Nachdenkliches von Heino Falcke – Ökologische Verantwortung in Coronazeiten
Mein Mitstreiter aus Zeiten der Erfurter Erklärung, Propst Heino Falcke, war schon damals einer der klügsten und wichtigsten Mahner und Denker in unserem Umfeld und ein wortgewaltiger Vertreter einer solidarischen evangelischen Theologie. Seine Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit 2020, aber auch zu Ökologie und Bewahrung der Schöpfung in COVID19-Zeiten möchte ich einer breiten Leserschaft hiermit zur Verfügung stellen. Danke Heino!
Ökologische Verantwortung in Corona-Zeiten
Heino Falcke 3.10.2020
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich grüße Sie und freue mich, dass Sie sich zum Thema
Schöpfungsverantwortung gerade an diesem Tag versammeln. Alles
kreist heute um die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland vor 30
Jahren – natürlich freudig. Was denn sonst?
Diese Thematik aber muss jetzt mit der Frage verkoppelt werden, die
damals weithin ausgeblendet wurde, uns jetzt aber auf den Nägeln
brennt: die Bewahrung der Schöpfung. So nannten wir es damals, heute
bedrängt es uns als Klimakrise und Corona-Pandemie.
Es bestreitet fast niemand mehr, dass die Vereinigung seitens der DDR
der Beitritt zur Bundesrepublik war. Es war ein Systemwechsel von Ost
nach West.
Die friedliche Revolution aber, die dem Beitritt vorausging, hatte einen
Systemwandel beider Systeme angestrebt, weil beide Systeme nicht
zukunftsfähig sind. Dieser Systemwandel orientierte sich an den drei
Leitkriterien Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Heute
würden wir, bedrängt von Pandemie und Klimakrise, das
Schöpfungsthema an die erste Stelle setzen.
Die Süddeutsche Zeitung vor einer Woche nannte die Doppelkrise „Das
teuflische Duo“ und fragte: „Wie hält man so viel Weltuntergang aus?“
(SZ 26/27. Sept. Titelseite )
Luisa Neubauer forderte kürzlich im Interview den Systemwandel.
Gegenfrage: „Kennen Sie ein besseres System?“ Antwort: „Warum soll
es nicht möglich sein aus der Dichotomie von Sozialismus und
Kapitalismus auszubrechen? Hey es ist ein neues Jahrhundert…es gibt
Ökonomen, die in solche Richtungen denken. Sobald aber jemand
vorschlägt, unser Wirtschaftssystem so zu verändern, dass es nicht mehr
unsere Existenz gefährdet, sagen die Leute gleich: Was? Sozialismus?“
(SZ 19/20.Sept. S.7)
Systemwandel also! Transformation!
Wir werden nachher besprechen, welche praktischen Schritte das in
verschiedenen Lebensbereichen erfordert.
Ich will in den mir bleibenden Minuten versuchen, an zwei biblische
Wahrheiten zu erinnern, die mir in den letzten Monaten besonders
wichtig wurden:
1. Habt Grundvertrauen in die Zukunft der Schöpfung.
2. Seid Haushalter, nicht Ausbeuter der Erde.
Zum ersten Punkt: In den letzten Monaten habe ich bisweilen echte Angst gespürt.
Zerstört unsere Zivilisation jetzt wirklich sich selbst und das Leben der
Erde mit? Migrationskrise, Klimakrise, nun auch noch diese
mörderische Pandemie, wie eine bösartige Nachäffung unserer
Globalisierung. Und in den Kernwaffenarsenalen liegt immer noch ein
Zerstörungspotential, ausreichend, die Erde mehrfach zu veröden.
Ist es so, dass die Angst in diesem Herbst wieder wächst?
Die Menschen der Bibel kennen diese Ängste vor dem Chaotischen und
Zerstörerischen in der Natur und der mörderischen Gewalt, die von
Menschen und ihren Mächten ausgeht. In den Klagepsalmen hören wir
die Stimme der Leidenden. Sie klagen ihre Ängste dem Gott, dessen
rettende Macht sie erfahren haben. Hält er nicht die ganze Welt in seiner
Hand und steht nicht alle Zeit in seinen Händen?
Ja, das bezeugt die Schöpfungsgeschichte. Sie ist eine Geschichte gegen
die Angst, gegen die Angst vor dem Chaos, dem Nichts und dem
Zunichtewerden. Sie stiftet ein Grundvertrauen, das den lähmenden,
angstbesetzten Erfahrungen standhält. Angst verschließt sich vor
der Zukunft. Grundvertrauen öffnet sich für sie, nimmt ihre Chancen
wahr und stellt sich ihren Gefahren.
