Humanität ist und bleibt der Kompass

Heute ist ein guter Tag für Thüringen. Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag der AfD, die den von der Landesregierung im Dezember 2014 verhängten Winterabschiebestopp für verfassungswidrig erklären wollte, als unzulässig verworfen. Es war die erste politische Entscheidung, die die neu ins Amt gekommene Landesregierung im Dezember 2014 traf. Kein Mensch darf in eine Situation abgeschoben werden, die sein Leben und seine Unversehrtheit bedrohen kann. Daran gab es für die in Thüringen regierende Koalition keinen Zweifel. Humanität ist und bleibt der Kompass der rot-rot-grünen Landesregierung.

Unwillkürlich denkt man an die aufgeregten Wochen im Herbst 2014 zurück. Wir handelten hinter verschlossenen Türen in einer guten Atmosphäre den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag aus. Währenddessen tobte im Land eine Debatte darüber, ob die Welt untergeht, wenn eine rot-rot-grüne Landesregierung unter Führung eines LINKEN Ministerpräsidenten ins Amt kommt. Diese Debatte trug streckenweise hysterische Züge. Bereits damals zeichnete sich eine Verrohung der politischen Debatten ab, die seitdem fortschreitet. Wir hatten am 9.11.2014 einen Fackelmarsch vor dem Erfurter Dom. Wir haben regelmäßig Demonstrationen einer Landtagsfraktion vor dem Landtag, auf denen die parlamentarische Demokratie verhöhnt wird. Wir werden wahrscheinlich am 20. April einen rechtsextremen Fackelmarsch durch Jena ertragen müssen. Wir erleben eine Welle von Angriffen auf Politikerinnen und Politiker, die auch nicht vor deren persönlichem Lebensumfeld halt macht.

Wir hören und lesen fast täglich die Rufe von der „Lügenpresse“, von den „Systemparteien“, von der angeblichen Asylkatastrophe, vom angeblichen Staatsnotstand, von vermeintlichen Verfassungsfeinden und Rechtsbrechern in höchsten Regierungsämtern. Das alles ist durch die Grundrechte in diesem Land gedeckt, auch wenn ich es nicht billige, und auch wenn man sich fragen darf, ob die Demonstrationsfreiheit bei einer offensichtlichen Verherrlichung des Nationalsozialismus nicht ihre Grenzen findet. Dass die NPD mir gerichtlich das Recht nehmen will, Nazis als Nazis zu bezeichne‎n, muss ich ebenfalls hinnehmen.

Dennoch: Ich bin mir sicher, dass die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nach wie vor sachliche Lösungen statt hysterischer Debatten will. Ich treffe täglich Menschen, die zu der viel zu leisen Mehrheit gehören, die kein Problem darin sehen, menschlich zu handeln und die eigenen Interessen zu wahren. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Thüringen, dass Deutschland, ja dass Europa am Ende die Herausforderungen meistern wird. Wir werden es allen rechten Schreihälsen zum Trotz schaffen. Aber zu den politischen Aufräumarbeiten, die uns bevorstehen, gehört auch, dass wir uns der Verrohung der politischen Debatte stellen und sie gemeinsam zurück drängen. Jede Grenzüberschreitung, egal von welcher Seite und in welcher noch so lauteren Absicht, jede Grenzüberschreitung erschwert die Rückkehr zu jener Sachlichkeit, die in diesem Land einmal demokratische Normalität war. Es gibt in einer Demokratie keinen anderen Weg als den des Dialogs, des Kampfs mit Argumenten, des Respekts vor der Würde jedes Menschen. Jedenfalls dann, wenn man sich nicht eines Tages beim Blick in den Spiegel erschrecken will.