muss es gehen!

Der Weltfrieden wird zur Zeit überall bedroht! Atomwaffen in Pakistan, bei einer völlig unübersichtlichen Regierungsperspektive, aber auch religiöse Massenmorde in Indien oder Nigeria, um nur ein paar Stichworte zu nennen! Günter Grass stößt eine wichtige Frage an: den Waffenexport Deutschlands! Leider hat er unter Rot-Grün dazu ohrenbetäubend geschwiegen. Auch in Deutschland gibt es Atomwaffen, quasi als Hinterlassenschaft der US-Armee. Das wird bei den Ostermärschen schon seit Jahrzehnten heftig vorgetragen. Na und? Interessiert kaum einen. Also reden wir über israelische Atomwaffen und den Iran. Wie kam das ganze Atomzeugs in die Region? War da nicht auch deutsche Technologie im Spiel? Waffen liefern wir in die ganze Welt! Bauen oder finanzieren wir nicht gerade wieder Atomreaktoren in Brasilien?

So einfach kommt Günter Grass also nicht weg, wenn er glaubwürdig für den Frieden in der Welt eintreten will. Dann muss er den Kehrbesen zuerst bei uns ansetzen. Da waren Poeten in Deutschland mal entschiedener! Die großen Friedensdemos im Bonner Hofgarten jähren sich gerade zum 30. Mal. Da saß im Hofgarten vor 300000 Menschen (und mir) der Erfurter Propst Heino Falke zwischen Willy Brandt und Petra Kelly mit seinem kleinen Transparent, auf dem aus dem Lukasevangelium stand: ”Schwerter zu Pflugscharen!“ Zeitlos aktuell wie das Mahnmal vor der UN, aufgestellt von der Sowjetunion. Dieser inzwischen untergegangene Staat hatte einst auch für das Entstehen Israels gestimmt, unter der Voraussetzung der Zweistaatlichkeit…

Und bevor viele CDUler auf Grass schimpfen, darf ich daran erinnern, dass es auch 30 Jahre her ist, das der Unionsparteitag übertitelt war mit: ”Frieden schaffen mit immer weniger Waffen!“ Diese Hoffnung auf Abrüstung und Frieden erfüllt sich eben nicht mit Hochrüstung und permanenter Kriegslogik! Wir müssen umkehren: Landminen verbieten und das Verbot wirksam durchsetzen. Das Prinzip der KSZE für den Nahen Osten einführen, keine Waffen mehr liefern und eine Partnerschaft für den Frieden vorleben. Wie wäre es mit Gaza-Stadt und der Westbank als Friedensregion, entmilitarisiert und unter einem Staatenverbund als Klammer?

Israel hat kein Recht, unter kriegerischer Absicht den Iran anzugreifen. Denn in der gleichen Logik müssten andere Atommächte Israel, Nordkorea oder Pakistan angreifen. Wohin führt so etwas? In ein atomares Fiasko. Die Blocksysteme sind zerbrochen und wir sind vom erhofften Frieden entfernter als je zuvor! Es wird Zeit, über Abrüstung zu sprechen. Es wird Zeit, Waffenproduktionen die moralische Grundlage zu entziehen und die freien Kapazitäten für den zivilen Umbau der Energieproduktionen zu nutzen.

Nach Auschwitz ist nichts mehr wie es war. Das stimmt für jeden Sinti und Roma und für jeden Juden auf der Welt! Das stimmt auch für jeden Deutschen! Schwerter zu Pflugscharen: Ich lass mich da nicht beirren! In der hohen Zeit der Friedensbewegung sagten wir: Nach Rüstung kommt Krieg! Versuchen wir es doch mit Frieden als Leitidee.

An Herrn Grass habe ich aber noch eine Bitte: Nicht einfach von Israel und Iran sprechen, denn dort leben Menschen, die vom Frieden träumen. Und es gibt die Falken in den Regierungen, die den Kampf gegen den Feind für gewinnbar halten. Die vom Frieden träumenden Menschen werden die Opfer sein in Israel und im Iran. Und den Gewinn werden die Rüstungskonzerne einstreichen! Aus dem Unfrieden wird der höchste Gewinn gezogen.