Twitter heißt jetzt X – sonst ändert sich da nix?
Nein, der oben leicht abgewandelt zitierte alte Werbespruch stimmt in diesem Fall nicht. Twitter ist Vergangenheit und der heute als Eigentümer fungierende Elon Musk hat offenkundig nicht nur ein gestörtes Verhältnis zu seinem eigenen Personal, sondern auch eine politische Mission, die in der Zerstörung der sozialen Medien – so wie wir sie kennen – besteht. Seit Monaten beobachte ich den Umbau der Kommunikationsstrukturen bei Twitter. Gab es zu früheren Zeiten eine Kommunikationsebene, die sich über eigene Follower aufbaute, scheint es jetzt so zu sein, dass der Algorithmus offenkundig Nachrichten zu all denen transportiert, die in irgendeiner Form mit meinem Account interagiert haben. Diese Interaktion können dabei allerdings auch aus Hassbotschaften bestehen, die ich ja nun seit längerer Zeit über den Kanal X bekomme- zuletzt als wir zum CSD die Regenbogenfahne vor der Staatskanzlei hochgezogen haben und ich dies als Profilbild eingestellt habe. Als Reaktion auf die Änderung des Profilbildes bei X ging ein Shitstorm über mich nieder, mit dem ich so nie gerechnet hätte. Die Massivität und Wucht war mir neu.
Vor einigen Wochen gab es schließlich einen Konflikt, in den Aldi Nord involviert war. Eine dunkelhäutige Person war auf einem Werbeprospekt mit Trainingsanzug unterwegs. In dem Prospekt wurden sehr viele verschiedene Sportartikel mit unterschiedlichen werbenden Personen dargestellt. Dass eine dunkelhäutige Person eine solche Reaktion auslöst, hätte ich nicht für möglich gehalten. Aldi Nord wurde schließlich unterstellt, der Konzern arbeite mit an „Umvolkung“, „Great Reset“ und der „Zerstörung des deutschen Volkes.“
Die Presseabteilung von Aldi Nord reagierte allerdings für mich sehr erstaunlich und das hat mich nachdenklich gemacht. Sie verwies darauf, dass sich der neue Eigentümer von X, Elon Musk, offensichtlich nicht nur eines Großteils seines eigenen Twitterpersonals entledigt habe, sondern dass er die europäischen Regeln der Unterbindung von Hass und Hetze nicht mehr einhalte. Auch seien Schutzinstitutionen, die man früher bei Twitter kontaktieren konnte, nicht mehr vorhanden bzw. personell ausgedünnt worden.
Zur Unterbringung weiterer Hassposts hat Aldi Nord schließlich nicht nur die postenden Accounts, sondern auch deren jeweiligen Followerlisten blockiert. Zunächst hielt ich das für übertrieben, aber letztlich doch konsequent. Schließlich sollte man sich als User doch auch die Frage stellen, warum man Profilen folgt, die nur Hetze verbreiten. Mache ich mich mit den Inhalten gemein oder beobachte ich diese Vorgänge nur?
Vor Kurzem habe ich aber bei meiner Solidaritätserklärung für Sebastian Krumbiegel eine erstaunliche Erfahrung gemacht. Sebastian war in der vergangenen Woche massiv angegriffen worden und eine Lesung sollte vermittels massiver Drohungen unterbunden werden. Es gab eine breite Solidarität mit Sebastian und die Lesung konnte stattfinden. Im Vorfeld hatte ich mich auf X ebenfalls solidarisch gezeigt, Sebastian Mut zugesprochen, aber auch gleichzeitig einige Bilder, die ihn und mich gemeinsam zeigen, gepostet – unter anderem ein Bild aus der BILD-Zeitung, die uns vor längerer Zeit einmal bei einem Termin im Erfurter Dom begleitete, beim Kaffeetrinken usw.
