„Er war einer, dem sein Gewissen verbot zu schweigen.“ – Abschied von Günter Pappenheim

Am Mittwoch, den 06.05., nahmen wir in Zeuthen Abschied von Günter Pappenheim und damit von einem Menschen, der sein ganzes Leben dem Kampf gegen Rassismus und Faschismus gewidmet hatte. Erst vor wenigen Monaten, im November 2020, war es mir vergönnt Günter in seiner Wohnung den Thüringer Verdienstorden als Zeichen der Anerkennung und des Dankes für seine unermüdliche Arbeit für Frieden und Solidarität, gegen das Vergessen zu überreichen.
Die Nachricht seines Todes am 31.03. hat mich dann umso härter getroffen.

Günter und sein vor einigen Jahren verstorbener Bruder Kurt Pappenheim waren für mich über Jahrzehnte väterliche Freunde und Vorbilder. Beide wurden wegen ihres antifaschistischen Engagements von den Nationalsozialisten verfolgt und eingekerkert – Kurt in einem Zwangsarbeitslager, Günter im KZ Buchenwald. Sie zahlten für ihren Widerstand gegen den braunen Terror einen hohen Preis – und das im vollen Bewusstsein der möglicherweise tödlichen Konsequenzen. Uns Nachgeborenen ist heute vielfach kaum mehr bewusst, welchen fast unmenschlichen Mutes es bedurfte, sich da aufzulehnen, wo Millionen Mitläufer, Täter und Wegseher zujubelten und wo jede oppositionelle Meinungsäußerung auf dem Schafott enden konnte.

Die Brüder Pappenheim überlebten den Krieg. Günter war dabei als auf dem Appellplatz in Buchenwald die Überlebenden den „Schwur von Buchenwald“ leisteten:

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.“

Diese Zeilen waren Günter lebenslang Aufgabe und Antrieb zugleich. Bis ganz zuletzt hat er immer wieder sein Wort erhoben gegen die alten und die neuen Nazis, gegen diejenigen, für die die Freiheit und die Würde eines jeden Einzelnen nicht mehr sind als Worthülsen. Er war einer, dem sein Gewissen verbot zu schweigen. Er hatte erlebt, was es bedeutete, wenn Menschen zu Zahlen gemacht, wenn Rassismus und Antisemitismus widerspruchslos zur erbarmungslosen „Moral“ eines selbsternannten „Herrenmenschentums“ ausgerufen wurden. Dagegen aufzustehen – und zwar bereits in den Anfängen und nicht erst dann, wenn Widerstand leisten wieder Todesgefahr bedeutete – hat Günter uns ins Stammbuch geschrieben. Dafür arbeitete er unermüdlich in vielen unterschiedlichen Funktionen, bspw. als Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora oder als Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald Mittelbau-Dora e.V.

Es ist noch nicht lange her – einige Monate – da telefonierte ich mit seiner Frau Margot, die mir freudig davon berichtete, dass ihr Günter bald von einem Krankenhausaufenthalt zurückkehren würde. Sie war trotz der Altersleiden froh und optimistisch mit ihm noch einige gute Jahre in einem schönen Pflegeheim verbringen zu dürfen. Dass der Tod Günter diesen Plan zunichte gemacht hat zeigt mir, wie unvorhersehbar das Leben häufig ist.

Ich habe Günter und Kurt über 25 Jahre lang gekannt. Seit 1991 war ich immer bei den jährlichen Gedenkfeierlichkeiten in der Gedenkstätte Buchenwald. Ich sehe Günter vor meinem inneren Auge dort – umgeben von seinen Kameraden – auch heute ganz deutlich stehen. Sie alle stehen dort – für Demokratie, für Freiheit und für all ihre Kameraden, die nicht überlebten. Warum? Weil Leben Verantwortung bedeutet.

Mit Günter Pappenheim ist der letzte deutsche Überlebende des KZ Buchenwald von uns gegangen. Ich werde ihn nie vergessen.