KI und das Urheberrecht

In den letzten Tagen hörte ich einen ausführlichen Radiobericht über das Thema „Künstliche Intelligenz“ bzw. „ChatGPT“ und die Frage, was diese technischen Entwicklungen in Bezug auf tradierte rechtliche Grundlagen unserer Gesellschaft bedeuteten. Konkret gesagt: was heißt es, wenn computergeneriert Texte entstehen, die auf unendlichen Mengen von Quelltexten basieren, ohne dass man überhaupt noch erkennt, aus welchem Kontext welcher Teil des Textes gekommen ist. Hatte man früher die Not, Plagiate zu entdecken, hat die Technik geholfen, Doktorarbeiten entsprechend prüfen zu lassen. Die Elektronik glich eingegebene Texte mit hinterlegten Quelltexten ab und stellte fest, wo eine wissenschaftliche Arbeit im Kern gar nicht wissenschaftlich, sondern nur eine abgeschriebene Fleißarbeit darstellt. Die Skandale um aberkannte Doktortitel sprechen Bände und mit VroniPlag wurde ein technisches Instrument bekannt, das als gefürchteter Plagiatsjäger eine längere Zeit den öffentlichen Diskurs bestimmte.

Im eingangs erwähnten Radiobericht setzten sich die Journalisten damit auseinander, dass die europäische Kommission beabsichtige, die Plattformanbieter und die technischen Innovationstreiber zu einer Selbstverpflichtung zu bringen, sprich: Texte, die KI-generiert sind, in Zukunft deutlicher zu kennzeichnen. Da war die Rede davon, dass eine Selbstverpflichtung nur ein erster Schritt sein könne. Mich beschlich das Gefühl, dass hier möglicherweise der Bock zum Gärtner gemacht wird. Unabhängig von der Frage, ob eine Selbstverpflichtung überhaupt irgendetwas bewirken würde, erleben wir gerade, wie große Digitalplayer wie Twitter und Facebook aufhören, ihre Kontrollinstrumente überhaupt noch einzusetzen. Bei Facebook las ich, dass sie zukünftig gefälschte Beiträge nicht mehr löschen wollen. Und bei Twitter ist seit dem Einstieg von Elon Musk das gesamte Instrumentarium, um Hass und Hetze abzuwehren, offensichtlich gen Null gefahren worden. Wenn Lügen und Fälschungen aber zum normalen Instrumentarium der Kommunikation werden und Plattformbetreiber nicht mehr an einem aktiven Schutz davor arbeiten, habe ich doch erhebliche Zweifel, ob Selbstverpflichtungen zur Kenntlichmachung von KI irgendeinen Nutzen haben können.

Es ist unstrittig, dass etwas passieren muss, denn verblüffende Informationen muss ich schon mit meinen Ohren zur Genüge verarbeiten. Mein Lieblingskultursender stellte morgens beim Zähneputzen auf einmal Musik vor, die bekannte Interpreten angeblich gesungen haben sollen und tatsächlich nie gesungen haben. Da mag noch eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Original und dem Gehörten bestehen, aber es war schon verblüffend zu hören, dass angeblich berühmte Sänger, die längst verstorben sind, Lieder interpretiert hätten, die erst entstanden sind, nachdem die Interpreten verstorben waren.

Vor 14 Tagen hatte ich einen Termin mit einem Verleger, mit dem ich über viele Themen der Kommunikation intensiv im Gespräch war. Am Ende unseres mehrstündigen Treffens wollte er mir allerdings noch einmal zeigen, welche Sorgen ihn umtrieben, wenn er an die Zukunft der Medienwelt denke. Bislang hatte ich ChatGPT noch nie im Einsatz gesehen, sondern immer nur von anderen gehört, die damit gearbeitet hatten. Während mir einige Freunde von deutlichen Schwächen der Anwendung berichteten, hörte ich aus den Hochschulen, wie man dort nunmehr anfange, darüber nachzudenken, wie in Zukunft das Prüfungswesen gestaltet werden müsse. Hausarbeiten würden entwertet, weil offensichtlich nicht mehr der wissenschaftliche Ansatz geprüft werden könne und der Unterschied zwischen elektronisch generierter Hausarbeit und wissenschaftlich erarbeitetem Studierendenfleiß zunehmend zu verschwimmen drohe.