Diese – wie ich fand netten – Fotos führten allerdings dazu, dass ich mich erneut mit einer unglaublichen Masse von Hasskommentaren konfrontiert sah. Als Reaktion begann ich schließlich, ebenfalls einmal die „Aldi-Nord-Methode“ anzuwenden. Jedes Mal, wenn ein beleidigener Kommentar unter meinen Tweet gepostet wurde, habe ich nicht nur den Absender geblockt, sondern all seine Follower gleich mit. Die Stolzmonat-Brigaden aus dem Umfeld der AfD, JA und auch der sog. „Identitären Bewegung“ waren dabei die Hauptakteure.
Mich erstaunte allerdings, dass mir beim Blocken schnell ein Muster auffiel. Ein Hasskommentator mit 50 oder 80 Followern entpuppte sich auf einmal als jemand, der tatsächlich 50 Accounts als Follower aufwies, die überhaupt keinerlei Aktivitäten entfalten. Ein Merkmal für all diese rechts gerichteten Gesinnungstäter war allerdings, dass die nicht kommunizierenden Accounts beinahe durchweg als Profilbild halbnackte Frauen benutzten – unterschiedlichste Namen, endlos viele Bilder, aber immer die gleiche Pose mit Bikinis oder Dessous.
Nachdem sich diese Auffälligkeit immer wieder zeigte, dämmerte mir, dass es sich hier nur um künstlich generierte Profile handeln kann und offenkundig niemand mehr willens ist, auf der Plattform X für Solidität zu sorgen. Da ich mittlerweile auch über 1.000 Accounts entdeckt habe, die den Namen Elon Musk tragen, unterstelle ich außerdem, dass Herr Musk keinesfalls ein Interesse haben kann, sich tausendfach selber über solche Bot-Accounts zu verbreiten. Ich frage mich allerdings, warum er bzw. seine Firma nichts unternimmt, um seinen Namen zu schützen. Oder ist sogar gewollt, dass sein Name im Kontext von Hass und Hetze als Volumenverstärker immer wieder auftaucht? Wie auch immer: indem er Fake-News a la Donald Trump oder rechtsextremer digitaler Hetze freie Hand lässt, sorgt er faktisch für eine Vergiftung des Klimas auf X.
Im Hessischen sagt man: „Wie der Herr, so‘s Gescherr“. Aber dürfen wir zulassen, dass mittels einer solchen Kommunikationsstrategie immer mehr Menschen in eine Situation kommen, in der sie vor Stalking nicht geschützt werden, bei der sie sich gegen Hass und Hetze nicht wehren können und die europäischen Regeln von Herrn Musk einfach ignoriert werden?
Die EU-Administration hat von Herrn Musk verlangt, dass er endlich gegen die israelfeindlichen Darstellungen und den die Hamas-Gräuel verharmlosenden Content vorgeht. Geschehen ist bislang nichts.
Zwischenzeitlich hat X sogar zugegeben, das es offensichtlich problemlos möglich ist, auf X gezielt Bots zu platzieren, um das Diskussionsklima dort zu beeinflussen. Jedenfalls trägt X dies selbst in einem Prozess gegen eine gemeinnützige Organsation vor und versucht damit wohl diese kritische Organisation mundtot machen zu können. Die Frage, die mich umtreibt ist diejenige danach, warum X diese Möglichkeiten nicht einfach unterbindet? Warum verhindert man nicht 1000fache Elon Musk- Accounts oder 10.000 fache Accounts von angeblichen halb nackten Frauen?
Auf unserem Bundesparteitag in Augsburg habe ich deshalb am vergangenen Samstag meine Rede mit dem Aufruf beendet, dass wir nicht zulassen dürfen, dass eine Privatperson, die über ausreichende finanzielle Eigenmittel verfügt, sich in politischer Absicht einer Plattform bemächtigt und über sie ganze Gesellschaften destabilisiert. Schon in den USA hat man gesehen, wie ein solcher Missbrauch der sozialen Medien unter den Bedingungen eines Wahlkämpfers Donald Trump zu einer Waffe werden kann.
