Eine verrückte Woche in verrückten Zeiten
Dass es Richtung Herbst wieder turbulent zugehen würde, war uns allen in der einen oder anderen Weise klar. Steigende SarsCov2-Infektionszahlen – darauf mussten wir uns alle einstellen – können auch einen von meinen Mitarbeitern streng durchgetakteten Zeitplan mit zahlreichen Vor-Ort-Terminen, internen Besprechungen usw. mit einem Schlag in eine ganz andere Richtung lenken. Und so geschah es dann auch in dieser in mehrerlei Hinsicht verrückten Woche.
Angesichts eines sich in manchen Regionen dynamisierenden Infektionsgeschehens lud die Bundeskanzlerin am Mittwoch zu einem recht kurzfristig anberaumten Treffen aller 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ins Bundeskanzleramt ein. Und obgleich die Zeitschiene sehr überschaubar war, hatten einige scheinbar doch noch genug Zeit, die Zusammenkunft in Berlin schon vorab mit Superlativen („historischer Wendepunkt“ etc.) zu überfrachten und damit Wahrnehmungs- und Erwartungshorizonte zu öffnen, vor denen natürlich jede abgewogene und mühsam ausdiskutierte Entscheidung verblassen musste.
Ich habe es immer gesagt und werde es immer sagen: Wer glaubt, COVID19 eigne sich für parteipolitische Spielereien und Machtkämpfe oder gebe eine gute Manege für einen Profilierungszirkus ab, der hat einfach nicht verstanden, wie verantwortungsvolle Politik in kritischen Lagen auszusehen hat.
Ein Großteil dessen, was ich im Nachgang zu dem Gipfel im Kanzleramt an Geschriebenem gelesen habe, lässt mich immer mehr daran zweifeln, ob ich Teil derselben Zusammenkunft war. Aber wer nur mit Zu- und Überspitzungen Aufmerksamkeit zu generieren strebt, dem fehlt natürlich der Blick für die notwendigerweise kleinteilige und komplexe Kärrnerarbeit, die am vergangenen Mittwoch 16 verantwortungsvolle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin in kollegialer Atmosphäre geleistet haben. Ich jedenfalls halte die Ergebnisse für sinnvoll und der gegenwärtigen Situation auch angemessen. Wir sind mit Blick auf zu ergreifende Maßnahmen in Regionen und Städten mit hohen Infektionszahlen zu einheitlichen Regelungen gekommen, die so eindrücklich wie nötig und so wenig einschränkend wie möglich sind. So muss es sein.
Und ja, weil ich bereits zu Beginn des Textes von „Verrücktheit“ sprach: beim sog. Beherbergungsverbot wurde kein Konsens erreicht. Ich habe schon in der letzten Woche darauf hingewiesen, dass ich eine solche Maßregel für Unsinn halte. Für mich gilt nach wie vor, dass die lokalen Gesundheitsämter im Rahmen der geltenden Infektionsschutzgesetzgebung die Experten für etwaige Infektionsgeschehen sind. Sie müssen Empfehlungen aussprechen und uns verlässlich darin unterstützen, Infektionsketten zu unterbrechen. Für mich ist es schlicht keine rechtsstaatlich vertretbare Option, Menschen aus einem bestimmten Landkreis mit einem erhöhten Infektionsaufkommen pauschal von Übernachtungen etc. in Thüringen auszuschließen. Es kann nicht sein, dass ein Berliner Lokführer während seines Dienstes plötzlich nicht mehr in Stuttgart übernachten darf oder Urlauber nicht mehr Speisekarten studieren, sondern vor Reiseantritt die Landkarte ganz neu lernen müssen.
Genauso sehen es im Übrigen bereits erste Gerichte, die beispielsweise in Niedersachsen und Baden-Württemberg das Beherbergungsverbot gekippt haben.
Gleichzeitig müssen wir weiterhin achtsam sein. Das COVID19-Virus ist weiterhin gefährlich und wir alle tragen die Verantwortung für die Gesundheit unserer Mitmenschen – besonders solcher, die einer vulnerablen Gruppe angehören. Die AHA-Regeln sind eine leicht für jedermann umzusetzende Form des verantwortungsvollen Umgangs mit der Krankheit. Halten wir uns an sie!
Zum Wochenende hin habe ich mit meiner Kollegin Manuela Schwesig schließlich gemeinsam bei Maybritt Illner die Ergebnisse des Treffens im Kanzleramt diskutiert. Ich hoffe, wir konnten zeigen, dass nicht Beliebigkeit und Machtkalkül, sondern Verantwortungsbewusstsein für das viel beschworene „große Ganze“ mich und meine Kollegen antreibt. Das Virus unterscheidet nicht zwischen Norden und Süden, West und Ost. Wir sind alle in gleicher Weise gefordert.
Auch unsere Freizeitgestaltung bleibt von der Situation nicht unberührt. Ich habe mich deshalb dafür entschieden, am Thüringer Meer die letzten Ausläufer des Indian Summer zu genießen und in Ruhe und Abstand Kraft für die kommende Zeit zu tanken. Und für alle, die ebenfalls noch einen Ruheort für das Wochenende suchen: Hier ist genügend Platz und physische Distanz kann problemlos eingehalten werden.
Verrückte Wochen kommen und gehen. Wichtig bleibt am Ende, dass man am Sonntagabend weiß, wofür man am Montagmorgen aufsteht und dass man sich in der vergangenen Woche selbst treu geblieben ist.