Insoweit war es spannend, mit dem Verleger am Ende etwas beobachten zu dürfen, was bei mir eine größere Verwunderung ausgelöst hat. Er gab bei ChatGPT als Arbeitsauftrag ein, es solle ein Interview mit mir zu den Stärken des Freistaats Thüringen generiert werden. Das Ergebnis war ein Interview für eine doppelte Zeitungsseite – angeblich zwischen ihm und mir. Der Text war innerhalb von nicht einmal fünf Minuten komplett generiert. Schon beim Überfliegen merkte ich, dass dort vermeintliche Antworten aus meinem Munde standen, die ich tatsächlich so hätte geben können. Ich war also an der Entstehung dieser Arbeit überhaupt nicht beteiligt und konnte zusehen, wie vor meinen Augen ein Interview entstand, das ich nicht gegeben habe.

KI heißt bekanntermaßen Künstliche Intelligenz. Ich frage mich jedoch, ob diese Formulierung wirklich den Kern der Sache trifft. Sie ist ja weder künstlich, noch Intelligenz nach meinem Dafürhalten, sondern eine Mechanik, die auf einer unglaublich schnellen und präzisen  Technik basiert. Es kommt hinzu: wir stehen erst am Anfang der Entwicklung. Wenn alle in den Privathaushalten genutzten Geräte, vom Staubsauger bis zum Fernseher, von der Küchenmaschine bis zum Kühlschrank anfangen, mit der gleichen Technologie zu interagieren und die Daten ebenfalls mit unseren persönlichen Lebensdaten, die wir freiwillig und täglich im weltweiten Netz hinterlegen, neu zusammengefügt werden, wird sich über uns ein technischer Portfolio zusammenstellen lassen, das genau mit den gleichen Algorithmen ebenso bearbeitet werden kann. Bekommt also Michael Jackson ein neues Lied zugeschustert und der Papst einen neuen Mantel, mag das ja alles noch ganz fröhlich sein, wenn dann allerdings Michael Schumacher auf Seite 1 eines Boulevard-Magazins mit einem umfassenden Interview angekündigt wird, beginnen ethische Grenzen zu erodieren. Wir erleben hier einen Wandlungsprozess ungeheuren Ausmaßes, der nicht zuletzt auch in internationalen Konflikten und der Politik wirksam werden wird und es teilweise bereits ist.

Deshalb ist mir ein unabhängiger und qualitativ hochwertiger Journalismus als Korrektiv zu Fake-News etc. ungemein wichtig. Aber auch hier mache ich öfter sonderbare Erfahrungen, die nichts mit KI, sondern vor allem mit Ungenauigkeit und unkritischem Abschreiben zu tun haben dürften. Ein Beispiel: in einem Interview zur Vorbereitung auf die letzte Ministerpräsidentenkonferenz habe ich ausgeführt, dass ich mir wünsche, dass neben allen möglichen Maßnahmen zur Integration und zur besseren Gewinnung von Fachkräften (bspw. schnellere Anerkennung von Berufsabschlüssen), im Ausländerrecht einige Veränderungen vorgenommen werden sollten. Kurz erläutert: 2015 bis 2017 kam eine ganze Anzahl junger Menschen nach Thüringen, die als sogenannte unbegleitete Kinder und Jugendliche –abgekürzt UMA’s – bezeichnet wurden. Zu dieser Gruppe gehören aktuell knapp 9.500 Personen, die ohne Angehörige nach Thüringen gekommen sind, von uns gut begleitet, sozial betreut und in die Schule bzw. zu Lehrgängen geschickt wurden. Sie leben längst überall in unseren Kommunen. Diese jungen Leute haben beim Ankommen in der Regel Asylanträge gestellt. Meistens sind die Asylanträge abschlägig beschieden worden. Juristisch bedeutet dies, dass sie eigentlich wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt werden müssten. Hier tauchen jetzt die besonderen Probleme auf. Zum Beispiel die Maghreb-Staaten erkennen ihre eigenen Staatsbürger nicht an und verweigern ihre Rücknahme. Sie werden zu Menschen zwischen den Stühlen – weder asyl- noch arbeitsberechtigt. Bei Afghanen, Syrern oder Somaliern ergeben sich andere Probleme, denn auch hier entstehen so genannte Abschiebehindernisse. Dies führt am Ende dazu, dass die Ausländerämter immer wiederkehrend zeitlich befristete Duldungsgenehmigungen erteilen. Dann ist die Handhabung im Ausländerrecht höchst unterschiedlich, ob diese jungen Leute arbeiten gehen können oder nicht. Es gibt einen gewissen Ermessensspielraum, von dem in sehr unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht wird.

