Eine Woche in und für Thüringen

Als Ministerpräsident bekomme ich jeden Tag viel Post. Da gibt es Vermerke, Unterlagen, zu unterzeichnende Schriftstücke, Terminvorbereitungen… aus der Landesverwaltung, jede Menge Einladungen aber auch sehr viele kleinere und größere Hilferufe von Bürgerinnen und Bürgern, von Unternehmen im Land und natürlich auch von Gemeinden. Ende letzten Jahres schrieb mir der Ortsteilbürgermeister von Neckeroda, Siegfried Hörcher, eine lange E-Mail. Er berichtete mir, was in seinem Dorf, das seit 1997 Ortsteil der Stadt Blankenhain im Kreis Weimarer Land ist, alles getan wird, um ein lebendiges Dorfleben aufrecht zu erhalten aber er schilderte auch mir die vielen kleineren und größeren Sorgen, die ihn und das Dorf so bedrücken. Für die meisten Dinge, die er ansprach, ist das Land eher nicht zuständig. Ich hätte also einfach eine freundliche Antwort schreiben können aber die E-Mail hat mich neugierig gemacht, denn vor allem sprach aus ihr ganz viel Engagement von Menschen für ihr Dorf.

Also bat ich mein Büro einen Termin zu vereinbaren und am Montag nahm ich mir dann drei Stunden Zeit für Neckeroda und seine Menschen. Vielleicht ist einigen Neckeroda als Färberdorf bekannt. Jedes Jahr findet am letzten Samstag im August dort das große Färberfest statt. Ein sehr rühriger Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Tradition des alten Färberhandwerks mit Naturstoffen zu bewahren. Wer von uns kennt noch die Pflanzen, mit denen früher auf ganz natürliche Art und Weise gefärbt wurden, Waid etwa oder Krapp. Umso schöner, dass in Neckeroda ein Färberzentrum, ein kleines Museum und ein Laden entstanden sind, wo dieses Wissen gepflegt und weitergegeben wird. Sehr zentral wurde eine alte Waidmühle wieder errichtet. Ein wirklicher Anziehungspunkt.

Und dabei soll es nicht bleiben. Neckeroda ist in seiner Urbebauung ein klassischer Rundling. Von drei Seiten wird Neckeroda von einem Doppelwall umgeben aber im Dorf sind leider über die Jahrhunderte einige Höfe verschwunden und die Gemeinde hat sich vorgenommen, die alte Dorfstruktur wiederzubeleben und ein neues Dorfzentrum zu errichten. Viele Ideen gibt es: Wohnungen für Seniorinnen und Senioren, die dann vielleicht ihre Häuser jungen Familien übertragen aber auch ein Ort für Kinder und Jugendliche, die Betreuung brauchen.

Im Gespräch mit den Menschen vor Ort spürte ich bei allen kleineren und größeren Sorgen doch sehr viel Optimismus und Mut, dass das Dorf so Zukunft haben kann. Ein paar Anregungen konnte ich mitgeben.

Gern würde der Ort auch Windenergie nutzen, Windräder aufstellen und dadurch auch einen Mehrwert für das Dorf erzielen, hier stehen aber im Moment die regionalen Windvorrangflächenplanungen dagegen. Das ist vor allem ein Thema für die Region aber ich habe es auch für mich mitgenommen, ob wir hier nicht auch auf Landesebene noch mehr tun können.

Überhaupt hat sich die Runde mit den Bürgerinnen und Bürgern gelohnt. Da ist die Agrargenossenschaft die in Sorge ist, wie es mit den Agrarsubventionen weitergeht und der ich gern gesagt habe, dass ich alles tun werde, dass die ostdeutschen Betriebe hier nicht benachteiligt werden. Da war der Renter, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtling nach Thüringen gekommen ist und sich lange für den Ort und die Menschen im Ort engagiert hat, zuletzt im Seniorenbeirat.

Seit Jahren hat er eine lebendige Brücke in seine alte Heimat geschlagen und so lebt die Freundschaft zwischen einem polnischen und dem Thüringer Dorf. Gelebte Völkerverständigung!

