Jahresrückblick – Teil V
Die Bild-Zeitung titelt heute groß, dass Dieter Althaus nun wieder Ski fährt. Ich frage mich, warum er das nicht ohne diese Zeitung machen kann. Er tut sich selbst keinen Gefallen damit, solche Reportagen mitzumachen.
Wir verbringen diese Tage in der Nähe von Ilmenau, fahren allerdings nicht Ski, sondern wandern – soweit es das Regenwetter zulässt. Ein bisschen zu tun gab es zwischendurch auch, denn an das wichtige Thema Demokratie und die damit verbundene Problematik der rechtzeitigen Wiedereinführung der Stichwahlen sollte doch vor dem Jahreswechsel noch einmal erinnert werden. Deshalb bespreche ich mit unserer Pressestelle in Erfurt entsprechende Pressemitteilungen.
Mein Jahresrückblick soll natürlich auch weitergeführt werden. Im September haben wir einen tollen Erfolg bei der Bundestagswahl erreicht. Wir haben bei den Zweitstimmen in Thüringen fast 29 Prozent geholt und außerdem zwei Direktmandate gewonnen. Noch spannender als die Wahl waren aber ohne Zweifel die Sondierungsgespräche. Einen Rückblick darauf haben wir schon einmal aufgeschrieben und ich will ihn hier gern noch einmal veröffentlichen. Dem Text ist kaum etwas hinzuzufügen, bis auf einen Punkt, den ich auch auf unserem Schleizer Parteitag angesprochen habe: Ich werde nie mehr auf ein uns nach demokratischen Gepflogenheiten zustehendes Amt verzichten!
Hier die Rückschau auf die Sondierungsgespräche: Aus Sicht der Linken stellt sich das Scheitern der Sondierungsgespräche als lange vorbereitetes und – von Christoph Matschie und seiner Sondierungsgruppe – bewusst inszeniertes Ereignis dar. Hierzu eine Chronologie:
Am 11.9.2007 fasst der Landesvorstand der SPD Thüringen den Beschluss, „2009 stärkste politische Kraft im Land werden. Eine Koalition mit der Linkspartei wird es nur unter einer sozialdemokratischen Führung geben.“
Während des Landtagswahlkampfes beharrt Christoph Matschie immer wieder darauf, dass er MP werden müsse – und das, obwohl seine Partei in allen Umfragen ausnahmslos abgeschlagen hinter CDU und Linken nur den dritten Platz einnimmt. Die Wahlergebnisse bestätigten diesen Trend dann (CDU: 31,2 %; Die Linke: 27,5 %; SPD: 18,5 %; Bündnis 90 / Die Grünen: 6,2 %).
Am 2.09. 2009 beschließt der Landesvorstand der Linken, die SPD zu Sondierungsgesprächen einzuladen, um mit einer rot-roten Reformregierung die CDU als Regierungspartei abzulösen. Es wird angeboten, dass die Gespräche „ohne Vorbedingungen“ stattfinden sollen, d.h. auch ohne personelle Vorfestlegungen und inhaltliche Ausschlüsse. Aus Sicht der Linken ist dies eine offen dargebotene Hand, da es im Normalfall gar nicht zur Debatte steht, dass die Person des/der MP von der stärksten Partei gestellt wird.
Schon einen Tag später, also noch vor dem eigentlichen Beginn der Sondierungsgespräche, erklärt Bodo Ramelow seine Bereitschaft auf das Amt des Ministerpräsidenten zu verzichten, um ein Signal an SPD und Grüne zu senden, dass ein Politikwechsel in Thüringen wichtiger ist als seine persönliche Karriere. Am 4.09.2009 lässt sich die SPD darauf ein, dass die Gespräche ohne jede Vorbedingung geführt werden sollen. Zehn Tage später wird noch vor dem Beschluss des grünen Parteirates zur Aufnahme der Sondierung sowie noch vor Beginn des ersten inhaltlichen Sondierungsgespräches ein Mitgliederbrief des SPD-Landesgeschäftsführers Jochen Staschewsky bekannt, indem er begründet, warum eine Regierung mit der Linken nicht wirklich möglich ist. Obwohl konstatiert wird, dass die Entscheidung in und für Thüringen getroffen werde, beziehen sich die Ablehnungsgründe in dem Papier der SPD nur auf Politikfelder, die mit den zu verhandelnden landespolitischen Themen nichts zu tun haben (Europa, Auslandseinsätze, „Vergangenheit“). Gleichzeitig wird in diesem Brief wieder einmal der anhand des Wahlergebnisses und dem Beschluss, eine Regierung auf gleicher Augenhöhe führen zu wollen nicht nachvollziehbare Anspruch erhoben, die Regierung könne ausschließlich unter der Führung der SPD gebildet werden.
