Vor 20 Jahren – Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge

Heute jährt sich zum zwanzigsten Mal der Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge. Am 20. April 2000 schleuderten Neonazis, die vorher den Geburtstag Adolf Hitlers gefeiert hatten, Molotowocktails gegen das jüdische Gotteshaus – in der Absicht es niederzubrennen.

Am Tatort hinterließen sie ein Bekennerschreiben, in dem es hieß:

„Dieser Anschlag basiert auf rein antisemitischer Ebene! Wir grüßen den Verfassungsschutz Gotha. Heil Hitler. Die  Scheitelträger.“

Der Brand konnte zwar Gott sei Dank von Anwohnern gelöscht werden, das Feuer des Antisemitismus lodert bis heute ohne Unterlass weiter. Ich weiß noch genau, wie ich am Morgen nach der Tat, einem sonnigen Ostersonntag, per Anruf von dem Anschlag erfuhr. Es war ein kaum zu beschreibendes Gefühl der Beklemmung und des Ekels zu wissen, dass es im Deutschland des Jahres 2000 nach wie vor Menschen gab, deren Hass auf Jüdinnen und Juden so grenzenlos war, dass sie eine wiedererrichtete Synagoge (die einzige in der DDR neugebaute), in einer Stadt, in der 1938 während der Reichspogromnacht schon einmal von den Nazis Synagogen niedergebrannt wurden, abermals zerstören wollten. Während Teile der Öffentlichkeit schockiert wirkten – eine Schockstarre oder Lethargie gar, die man sich angesichts des vehementen rechtsextremen Hasses dieser Jahre heute nur schwer erklären kann – fand mein späterer, väterlicher Freund, der damalige Landesvorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Wolfgang Nossen die ebenso kühlen wie klaren Worte: „Ich bin nicht sonderlich überrascht.“ Diese Worte aus dem Mund von einem, der mit seiner Familie von den Nazis in Ghettos und KZs verschleppt worden war, überlebte und Jahrzehnte später nach allem, was gewesen war, aus Israel wieder nach Deutschland und Erfurt zurückkehrte, haben mich nie mehr losgelassen – bis heute nicht.

Noch am selben Tag, um 10 Uhr morgens, war ich mit jungen Menschen und Besuchern der gerade zu Ende gegangenen Gottesdienste der Kirchen vor der Synagoge. Wir sangen gemeinsam Lieder und bildeten eine Menschenkette um das Gebäude. Wir wollten unsere tiefe Verbundenheit mit allen jüdischen Brüdern und Schwestern zum Ausdruck bringen, denen dieser feige Anschlag gegolten hatte. Ich gab kurz darauf Antenne Thüringen ein Interview und bat die Bevölkerung ebenfalls zur Synagoge zu kommen, um ihre Anteilnahme und Solidarität zu bekunden. Gemeinsam mit Wolfgang Nossen ging ich in die Synagoge. Er erläuterte mir, was geschehen war und zeigte mir die Spuren des Anschlags.

Noch am selben Abend fand ich auf meinem Anrufbeantworter eine Morddrohung. Ich alarmierte die Polizei, die das Beweismaterial sicherte. Mir hat sich tief eingebrannt, wie die LKA-Beamten im Anschluss meinen beiden Söhnen erklären mussten, wie diese sicher eine Wohnung zu betreten und sich in den einzelnen Räumen zu bewegen hatten – eine „Ausbildung“, die ich meinen Kindern gern erspart hätte, aber klar war: die Bedrohung war konkret geworden. Als die Polizei einen der Täter ermittelt hatte, mussten sie bei diesen nur die Wiederwahltaste des Telefons drücken und schon klingelte es bei mir.

Meine tief empfundene Freundschaft und Verbundenheit mit der Jüdischen Landesgemeinde liegt in den Ereignissen dieser Tage im Frühjahr 2000 begründet. Zwei Dinge bewegten mich im Rückblick besonders: zum einen die deutlich sichtbare und spontane Solidarität all derer, die sich nicht einschüchtern ließen. Zum anderen ein Besuch wenige Wochen später in New York. Dort stellte man mir die ebenso unerwartete wie erschütternde Frage, wann denn die abgebrannte Synagoge von Erfurt wieder aufgebaut werden würde. Da war mir mit einem Schlag klar: Die Welt schaut auch auf unser kleines Thüringen – auch und gerade nach Buchenwald und der auf immer mit der Stadt Erfurt verbundenen Geschichte von Topf & Söhne – derjenigen Firma, die unter anderem die Verbrennungsöfen von Auschwitz baute und damit in brutaler Deutlichkeit die aktive Mittäterschaft beim fabrikmäßigen Völkermord illustriert, die von unserem Bundesland ausging. Bitter war für mich, wie die Täter im Nachgang schnell zu „verwirrten Einzeltätern“ gemacht, die Taten damit regelrecht abgetan wurden. Spätestens in den Untersuchungsausschüssen zum Terror des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im Thüringer Landtag Jahre später spürten wir, wie falsch all diese Einordnungen waren.

Als eine der Lehren aus den Ereignissen des Jahres 2000 wurde der Thüringen-Monitor ins Leben gerufen. Die Debatten, die wir jährlich zu ihm im Landtag führen, halten die Erinnerung wach.