Armutsbekämpfung – theoretisch und praktisch
Nächste Etappe unseres Besuchs ist der „Chris Hani Kongress“ im Hauptquartier des Gewerkschaftsdachverbandes COSATU (Congress of South African Trade Unions). Da debattieren Wissenschaftler und Gewerkschafter aus Argentinien, Brasilien, Korea, Deutschland und verschiedenen afrikanischen Staaten über die Folgen des Neoliberalismus und suchen gemeinsam nach Alternativen. Namensgeber des Kongresses ist Chris Hani. Er war Vizevorsitzender des ANC und in der Bevölkerung sehr beliebt – wohl auch, weil er immer die Gesellschaft im Blick hatte. Vor zwanzig Jahren wurde er ermordet. In dieser Zeit begann auch der neoliberale Entwicklungsprozess, den auch der ANC mit auf den Weg gebracht hat. Über Korrekturen dieser Entscheidungen soll heute gesprochen werden.
Zwischen den Zeilen höre ich die Debatten, die gerade zwischen den hiesigen und dem ANC stattfinden. Es ist eine Auseinandersetzung auf zwei Ebenen: Einmal geht es um die Auswirkungen des Neoliberalismus im internationalen Bereich und andererseits geht es um die speziellen Spielarten hier vor Ort.
Spannend finde ich die Aussagen des COSATU-Generalsekretärs Zwelinzima Vavi. Zunächst spricht er über die schwere Erkrankung Nelson Mandelas und meint „Wir müssen uns wohl vorbereiten und der traurigen Gewissheit stellen, dass dieser große Mann uns verlassen wird.“ Danach analysiert er die internationalen Beziehungen und verweist auf die Finanzkatastrophen des Nordens und dadurch noch stärker wachsende globale Armut. In Südafrika trifft diese Krise zudem auf das Erbe des Kolonialismus und der Apartheid. Jetzt leben 50 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung von 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
Vavi beschreibt weiter, dass die Schere in der Bevölkerung immer stärker auseinander geht und sich die Gesellschaft wieder nach der Hautfarbe aufspaltet. „Wir müssen uns deshalb auf unsere Freedom-Charta zurückerinnern: Gerechte Verteilung aller Ressourcen, um wirklich die Apartheid zu überwinden.“ Dazu käme als Zukunftskonzept eine Kampagne zur Verstaatlichung strategischer Betriebe wie der Bergwerke in Frage. Hier müssen Arbeitsplätze entstehen – entlang der ganzen Wertschöpfungskette, auf Basis der Rohstoffen, die hier gefördert werden.
Gold, Platin, Kohle, Seltene Erden – alles Rohstoffe aus Südafrika, die eigentlich Reichtum für alle Menschen im Land ermöglichen müssten. Das war doch der Traum von Nelson Mandela: Ein Staat für alle Menschen – ohne Rassenschranken und ohne trennende Armut.
Wir verlassen dann diese hoch spannende Debatte, um ins Township Alexandra zu fahren, wo wir uns mit jungen Mitgliedern des ANC treffen wollen. Ehrlich gesagt bin ich unruhig nach dem Überfall am Sonntag. Dieses Mal ist es aber ganz anders: Junge Leute fragen uns aus und erläutern uns, was sie hier als ihre Aufgabe sehen. Selbst nach der Bundesliga werde ich gefragt, aber bei diesem Thema muss ich passen. Von Fußball habe ich wirklich keine Ahnung.
Wir besuchen das Sozialzentrum mitten in den Bretterbuden und treffen viele freundliche Menschen. Um uns herum wuseln ganz viele Gemeindearbeiter und verlegen Kabel, pflastern die Straßen, befestigen die Wege und bauen so die Infrastruktur aus. Rund eine Million Einwohner hat dieses Township. Mir wird klar, dass wir hier unter Menschen sind, die mit aller Kraft um ihre eigene Zukunft ringen.Unser Stadtführer Keith vom ANC zeigt uns mit Stolz seine Heimat. Unsere Stiftungsmitarbeiterin Rose ist in Alexandra geboren und überall winken ihr Leute zu. Da fühlen wir uns geborgen – inmitten großer Armut, aber eben nicht inmitten einer Hoffnungslosigkeit. Hier arbeitet man offensichtlich an der Zukunft.