Die Matschie-SPD hat darüber hinaus versucht, aktiv einen Keil zwischen die Verhandlungsführer von Die Linke einerseits und B`90/die Grünen andererseits zu treiben: Obwohl Die Linke am 21.09. zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen hat und auf Anfrage der SPD eine Diskussion unter Ausschluss der Grünen zu Differenzen zwischen SPD und Linken abgelehnt hat, bestellt die SPD die Grünen eigenmächtig für eine halbe Stunde später. Die Linke wird bei ihrem Eintreffen davon überrascht, dass die Grünen nicht anwesend sind. Die Grünen zeigen sich anschließend in der Presse empört über diese Ausladung. Auch diesen Vorgang kann man nur so bewerten, dass sich die SPD ein weiteres Argument zu schaffen suchte, mit dem sie die Schuld für das Scheitern der Sondierungsgespräche anschließend ihren Partnern in die Schuhe schieben konnte.
Am 23.09. werden in den Gesprächen breite inhaltliche Übereinstimmungen festgestellt. Aber auch für diesen Sondierungstermin ist wie schon für alle vorangehenden ein enger zeitlicher Rahmen seitens der SPD vorgesehen. Es gibt also keine Möglichkeit, die inhaltliche Debatte zu verlängern (Zeit: 12 – 14.45 Uhr). Vertrauensbildende Maßnahmen wie gemeinsame Abendessen wurden einzig und allein mit der CDU organisiert. Der zeitliche und organisatorische Rahmen ließ gleiches bei Sondierungen mit Linken und Grünen nicht zu.
Einen Durchbruch scheint es am 25.9. zu geben, an dem in sechseinhalb Stunden bei neun Themen zahlreiche Übereinstimmungen zwischen den Parteien festgestellt werden.
Am 29.09. bietet Christoph Matschie seinen Verzicht auf den Posten des Thüringer Ministerpräsidenten an unter der Bedingung, dass die Regierung von der SPD geführt wird. Tags darauf findet ein letztes Sondierungsgespräch zwischen Linke, SPD und Grünen statt. Auch hier gibt es wieder eine enge zeitliche Vorgabe: bis 13 Uhr musste das Gespräch beendet sein (es endet um 13.10 Uhr). Das Thema „Vergangenheit“, das zu Anfang von B´90/die Grünen problematisiert worden war und als Haupthindernis für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen galt, wird einvernehmlich behandelt. Der vorgelegte Text der Grünen wird als Grundlage für die Erarbeitung einer Präambel eines gemeinsamen Koalitionsvertrages akzeptiert. Die inhaltliche Diskussion erfolgt zu den Themen Arbeit, Inneres, Kommunales. Hier tragen v.a. Linke und Grüne zu der inhaltlichen Diskussion bei. Die SPD beschränkt sich auf wenige Beiträge. Die Personaldebatte wird zur Gretchenfrage. Die SPD-Führung fordert die Anerkennung des Prinzips: „Den Ministerpräsidenten stellt die SPD und diese führt die Regierung“.
Und hier noch einmal: Trotz der starken Stellung des Ministerpräsidenten in der Thüringer Verfassung, war die linke Sondierungsgruppe bereit, ernsthaft über den SPD-Vorschlag zu sprechen. Ein Name wurde nie genannt. Linke sowie Grüne waren nur mit der ultimativen Forderung, hier und jetzt einen ihnen unbekannten Menschen absegnen zu müssen und damit den Führungsanspruch der SPD zu akzeptieren, nicht einverstanden.
Am Abend des 30.09. beschließt der Landesvorstand der Grünen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken. Hierbei betonen sie, dass Die Linke beim Thema Vergangenheit große Schritte auf sie zugetan hätte. Als Erwartungen werden zwei Punkte formuliert: SPD und Linke sollen bis zum Wochenende formulieren, was sie unter „gleicher Augenhöhe“ verstehen und wie die Grünen in eine Regierung gleichberechtigt eingebunden werden könnten. Und die SPD solle eine konkrete Person für das Amt des / der Ministerpräsidenten benennen. Damit scheinen wichtige Hürden genommen.
Dann aber, am 1.10.2009 kurz nach Mitternacht tritt der Landesvorstand der SPD an die Presse und verkündet die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU mit einer Stimmenmehrheit von 18 zu 6.
Bleibt festzuhalten, dass die SPD von Anfang an mit zweierlei Maßstäben an die Sondierungsgespräche mit Linken und Grünen auf der einen Seite sowie der CDU auf der anderen Seite gegangen.
Hierzu ein Auszug aus einem Interview von Astrid Rothe-Beinlich vom 2.10.2009:
„Ich werde den Eindruck nicht los, dass bereits während der Sondierungsgespräche die SPD nicht mehr mit dem gleichen Interesse am Tisch saß. Die SPD hat nicht ehrlich und schnell ihre Präferenz zur CDU benannt. Sowohl wir als auch die Linkspartei haben durchblicken lassen, dass wir bereit gewesen wären einen Ministerpräsidenten der SPD mitzuwählen. Die SPD nannte jedoch keinen Namen, auf den wir uns hätten verständigen können.“