Wissenschaft und Technik gestalten heute die Welt tiefgreifend und mit
weitreichenden Langzeitfolgen. Sie übernehmen damit eine so
weitgespannte Verantwortung für die Folgen ihrer Erfolge wie noch nie
in der Geschichte. Ein kleines Stück davon erleben wir gerade im
Umgang mit Corona!
Dafür aber braucht es das Grundvertrauen, den langen Atem, zähes
Dranbleiben, Korrekturbereitschaft, offene Kommunikation.
Zu diesem Grundvertrauen beizutragen, scheint mir die vielleicht
wichtigste Aufgabe der Kirche in Coronazeiten zu sein.
Damit komme ich aber schon zu dem zweiten Punkt:
Seid Haushalter nicht Ausbeuter der Erde
Die Schöpfungsgeschichte erzählt, dass Mann und Frau zum Ebenbild
Gottes geschaffen wurden. Sie bekommen den Auftrag, über alle
Lebewesen zu herrschen und die Erde zu bebauen und zu bewahren. Sie
sind die Mandatare, die Haushalter Gottes auf der Erde. Ihr Handeln im
kKeinen soll dem Handeln Gottes im Großen entsprechen wie ein Abbild
dem Urbild. Darin bewährt sich der Mensch als Ebenbild Gottes. Das ist
seine Menschenwürde. Das meint der Satz: “Machet euch die Erde
untertan!“ Ja, der Mensch muss sich auch wehren gegen das
Lebensfeindliche in Natur und Geschichte, aber wie der gute Herrscher,
der Leben schützend regiert.
Gleichwohl ein gefährlicher Satz! Das zeigt seine Auslegungsgeschichte.
In der frühen Neuzeit wurde der Herrschaftsauftrag im Sinn einer
absolutistischen Herrschaft des Menschen verstanden. Die rasant
fortschreitende Wissenschaft wurde das Instrument dieser Herrschaft.
„Wissen ist Macht“ hieß es nun. Sie macht den Menschen zum „Meister
und Besitzer der Natur“. Die belebte wie unbelebte Natur wurde so zum
Objekt dieser Machtausübung.
Seit etwa fünfzig Jahren spricht sich herum, wie mörderisch diese
Vergewaltigung der Natur für das Leben und die Zukunft unseres
Planeten ist. Es bildete sich eine Bewegung, fast so etwas wie eine
Erweckungsbewegung neuer Verantwortung für die Natur, für den
Frieden mit ihr und in ihr. Sie nannte sich Ökologie. Oikos ist das
griechische Wort für Haus. Ökologie meint also Haushalterschaft bzw.
Wissenschaft von der Haushalterschaft. Da ist also die säkulare Moderne
– ohne es zu wissen – zu der biblischen Schöpfungsgeschichte
Zurückgekehrt – nein besser: sie hat deren Konzept in die heutige Welt
übersetzt.
Die Ökologie hat schon viele Bereiche unseres Lebens nachhaltig
Verwandelt. Dass es hier aber um eine der fundamentalen Lebensfragen
unserer Welt geht, ist immer noch nicht wirklich angekommen – in der
Wirtschaft nicht, in der Politik nicht, und bei uns selbst wohl auch nur
halbherzig.
Aber jetzt meldet sich „Fridays for future“, die Schüler*innenbewegung.
Sie haben die unbestreitbare Kompetenz der Betroffenen, denn es geht
um ihre Lebenszukunft. Die Kompetenz der Betroffenen fordert die
politische Kompetenz heraus. Es geht nicht nur um einzelne Reformen
im alten politischen System.* Ich zitierte ja eingangs schon Luisa
Neubauer „es gilt das Wirtschaftssystem so zu verändern, dass es nicht
unsere Existenz gefährdet.“
Wird die Politik diesen Systemwandel schaffen? Die Kanzlerin meinte
bei der Vorstellung der Beschlüsse der Bundesregierung zu dieser Sache
fast achselzuckend: „Politik ist das mögliche“. Ein anderer Politiker
hatte vor etwa 40 Jahren z.Zt. der Friedensbewegung gesagt:
“ Gute Politik ist die Ermöglichung des Notwendigen.“ (Erhard Eppler )
Mit diesem guten Wort will ich schließen. Machen Sie gute Lokalpolitik,
gute Umweltpolitik, gute Schulpolitik, gute Kirchenpolitik usf.
Ich danke Ihnen.
*Fußnote:
„Das outsourcing aller Probleme an uns Klimaaktivisten ist nichts weiter
als eine gute Vermeidungsstrategie auf politischer Ebene…wir erleben
eben wie wir dabei an systemische Grenzen stoßen…am Ende werden wir
zwangsläufig in einem System landen, das nicht mehr der fossile
Kapitalismus ist, den wir kennen.“ (SZ 19/20 Sept.2020 S.7)