Zwei junge Eritreer habe ich auf unserem Landesparteitag kennen gelernt, für die jeweils zwei unterschiedliche Ausländerämter zuständig waren, so dass der eine arbeiten gehen darf, während es dem anderen verwehrt wird. Der Zweite würde aber auch gerne arbeiten gehen und er machte deutlich, dass er niemandem auf der Tasche liegen möchte. Dort, wo junge Leute dann einen Ausbildungsvertrag bekommen, gibt es eine Bleibeperspektive, die an die Ausbildung gekoppelt ist. Aber auch hier habe ich die Erfahrung machen müssen, dass die spezielle KfZ-Lerngruppe in Nordhausen, die aus Afghanen und Syrern mit vielen Unwägbarkeiten konfrontiert wurde. Einerseits hat sich der Betrieb wunderbar um die jungen Leute gekümmert und hat die Berufsschule mit unserer Unterstützung eine eigene Berufsschulklasse bilden können, sodass die Sprachbarrieren überwunden werden konnten. Als ich die Halbjahreszeugnisse verteilt habe, schauten die Syrer fröhlich und die Afghanen waren sichtlich emotional getroffen und hatten ein gewisses Maß an Panik in den Augen. Ich habe dann mit der afghanischen Gruppe alleine geredet und stellte fest, dass in allen Fällen die Ausländerämter die Nachricht übermittelt hatten, dass ihre Abschiebungen vorbereitet würden. Ich war irritiert und fassungslos. Tatsächlich hat der Bundesgesetzgeber gewollt, dass junge Leute, die unter solchen Konstellationen bei uns sind, dann nicht abgeschoben werden sollen, wenn sie ihre Ausbildung machen und selbst im Anschluss danach noch zwei Jahre beruflich tätig sein können, um entsprechende Berufserfahrungen zu sammeln. In diesem Fall hat die Ausländerbehörde auf meine Nachfrage erklärt, dass das zwar stimme und sie diese gesetzliche Regelung auch kennen, aber gleichzeitig habe der Bundesgesetzgeber ihnen aufgegeben, die Abschiebungsverfahren schon jetzt in Gang zu setzen, obwohl sie gar nicht vollzogen werden würden bzw. könnten.

Eine reale Abschiebung wird also vorbereitet, die Betroffenen durchleben emotional alles, was damit verbunden ist und erst dann merken sie, weil es so deutlich nicht gesagt wird, dass sie tatsächlich nicht abgeschoben werden. Erst wenn die Ausbildung absolviert und die möglichen zwei Jahre danach ausgeschöpft sind, könnte die Abschiebung erfolgen. Ob dann zu diesem späteren Zeitpunkt eine Abschiebung allerdings überhaupt möglich ist, hängt wiederum von der konkreten Situation im Herkunftsland ab. Ist dort Krieg und werden solche jungen Leute mit dem Tod bedroht, kann man sie natürlich nicht dorthin abschieben.

Aus all diesen vorgenannten Gründen habe ich mich mit dem beschäftigt, was ich die Asylfalle nenne. Diese 9.500 Menschen sind unbeabsichtigt in sie hineingeraten, denn auch alle nachfolgenden Entscheidungen, selbst wenn der Asylantrag abgelehnt worden ist, orientieren sich an dem Fakt der Asylantragstellung. Es bleiben also abgelehnte Asylbewerber und diese können nicht überwechseln in den Status des Arbeitsmigranten.

Es gäbe allerdings einen wirklich einfachen Weg, den ich in dem Interview aufzuzeigen versucht habe und den ich seit Jahren im Kreis der Ministerpräsidenten immer wieder sehr klar und deutlich vertrete. Es wäre möglich, einen Asylantrag zurückzunehmen, das steht jedem Menschen jederzeit zu. Wenn man das allerdings tut, gerät man sofort in eine Titelerteilungssperre und damit in die nächste Falle. Diese so genannte Titelerteilungssperre basiert auf § 10 Abs. 1 bzw. 3 des Aufenthaltsgesetzes. Auf gut Deutsch: der abgelehnte Asylbewerber, der seinen Asylantrag zurücknimmt, bekommt automatisch eine Sperre, die verhindert, dass er überhaupt einen Titel zur Arbeitsgenehmigung bzw. zur Aufenthaltsgenehmigung erhalten könnte. Von hier an führt ein sehr steiler Weg rasch in die Illegalität und Kriminalität. Man kann § 10 Abs. 1 und 3 in einem einzigen Fall umgehen. Man kann einen Aufenthaltstitel dann bekommen, wenn man eine/einen deutschen Staatsbürger/in heiratet. Eine Eheschließung könnte also die Aufenthaltsfalle umgehen helfen. Jetzt möchte ich nicht für 9.500 Menschen als Ehestifter unterwegs sein, sondern denke, dass man den § 10 Abs. 1 und 3 ergänzen könnte um den Zusatz, dass man dann die Titelerteilungssperre umgehen kann, wenn man ein geordnetes Arbeitsmigrationsverfahren durchläuft. Dies würde bedeuten, dass die betroffenen Personen ihren Asylantrag zurücknehmen könnten und in den Status eines Menschen zurückversetzt würden, der nie einen Asylantrag gestellt hat. Wir müssen uns in diesem Fall mit dem Problem von Kettenduldungen nicht mehr beschäftigen. Die entsprechende Person geht damit einfach ins formale Arbeitsmigrationsverfahren über.

