Der Tag der Deutschen Einheit 2021 – ein kurzer Rückblick

Am vergangenen Wochenende fanden in Halle und Altenburg die Festveranstaltungen anlässlich des Tages der Deutschen Einheit statt. Jedes Jahr wecken sie aufs Neue in mir die Erinnerung an die Tage und Monate der Zeit zwischen 1989 und 1990, die für mich und so viele andere Menschen prägend werden sollten.

Besonders beeindruckte mich in diesem Jahr die – mutmaßlich letzte – große Rede von Bundeskanzlerin Merkel, in der sie ungewöhnlich tiefe und persönliche Einblicke in ihre ganz eigene Biografie als ostdeutsche Politikerin gab. In zwei kleinen Anekdoten gelang es ihr, dasjenige darzustellen, was viele Ostdeutsche in den Jahren nach 1990 immer und immer wieder erlebt haben. Zum einen verwies sie auf eine Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Geschichte der CDU in der es hieß:

„Sie (Angela Merkel, Anm.: BR), die als Fünfunddreißigjährige mit dem Ballast ihrer DDR-Biographie in den Wendetagen zur CDU kam, konnte natürlich kein ‚von der Pike auf’ sozialisiertes CDU-Gewächs altbundesrepublikanischer Prägung sein.“

Zum anderen zitierte sie einen WELT-Artikel, in dem ein Journalist zu einer Merkel-Rede anno 2015 in der Hochzeit der Geflüchtetenpolitik bemerkte:

„Und sie tat etwas, was keiner ihrer Amtsvorgänger je getan hatte: Sie distanzierte sich einen Atemzug lang von der Republik, deren zweite Dienerin sie doch war. Sie sagte: Wenn man sich dafür entschuldigen müsse, in der Flüchtlingskrise ein freundliches Gesicht gezeigt zu haben, ‚dann ist das nicht mein Land’. Da blitzte einen Moment lang durch, dass sie keine geborene, sondern eine angelernte Bundesdeutsche und Europäerin ist.“

Die eigene ostdeutsche Biografie als Ballast und die Abqualifizierung als „angelernte Bundesdeutsche und Europäerin“? All das sind nicht Singularitäten, sondern waren und sind Alltagssituationen, an die sich viele Menschen erinnern können.

In meiner Zeit als Ministerpräsident habe ich bei unterschiedlichen Terminen gelernt, dass Angela Merkel alle Themen, die ganz spezifisch ostdeutsche Probleme und Konstellationen betrafen, sehr genau und detailliert kannte. Sie oder ihre ostdeutsche Biografie hat sie allerdings nie offensiv benannt oder adressiert. Bisweilen hatte man den Eindruck, dass die Kanzlerin sich in einer westdeutsch und männlich dominierten Partei gleich doppelt neutralisieren musste – als Frau und als Ostdeutsche.

Es ist häufig das Eintreten des Unerwarteten, das uns hellwach werden lässt. Und genau das geschah in dieser Rede, die mich gerade auch deswegen sehr berührt hat. Freilich hätte ich mir gewünscht, dass Angela Merkel auch im Interesse eines gedeihlichen Einheitsprozesses und Zusammenwachsens zwischen Ost und West schon früher so deutliche Worte gewählt hätte. Es bleibt aber die Feststellung, dass sie beim Abschied noch einmal zeigte, was auch sie,  quasi „als Angelernte“, nach 1990 erlebte, bewegte und prägte.

Die Journalistin Jana Hensel bemerkte dazu – auch für mich sehr bedenkenswert – bei Twitter:

„Das Neue an Merkels Ballast-Rede ist, dass sie in Wahrheit doch Helmut Kohl vom Einheits-Thron stürzt. Die Wiedervereinigung ist für sie das Ergebnis der Revolutionäre von 1989 und nicht die heldenhafte Tat von Kohl. Damit schiebt sie ein zentrales CDU-Narrativ beiseite.“

Auch die Hallenser Rede von Bundesratspräsident Reiner Haseloff, dem ich kommende Woche in dieses Amt nachfolgen werde, hat wichtige Akzente gesetzt und die Rede von Angela Merkel an wichtigen Stellen ergänzt. Dort, wo er auf die Herausforderungen der vergangenen Bundestagswahlen eingeht, möchte ich aber einige Bemerkungen aus Thüringer Sicht einstreuen. Ja, die Wahlen haben uns fordernde und durchaus komplexe Ergebnisse beschert. Möglicherweise sind sie der deutlichste Anzeiger dafür, dass die alte Bundesrepublik an ihr Ende gelangt ist. Die ehemals großen Volksparteien schrumpfen und zwei kleinere Parteien sind zusammengenommen knapp größer als die potentiellen „großen“ Partner. Während wir in Halle bzw. Altenburg  saßen, verhandelten zuersteinmal genau diese kleinen Parteien miteinander und dann gemeinsam mit der etwas größeren Partei über eine zukünftige Dreier-Koalition auf Bundesebene. Was bis dahin als undenkbar galt, ist in Thüringen bereits seit 2014 Realität. Mit R2G waren wir Vorreiter und haben bewiesen, dass Dreierkonstellationen, in denen auf Augenhöhe miteinander regiert wird, keineswegs Stabilitätsgefährder sind, sondern neue Wege zu progressiver Politik bahnen können.

Für Altenburg ebenso wie für Halle galt beim diesjährigen Tag der Deutschen Einheit – natürlich auch COVID19-induziert – dass beide Events recht klein gehalten werden mussten. In Altenburg sind wir den Weg gegangen, das Geld für das Bürgerfest in den Bau einer neuen und großen Fontäne zu investieren, die wiederum ein Baustein in der Bewerbung der Stadt für die Landesgartenschau werden kann. So fügt sich eins ins andere.

Und die nächsten großen Ereignisse werfen bereits ihre Schatten voraus. Am kommenden Freitag werde ich Reiner Haseloff als Bundesratspräsident ablösen. Damit obliegt es auch Thüringen, den nächsten Tag der Deutschen Einheit vorzubereiten und auszurichten. Unser Motto „Zusammen wachsen, Zusammenwachsen“ sowie das Herzsymbol als Logo weisen bereits die Richtung in die wir gehen wollen. Wir wollen an dem – nicht endenden- Prozess der Einheit mit bauen und das Beste aus Ost und West zum Wohle aller weiter miteinander verschmelzen. Für mich bedeutet Deutsche Einheit auch Respekt. Respekt vor allem, was auch Ostdeutschland in diesen Einheitsprozess einbrachte und einbringt. Respekt aber auch für die bunten, vielfältigen und ja, auch gebrochenen Biografien von Menschen aus dem Osten, die dieses Land jeden Tag seit über 30 Jahren mit voranbringen.