Ein unbeugsamer Geist

Am 12. Mai wurde Altpropst Heino Falcke 90 Jahre alt. Im vergangenen Jahr konnte ich ihm das Bundesverdienstkreuz überreichen und am Samstag gemeinsam mit vielen anderen Gästen seinen Geburtstag feiern und begehen.

Heino Falcke ist eine herausragende Persönlichkeit, die die Evangelische Kirche in der DDR geprägt hat, wie kaum jemand anderes. Ob in der Friedensarbeit oder auch in der Auseinandersetzung mit dem Thema „Christen im Sozialismus“. Immer hat er Stellung bezogen und Haltung bewiesen.

Sein Text:  „Christus befreit – darum Kirche für andere“ mag beispielhaft dafür stehen. Eine schöne Würdigung seines Lebens ist in „Glaube und Heimat“ nachzulesen.

Ich will hier meinen Text veröffentlichen, die ich für die Festschrift zum 90. Geburtstag von Heino Falcke geschrieben habe:

Meine erste Begegnung mit Heino Falcke war aufregend. Es war der 10. Juni 1982 und wir jungen Marburger Gewerkschafter befanden uns in einem Bus auf dem Weg zur größten deutschen Friedenskundgebung in Bonn. Stunden dauerte der Anmarschweg von den Autobahnen, wo die Busse abgestellt wurden, um zur Hauptkundgebung am Rheinufer zu gelangen. Ich erinnere mich an brütende Hitze und nette Menschen:  Um uns unter der brennenden Sonne vor dem Dehydrieren zu schützen, wurden wir mit Gartenschläuchen nass gespritzt. Schließlich drangen wir zur großen Hauptbühne vor, auf der alles, was Rang und Namen hatte, versammelt war. Ich sah, neben vielen anderen, Willy Brandt und Petra Kelly und zwischen ihnen sitzend Propst Heino Falcke aus Erfurt (DDR) mit seinem Transparent „Schwerter zu Pflugscharen“. Natürlich konnte er mich nicht sehen, denn ich stand mit 500.000 weiteren Menschen vor der Bühne, – aber ich sah ihn und sein Transparent entzweite meinen Freundeskreis.

Die einen meinten, dass die Friedensbewegung in der DDR wichtig und der Kampf auch gegen sowjetische Raketen gleichrangig sei. Andere waren der Meinung, diese DDR Friedensbewegung würde doch unseren antifaschistischen Nachbarstaat unterminieren. An diesem Konflikt erinnere ich mich sehr lebhaft, denn er betraf mich auch persönlich. Letztlich gelangte ich für mich zu dem Schluss, dass ein Abrüstungsbemühen auf allen Seiten, der richtige Weg sein muss. Ich vermag in keiner atomaren Waffe irgendetwas „friedliches“ oder „friedenstiftendes“ zu erkennen.

Ohne, dass Heino Falcke und ich uns darüber hätten austauschen können, war er doch derjenige, der bei mir mit seinem Plakat einen wesentlichen Impuls ausgelöst hat. Neugierig durch das Signet stieß ich auf die Bibelstelle des Propheten Micha und auf das Mahnmal, das die Sowjetunion den Vereinten Nationen geschenkt hatte. Dieser Widerspruch zwischen der Aussage des geschenkten Mahnmals der Sowjetunion und dem Verfolgungseifer der DDR-Sicherheitsorgane, aber auch der DDR-Oberen gegen diejenigen, die sich dieses Signet auf den Parka nähten, gab mir einen weiteren Denkanstoß der besonderen Art. Heino Falcke ist ein besonderer Mensch. Seine  Haltung wirkte über Systemgrenzen hinweg – zu einer Zeit, in der sich niemand hätte vorstellen können, dass irgendwann einmal der Westdeutsche Bodo Ramelow und der DDR-Pfarrer Heino Falcke zusammen im Erfurter Augustinerkloster sitzen und über einen Text philosophieren, welcher zu einem Aufruf für mehr Solidarität und Gerechtigkeit im vereinten Deutschland führen sollte: die Erfurter Erklärung.

Wir verdanken Heino Falcke zahlreiche Denkanstöße, die immer wieder durch seine eindeutige und klare Haltung ausgelöst wurden. Auch sein klares Bekenntnis zur Schöpfung basierend auf der Kraft seines Glaubens hat ihn immer wieder motiviert, den Christinnen und Christen in der DDR Mut zu machen, um für eine lebenswerte Umwelt zu streiten. Dazu gehörte die Erkenntnis, wie an der Natur Raubbau betrieben wurde und das Streben nach an einer gerechten Teilhabe und einer globalen Verantwortung.

Zehn Jahre nach der friedlichen Revolution nahm ich mit Heino Falcke an einer Veranstaltung zur Erinnerung an den konziliaren Prozess teil. Es war für mich ein Donnerschlag, die Texte des konziliaren Prozesses zu hören und zu lesen und zu spüren, dass die Arbeit, die Christinnen und Christen in der DDR mit dem konziliaren Prozess geleistet haben, bis heute zeitlos aktuell sind. Natürlich entstanden diese Texte aus der DDR-Innensicht. Zehn Jahre später weiteten wir unseren Blick auf globale Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten in größeren Dimensionen. Deshalb ist auch der konziliare Prozess eine wesentliche Etappe auf dem Weg zu einer gerechteren Welt. All das eingebettet in einen festen Glauben und die Wahrnehmung einer höchstpersönlichen, täglichen Verantwortung für Gerechtigkeit, Solidarität, Mitmenschlichkeit und Humanität verbinde ich mit Heino Falcke.

Deshalb ist es mir eine Freude, dem lieben Bruder Heino Falcke herzlichst zum 90. Geburtstag zu gratulieren und für die vielfältigen Impulse zu danken, die mein Leben sehr beeinflusst und an einigen Stellen zentral verändert haben. Die Erfurter Erklärung ist für mich der Ausschlag gewesen, über einen breiteren politischen Kanon nicht zur nachzudenken, sondern dafür zu wirken. Rot-Rot-Grün in Thüringen hat seine Wiege in der Erfurter Erklärung und im Augustinerkloster. Dafür gebührt Heino Falcke mein herzlichster Dank – bis  heute prägt er mich mit seinen Denkanstößen.