Diese Besuche und Gespräche machen mir immer wieder sehr viel Mut, dass wir in Thüringen auf einem guten Weg miteinander sind.
Letzte Woche fand in Weimar der Auftakt des großen Bauhausjubiläums „100 Jahre Bauhaus – aus Thüringen in die Welt“ statt. Am Dienstagabend dürfte ich anlässlich des traditionellen Events zum Vorabend der ITB einmal mehr als Bauhaus-Botschafter fungieren. Denn auch die Thüringer Präsentation auf der ITB steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des Bauhausjubiläums #bauhaus100. Die Thüringer Landesvertretung in der Mohrenstraße präsentierte sich dementsprechend klassisch und zugleich modern. So präsentierte sich der Veranstaltungsraum als Jazzlokal aus der Zeit der Bauhausgründung. Dies wurde musikalisch durch fünf Musiker der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar unterstrichen, welche als „Time Rag Department“ mit Swingmusik für eine beschwingte Atmosphäre sorgten.
Beworben wurde neben der „Bauhaus Grand Tour“, auf welcher Tourist/innen Bauhaus-Orte in ganz Thüringen besuchen können, auch das neue Bauhausmuseum in Weimar, dessen Architektin, Heike Hanada, interessierten Besucher/innen Rede und Antwort stand. Ein weiteres Highlight war die große Nachbildung der original Bauhauswiege im Eingangsbereich der Thüringer Landesvertretung. Sie wird dort noch einige Zeit zu bestaunen sein. Ich war hocherfreut, dass sich mit Jan Keler, der Erbe des Bauhäuslers Peter Keler die Ehre gab, der als Kind selbst in der Bauhaus-Wiege gelegen hatte. Herr Keler hatte sogar Kinderbilder als „Beweisfoto“ mitgebracht und fungierte als lebendiger Beweis, wie lebensnah und immer noch zeitgemäß der Bauhausgedanke ist.
Am Donnerstag ereilte mich dann die frohe Botschaft „Thüringen wird schwarz“! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, denn: Hierbei geht es um Windkraft. Genauer gesagt um die Windkraftanlagen der Firma BOREAS.
Die BOREAS Energy GmbH hat kürzlich seinen Unternehmenssitz nach Thüringen, in den schönen Spargelort Herbsleben verlagert und lud mich aus diesem Anlass zu einem Unternehmensbesuch nach Herbsleben ein. Im Gespräch mit dem Geschäftsführer Jörg Kuntzsch erfuhr ich von einer Innovation, die Windkraftanlagen sicher und angenehmer für Ihre Nachbarschaft machen soll. Wohl jeder kennt die grellroten Blinklichter, die Windparks für Flugzeuge erkennbar machen sollen und in einem irritierend ungleichmäßigen Takt (jedes Windrad blinkt regelmäßig, aber nicht synchron mit anderen) die Nacht erhellen. Die Firma Boreas möchte das beenden und damit dafür sorgen, dass das Thüringer Becken nachts wieder angenehm dunkel ist. Aus diesem Grunde tüftelt man an einem Signal, das über Radar zu empfangen sein soll, sodass Flugobjekte nicht länger auf eine „optische“ Warnung angewiesen sind. Neuere Windkraftanlagen verfügen in Teilen bereits über diese Lichtemissionen vermeidende Ausrüstung. BOREAS sieht sich in der Lage, auch bestehende Windparks „nachzurüsten“ und somit sehr schnelle Effekte zu erzielen.
Ein weiteres Betätigungsfeld der Herbslebener besteht in der Erforschung neuer Speicherkapazitäten für regenerative Energien. Das Stichwort lautet „Speicherfähigkeit über Methanisierung“ oder neudeutsch „Power to Gas“. Durch Gaskavernen und die Einspeisung von Energie ins Erdgasnetz als leistungsfähigem Energiespeicher bemüht sich die Firma derzeit um einen Lückenschluss von Windenergie zu Erdgas.