Meiner Meinung nach müssen deshalb Konsequenzen gezogen werden – zum Beispiel über eine Plattformregulation und eine öffentliche Aufsicht. Menschen, die sich in diesem digitalen aber letztlich doch öffentlichen Raum bewegen, haben einen Anspruch darauf, vor Straftaten geschützt zu werden und Stalking ist eben keine Banalität. Meine persönliche Reichweite ist groß genug, um eigene Akzente setzen zu können. Ich lege aber Wert darauf, dass ich dies immer als Privatperson tue, denn mein X-Account ist durch das Wort „Mensch“ explizit als Privataccount gekennzeichnet. In diesem Sinne hat seinerzeit auch das Verwaltungsgericht Weimar geurteilt. Auch wenn ich Informationen von der amtlichen Seite von thueringen.de auf meiner Seite einbinde, ist dies immer meine persönliche Entscheidung, denn jeder andere Mensch kann diese Informationen auch benutzen und verbreiten. Es ist also keine amtliche Version, wenn ein Besuch des Ministerpräsidenten zum Beispiel beim Volkstrauertag auch auf meiner persönlichen X-Account-Seite repostet wird.
Ich habe aus all den oben aufgeführten Gründen gestern die psychologische Reißleine gezogen und zwei Satire-Beiträge in meinen Account eingebaut. Ich habe Trigger-Wörter benutzt, die offenkundig bei den Bots zu Reaktionen führen. Ich habe Darstellungen genutzt, die absurd sind und von denen jeder auch weiß, dass sie nicht ernst zu nehmen sind. Weder gibt es Flugzeuge, über die der Ministerpräsident etwas zu entscheiden hätte, noch sprühen diese imaginären nicht vorhandenen Flugzeuge irgendetwas. Auch gibt es keine Reichsflugscheibe und es ist egal, was ein Fanatiker, der in Hohlerde wohnt, glaubt gesehen zu haben. Am teilte ich schließlich noch mit, dass die Reichsflugscheibe aus dem Jonastal nicht starten konnte, weil das imaginäre Schaf Maggie im Weg gestanden habe – freilich auch Unsinn. Was immer im Jonastal gewesen ist und welche Legenden sich darum ranken, ob die Atombombe dort gebaut wurde oder das Bernsteinzimmer dort lagert, lasse ich dahingestellt sein. Aber dass eine Reichsflugscheibe im Jonastal aufsteigt, sollte eher von jedem als Belustigung verstanden werden. Maggie hat es tatsächlich gegeben, aber dieses wildlebende Schaf war am Ende so voller Wolle, dass selbst die Wölfin sich weigerte, in diesen Fusselberg zu beißen. Das Schaf ist vor einem knappen Jahr gestorben. Die freiheitsliebende Maggie wird offenbar von vielen Hohlerde-Freunden als Symbol der Freiheit schlechthin betrachtet.
Aktuell wachsen die Spekulationen über meine Kommentare auf X. Deshalb wollte ich den Kern des Problems noch einmal in meinem Tagebuch offenlegen. X ist eine Plattform, die weltweit genutzt wird. Und es gibt gute Gründe, warum Menschen auf dieser Plattform vor rechtsextremer Gesinnung, Hass und Hetzte geschützt werden müssen. Demokratie und Rechtstaatlichkeit bedeuten eben auch, in den neuen Welten darauf zu achten, dass KI-generierte und durch Bots verstärkte Falschmeldungen nicht zu unserer Normalität im Alltag werden. Insoweit ist das Beispiel meiner Reichsflugscheibe einfach nur ein Hinweis auf ein Irrlicht in einer irrlichternden digitalen Welt. Lassen wir die Chemtrails und die Reichsflugscheiben landen, bevor der gesamtgesellschaftliche Schaden dieses Irrsinns tatsächlich irreversibel wird.