Zeit zurückzutreten

Schön, wenn man mitten im Tagebuchschreiben von einer Nachricht überrascht wird, die man nicht unkommentiert lassen kann. Eigentlich wollte ich heute nicht über den Papst schreiben, aber na gut. Benedikt tritt also zurück. Dass ich nur mit wenigen seiner Aussagen einverstanden bin, wird niemand verwundern, aber grundsätzlich habe ich großen Respekt davor, dass er sein gesamtes Leben seinem Glauben und seiner Kirche gewidmet hat und auch davor, dass er jetzt selbstbestimmt einen Schlusspunkt setzt. Für mich wird vor allem die persönliche Begegnung im Jahr 2007 in Erinnerung bleiben und natürlich Benedikts Besuch im Erfurter Augustinerkloster, der ein wichtiges Symbol war, aber auch Hoffnungen unerfüllt ließ.

Eigentlich wollte ich aber heute schreiben, dass Patrick Kurth, der Generalsekretär der Thüringer FDP, zurücktreten sollte. Das würde der von ihm selbst vertretenen Logik entsprechen.
Patrick Kurth sollte zurücktreten, solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass er als Mitglied der pflichtschlagenden Verbindung „Jenaische Burschenschaft Germania“ beim Fechten jemanden mit dem Degen verletzt hat. Genauso ist ungeklärt, ob er nicht während einer einschlägigen Feierlichkeit womöglich einen Bierseidel auf den Fuß eines Verbindungsbruders fallen ließ. Auch wenn ich natürlich von der Unschuld Kurths überzeugt bin, sollte er sich vorsorglich lieber aus der Politik zurückziehen.

Genauso stimmig wie diese Worte, ist die Forderung von Patrick Kurth, dass Gregor Gysi jetzt wegen aufgewärmter Stasi-Vorwürfe seine Ämter ruhen lassen sollte. Gregor Gysi hat sich seit 22 Jahren erfolgreich gegen die Vorwürfe gewehrt, dass er Mandanten an die Stasi verraten habe. Und das hat einen guten Grund: Die Vorwürfe sind falsch. Passend zur Wahlkampfzeit werden sie immer wieder hervorgeholt und solche Leute wie Patrick Kurth starten dann damit Profilierungsversuche. Es ist einfach nur erbärmlich.

Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem die Unschuldsvermutung gilt. Es wäre absurd, wegen jedem Verdacht, den irgendein Hanswurst ausspricht, seine Aufgaben ruhen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat wegen der Anti-Nazi-Proteste vor drei Jahren meine Immunität aufheben lassen – es gibt bis heute kein Verfahren. Hätte ich vielleicht in der Zwischenzeit meine Arbeit einstellen sollen, bis der Prozess abgeschlossen ist? So etwas zu fordern, ist eine Missachtung des Rechtsstaates.

Ich bin froh, dass der Repressionsapparat der DDR überwunden worden ist, weil dort keine rechtsstaatlichen Prinzipien galten. Wer aber nicht dabei war, sollte sich mit Äußerungen, wie heldenhaft er gegen das Unrecht gekämpft hätte zurückhalten. Es ist keine Form geschichtlicher Aufarbeitung, die DDR-Vergangenheit als große Keule im Bundestagswahlkampf zu missbrauchen. Aufarbeitung braucht differenzierte Auseinandersetzung anhand historischer Fakten. Ansonsten ist es nur Fortsetzung des Unrechts mit anderen Mitteln.