Närrischer Rückblick

Seit Kurzem – nämlich seit dem 14.02. – bin ich endlich wieder offiziell an der Macht. Vorher, in der närrischen Session, herrschten in der Thüringer Staatskanzlei die „5-Faltigkeiten“ ein Gespann aus närrischen Frauen, die am 11.11. um 11.11 Uhr die Macht an sich gerissen hatten. Diese frömmelnde Bezeichnung haben die Organisatorinnen des Staatskanzlei Faschings nicht zuletzt deshalb für sich gewählt, da die diesjährige Sitzung sich unter dem Motto „Außer Thesen nix gewesen“ an das 500. Reformationsjubiläum anlehnte.

Bis Altweiber regierten die Damen nahezu geräuschlos – innerlich atmete ich bereits auf. Doch am „Fettdonnerstag“, an „Weiberfastnacht“ bzw. am „schmutzige Dunschtig“, wie er in manchen Regionen Deutschlands heißt, wurde ich entführt: Gemeinsam mit dem Präsidenten des Landesverbands der Thüringer Karnevalvereine, Michael Danz, ging es auf Tour nach Kitzingen, wo wir pünktlich um 11.11 Uhr eintrafen. Nach der obligatorischen Krawattenbeschneidung folgte eine Führung durch das deutsche Karnevalsmuseum, das zwar nicht in Thüringen liegt, aber durch Thüringer Närrinnen und Narren unterstützt und mit aufgebaut wurde.

Hier erhielt ich eine amüsante und zugleich wissenschaftlich fundierte Führung durch die reiche Geschichte des Karnevals als elementarem Bestandteil unseres kulturellen Erbes.

Die deutschen Karnevalshochburgen sind bekanntlich durchaus sehr unterschiedlich: Während man in der alemannischen Fasnet eher Heimatpflege betreibt und die Närrinnen und Narren auch schon einmal als lustige Rebläuse in Mannschaftsstärke auftreten, entstand der rheinische Karneval als Verballhornung des Militarismus. Allen  Spielarten ist jedoch der durchaus ernste Hintergrund der Narretei als eine Art „Ventilbrauch“ gemein. Seit jeher verkehren sich in der Fastnacht „oben“ und „unten“ – wie bereits die Hofnarren zu fürstlichen Zeiten, gilt für die Feiernden die sprichwörtliche „Narrenfreiheit“. Alles darf gesagt werden. Vor allem gegen die Obrigkeit. Vergebens bemühten sich die Nationalsozialisten darum, den Karneval für sich zu vereinnahmen, indem sie in Köln beispielsweise die traditionell männliche Jungfrau weiblich besetzen ließen. Immer und überall gab es Karnevalisten, die sich ihre Freiheiten nicht nehmen ließen – und dafür teils mit dem Leben bezahlten.

In Kitzingen wurde mir einmal mehr bewusst, warum ich immer Karneval feiern werde: Erstens aus Spaß an der Freude. Aber zweitens auch, weil man die Fastnacht als „Stimme des Volkes“ nicht unterschätzen sollte. „Nun liegt genau hier der Sinn der Narretei: In der Zivilisierung der Triebabfuhr, aber auch darin, dass die Verhältnisse, in die man sich schicken muss, nüchtern nicht zu ertragen sind. (…) Wer den Karneval abschaffen will, sollte sich die Frage stellen, ob es nicht besser wäre, man löse das Volk auf und wähle sich ein anderes.“, kommentierte Jürgen Amendt es neulich im Neuen Deutschland – und ich kann ihm nur Recht geben.

Im weiteren Verlauf des Tages entführten mich die 5-Faltigkeiten nach Wasungen – eine, wenn nicht *die* wichtigste Thüringer Karnevalshochburg. In meiner Zeit als Ministerpräsident empfange ich jedes Jahr die Thüringer Karnevalsvereine und besuche Sitzungen in ganz Thüringen. Dabei haben sich einige interessante Orden und andere Kleinodien angesammelt, die ich dem Thüringer Karnevalmuseum vermachen wollte. Auch in Wasungen empfingen uns gut gelaunte Närrinnen, mit Scheren und Pfannkuchen bewaffnet. Auf einem kleinen Rundgang bestaunte ich den Facettenreichtum des Thüringer Karnevals und lernte die Wasunger Stadtgeschichte noch besser kennen.