Schauen wir uns als Beispiel einmal den Kosovo an, aus dem zeitweise sehr viele Asylantragsteller kamen. Irgendwann wurde entschieden, dass der Kosovo ein sicheres Herkunftsland sei. Seitdem dürfen deutsche Firmen im Kosovo gezielt Menschen anwerben, um bei uns zu arbeiten (also das Arbeitsmigrationsverfahren). Hier müssen Anträge gestellt werden, hier müssen Qualifikationen nachgewiesen werden, hier muss auch der Wille zur Tätigkeit sichtbar werden usw. – also gezielte Zuwanderung in sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten. Alles das Dinge, die unter anderem die Unionsfraktionen und auch die FDP immer wieder laut thematisieren. Keine Zuwanderung in soziale Hilfesysteme, sondern die Stärkung der sozialen Versicherungssysteme durch gut bezahlte Arbeit.

Hier kommt der Begriff „Spurwechsel“ ins Spiel. Ich hatte schon einmal vor vielen Jahren den Auftrag der Ministerpräsidentenkonferenz mit meinem Kollegen Dietmar Woidke und dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer über genau diese Fragen intensiv zu verhandeln. Wir kamen zu dem Ergebnis, in Zukunft weder das Wort „sichere Herkunftsländer“ noch das Wort „Spurwechsel“ zu benutzen,  damit wir nicht an Wortgeklingel scheitern, sondern praktisch Wege öffnen, wie wir Menschen aus der Asylfalle herausbekommen und gleichzeitig dauerhafte Beschäftigung ermöglichen können. Die 9.500 Menschen sind ja in Thüringen, sie leben bei uns, sie wohnen bei uns, sie sind da, sie existieren, sie sind sichtbar und ich möchte, dass sie einen Status bekommen, aus dem sie ihre eigene Existenz aufbauen können.

Leider hatte der Journalist, mit dem ich besagtes Interview führte, den Fehler gemacht, dass er mittels Verkürzung der von mir vorgetragenen Vorschläge in die Überschrift seines Artikels schrieb: „Ramelow fordert pauschale Anerkennung von Asylbewerbern“. Mit diesem in der Überschrift von dem Journalisten selbst erzeugten Kontext wurde anschließend über meinen Vorschlag überhaupt nicht mehr geredet. Von allen Seiten donnerte es heftig. Von der Thüringer CDU und FDP kam die Kritik, dass das der falsche Weg sei. Aus Kreisen der Landräte wurde behauptet, ich würde damit den Wohnungsmangel sogar noch verschärfen und wieder andere behaupteten, ich wolle damit das ganze Land zerstören. Den politischen Klamauk kann ich mir erklären. Mich wunderte allerdings, dass sehr viele Journalisten offensichtlich nur noch diese Überschrift abschrieben. Auf den mir unterstellten Vorschlag reagieren dann wiederum andere Journalisten und kommentieren massiv dagegen, dass man doch so einen Vorschlag unmöglich akzeptieren könne. In einem Fall wurde eine Analyse präsentiert, die mir Schuld am Erstarken der AfD in Thüringen gab, andere fabulierten in feinster Spengler-Manier vom „Untergang des Abendlandes“.

Hier schließt sich der Kreis. Das, was ich Qualitätsjournalismus nennen würde, setzt eigentlich Recherche und Quellenüberprüfung voraus. Ich habe tatsächlich Journalisten angerufen und gefragt, ob sie mir dokumentieren könnten, wann ich den von ihnen behaupteten Vorschlag gemacht hätte. Interessant: selbst eines der Medien, denen ich persönlich ein Interview gegeben habe, behauptete später: „Ramelow präzisierte seinen Vorschlag zur pauschalen Anerkennung der Asylbewerber“. Die vermeintliche Präzisierung fand sich dann als mein eigentlicher Vorschlag im Text wieder. Dass ihre eigene Meldung eine abgeschriebene Unterstellung war, blieb selbstverständlich unerwähnt. Ich bin gespannt, wie man KI-generierte Nachrichten in Zukunft qualitätssichern will, wenn schon das gute, alte Handwerk der Qualitätssicherung bei Journalismus im Zeitalter der Digitalisierung stark gelitten hat. Soweit mein Grübeln über Künstliche Intelligenz. Fazit: wünschenswert wäre an vielen Stellen mehr praktische Intelligenz.