Meine Reise als Bundesratspräsident nach Polen in bewegten Zeiten
Voller Demut stehe ich mitten in dieser wunderschönen Stadt Warschau und ich merke schon jetzt, dass mich diese Reise lange beschäftigen wird, die vielen Emotionen mich noch lange bewegen werden. Überall, wo man hinschaut, sind die Folgen, die die deutsche Kriegsmaschinerie im zweiten Weltkrieg hinterlassen hat, deutlich zu sehen. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Stadt lag vollständig in Schutt und Asche. Häuser wurden bis zur Unkenntlichkeit zerstört, ganze Straßenzüge ausgelöscht. Doch die tiefen Wunden dieser schrecklichen Zeit sind nicht nur optisch sichtbar, sondern auch immer wieder spürbar.
Bei den vielen Gesprächen, die ich im Rahmen dieser inzwischen sechsten Reise als Bundesratspräsident führen durfte, wurde immer wieder deutlich, welch tiefe Verletzungen dieser Krieg bei den Menschen hinterlassen hat. Nicht nur bei den unmittelbaren Opfern, sondern auch bei ihren Kindern und Enkelkindern. Immer wieder quält mich der Gedanke, dass mein Vater selbst in Wehrmachtuniform Teil dieser Kriegswalze war. Ich weiß nicht, was er getan hat.
Ich könnte das verschweigen, aber das möchte ich nicht. Ich möchte aussprechen, welche Verantwortung wir aus der Perspektive des Täterlandes tragen. Eine Verantwortung, der wir uns bis heute bewusst sein müssen. Und trotz dieser unvorstellbaren Taten und der Folgen, die noch bis heute zu spüren sind, wurde ich auf dieser Reise mit offenen Armen und in tiefer Freundschaft empfangen. Eine ganz besondere Ehre wurde mir bei der Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten zuteil, die bisher nur wenige deutsche Staatsoberhäupter erleben durften. Auf Wunsch der polnischen Seite wurde diese Kranzniederlegung als gemeinsamer Akt zelebriert, die Kränze nicht nacheinander niedergelegt, sondern zeitgleich und nebeneinander. Und während die polnischen Soldaten neben der eigenen auch die deutsche Nationalhymne spielten und ich neben meinem polnischen Kollegen Tomasz Grodzki, mit der nationalen Truppe auf der einen und der mich begleitenden Delegation auf der anderen Seite, auf dieses ehrwürdige Denkmale zugehe, empfinde ich einmal mehr tiefe Dankbarkeit – für diese Reise, für diese Ehre, für die deutsch-polnische Freundschaft.