Hier wird deutlich, dass es dem Unternehmen nicht nur um sein eigenes, enges Produktportfolio, sondern um Nachhaltigkeit geht. Dieser Nachhaltigkeitsgedanke wird auch vor Ort in Kirchheiligen deutlich, wo die Firma Regionalentwicklung betreibt. Bereits auf meiner Sommertour besuchte ich die Stiftung Landleben und verschaffte mir einen Eindruck von neuen Konzepten, um dem demographischen Wandel entgegen zu treten und Dörfer weiterhin für junge Familien attraktiv zu halten. Eine wichtige Rolle spielt dabei natürlich die ländliche Infrastruktur. Die Firma BOREAS leistet hier im Schulterschluss mit der Gemeinde einen Beitrag durch die Mitfinanzierung eines Busses mit dem die Kinder der Region in das lokale Schwimmbad kommen können, das gleichzeitig die naturschutzrechtliche Ausgleichsfläche für den benachbarten Windpark abbildet. Eine Win/Win-Situation für die Gemeinde und die Kinder der Region. Preiswerter Strom für die Bewohner der umliegenden Dörfer gehört genauso dazu, wie gute Arbeitsplätze und die Unterstützung bei Genossenschaftsgründungen. Und vor allem bleiben alle Steuern in der Region.
Ich wünsche mir mehr Querdenker wie in Herbsleben und Kirchheiligen, die mit innovativen Konzepten Thüringen nachhaltig lebenswert halten.
Vor kurzem lernte ich Anton kennen. Anton besucht die Klasse 4d der Jakob- und Wlhelm-Grimm Europaschule in Erfurt. Er sprach mich an einem Samstag auf dem Parkplatz eines Supermarktes an und zeigte mir ganz stolz sein großes Schulheft. Die Klasse hatte gerade im Unterricht gelernt, wer Ministerpräsident in Thüringen ist und nun stand dieser Ministerpräsident direkt neben ihm. War doch klar, dass ich ihn und seine Klasse zu mir in die Staatskanzlei eingeladen habe, damit sie nicht nur wissen, wer der Ministerpräsident von Thüringen ist, sondern auch, wo und wie er arbeitet. Am Freitag war es soweit und eine fröhliche Truppe kam zu mir und ich konnte ihnen erzählen, in was für einem Haus die Staatskanzlei sitzt, was die Menschen, die hier arbeiten, so den ganzen Tag treiben und warum auf dem Kabinettstisch so eine große Glocke steht. Ich denke, der Anton und seine Klasse hatten viel Spaß an diesem Vormittag. Wer gestern in Thüringen unterwegs war, der kam nicht umhin festzustellen: Der Frühling ist offenbar unaufhaltsam auf dem Weg zu uns… In Erfurt gab es lange Schlangen vor den Eisdielen und die Parkanlagen waren voller Menschen, die sich nach Sonne sehnten. Logisch, dass dieser Moment in Thüringen ganz besonders gefeiert wird und zwar in Eisenach.
Jedes Jahr findet dort ein großes Frühlingsfest statt, der Sommergewinn. Er findet immer drei Wochen vor Ostern statt und kennzeichnet die Mitte der Fastenzeit. Neben einem großen Volksfest gibt es am Samstag einen Festumzug durch die Stadt, der mit einem Streitgespräch zwischen Frau Sunna und Herrn Winter endet. Klar, dass Frau Sunna gewinnt und der Winter wird am Ende symbolisch verbrannt. Die Symbole des Eisenacher Sommergewinns sind der Hahn, das Ei und die Brezel. In dem Ausruf „Gut Ei und Kikeriki“, mit dem die Eisenacher zum Sommergewinn ihre Gäste begrüßen, finden sich zumindest zwei der Symbole, nämlich das Ei und der Hahn mit seinem „Kikeriki“ wieder. Dieser Ruf schallt zum Sommergewinn in Eisenach durch alle Straßen und drückt die Freude über das neu erwachende Leben, die Rückkehr des Frühlings und das Ende der kalten Jahreszeit aus. Über 65.000 Menschen waren gestern wieder dabei, als dieser Brauch begangen wurde. Am Sonntagabend wird dann übrigens noch ein weiterer Brauch gepflegt, nämlich das sogenannte Feuerradrollen, mit dem der Winter symbolisch endgültig vertrieben wird.