Gegen 17.00 war es dann so weit: Auf der letzten Station des Tages stürmten wir gemeinsam das Gothaer Rathaus. Mit einem „Gothsch Helau“ begrüßten wir die Gothaer Narrenweiber und den Oberbürgermeister Knut Kreuch auf der Bühne vor dem roten Gothaer Rathaus, dessen Vorplatz gut gefüllt war. Tanzend und lachend mussten sich hier die Herren der Schöpfung der weiblichen Übermacht geschlagen geben. Nachdem wir Knut Kreuch den gefühlt tonnenschweren Stadtschlüssel abgenommen hatten, kehrten wir kurz ein, um danach ins heimische Erfurt zurückzukehren und den erschöpften 5-Faltigkeiten doch noch zu entkommen.

Glücklicherweise benötigten die Damen noch einige Reserven zur Vorbereitung der TSK-Faschingssitzung am Rosenmontag und zum Empfang der Thüringer Karnevalsvereine am Veilchendienstag.

Auch der politische Aschmittwoch in Thüringen fand für mich bereits an besagtem Dienstag statt. Seit vier Jahren fahre ich an diesem Tag nach Suhl, die jedes Jahr mehr Besucher und Prominente anzieht. Auch dieses Jahr war das CCS in Suhl restlos ausverkauft. Im Mittelpunkt steht dabei der Redewettbewerb zwischen den Suhler Stadtratsfraktionen um den „Rasselbock“. 6,66 Minuten Zeit sind und am Ende entscheiden die Zuschauer, welcher Beitrag den „Rasselbock“ gewinnen wird.

Ich kann also weitaus entspannter an den Abend herangehen, denn ich starte außerhalb der Konkurrenz. Und so habe ich meine Auftritte in Suhl in der Vergangenheit dazu benutzt, um vor allem für meinen Großen Frankenplan zu werben, also ein unabhängiges Franken, das bis Frank(en)furt reicht. Das hätte den Vorteil, dass Nordhessen zu Thüringen käme und alle Beratungen zum Länderfinanzausgleich viel entspannter wären… aber es kommt nicht dazu, denn die Bayern haben meinen Plan durchschaut und schnell einen Franken, nämlich Markus Söder, zum Ministerpräsidenten gemacht… Was für ein Coup. Nun ja, da muss ich mir was neues einfallen lassen.

Mein Redebeitrag von diesem Jahr ist übrigens hier zu sehen: https://www.mdr.de/thueringen/sued-thueringen/suhl/video-175562_zc-60c0691f_zs-88df2b1e.html

Am Aschermittwoch endete meine „Session“ erneut in Franken, wo sie in Kitzingen begann, doch ganz untypisch für den politischen Aschermittwoch. DIE LINKE in Aschaffenburg hatte mich für ihren Aschermittwoch eingeladen zu einem Vortrag über die Regierungserfahrungen von rot-rot-grün in Thüringen. Dieser Besuch begann mit einem Besuch des Jüdischen Museums in Aschaffenburg auf dem Gelände der Synagoge, die in der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 niedergebrannt wurde. Ein besinnlicher Moment zum Ende der Karnevalszeit, der mir noch mal ins Bewusstsein gerufen hat, wie wichtig eine aktive Erinnerungskultur ist, gerade wo es immer weniger Zeitzeugen gibt, die noch selbst berichten können. Der Verein in Aschaffenburg hat einen tollen Ort geschaffen, der über jüdisches Leben in Aschaffenburg, über die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Gemeinde und die jüdische Religion informiert. Ein wirklich spannender Ort.