Als Christ und LINKER im Ländle
Im Rahmen des Reformationsjahrs 2017 bin ich dutzende Male, auf vielfältigsten Veranstaltungen – weltweit – als „Thüringer Reformationsbotschafter“ aufgetreten, um die Aktualität des Reformationsgedankens, seine Relevanz für die heutige Zeit zu diskutieren und zugleich um „Werbung“ für mein Bundesland, als Keimzelle dieses historischen, gesellschaftlichen Wandels und seine kulturellen Highlights zu machen.
Bevor wir uns mit dem Reformationstag dem abschließenden Höhepunkt dieser jahrelang und akribisch vorbereiteten Feierlichkeiten nähern, bin ich im Zeichen des ausklingenden Reformationsjubiläums nach Baden-Württemberg gereist. Eingeladen hatte mich das Evangelische-theologische Seminar aus dem eher kleinen und beschaulichen Blaubeuren. Obwohl dieser Besuch eher einen Exotenstatus in meinem Kalender einnahm, bin ich dieser Einladung besonders gerne gefolgt. Zum einen, weil das Besuchsprogramm mit zwei spannenden Podien in Stuttgart und in Blaubeuren selbst einen interessanten Gedankenaustausch zwischen ehemals „West“ und „Ost“, Schwarz- und Rot-Rot-Grün, Baden-Württemberg als einer der am stärksten protestantisch geprägten Gegenden Deutschlands und dem überwiegend nicht konfessionellen Thüringen versprach. Zum anderen aus einem persönlichen, biographischen Bezug zu Blaubeuren: Ich kenne die Gegend aus meiner „Marburger Zeit“, da die Familie einer Mitschülerin von der Schwäbischen Alb stammte.
Im Mittelpunkt meines Besuches standen zwei gut besuchte, öffentliche Podien:
Am Abend des 12. Oktobers empfing mich Pfarrerin Monika Renninger im Stuttgarter Hospitalhof zur Veranstaltung „Was man nicht kennt, fürchtet man“. Im Gespräch mit dem ehemaligen Nahostexperten der ARD, Jörg Armbruster, ging es um Thüringer Sichtweisen auf die Zukunft der Integrationspolitik und neue politische Herausforderungen nach der Bundestagswahl. Natürlich ging es auch um die Argumentationslinie einer „Verteidigung des christlichen Abendlandes“, die so häufig für fremdenfeindliche Argumentationslinien herangezogen wird und um die christlich-humanistische Verantwortung innerhalb des Diskurses um Migrationsbewegungen, Fluchtursachen und Integrationsangebote.
Der große Saal war gut und mit einem durchaus heterogenen Publikum gefüllt. An der einen oder anderen Stelle wurde deutlich, dass das starke Abschneiden der AfD bei den Bundestagswahlen in den Augen vieler Westdeutscher ein „ostdeutsches Phänomen“ ist. Schließlich hätten 44% der Stuttgarter/innen einen Migrationshintergrund und die Flüchtlingszahlen (2017 bspw.: 16.015 angekommene Flüchtlinge im Vergleich zu 6.700 Thüringer Asylbeweber/innen) seien ungleich höher – dennoch würde niemals eine Diskussion über einen Moscheebau mit der selben Verbitterung wie im Erfurter Marbach geführt werden… Ich machte deutlich, wie gefährlich diese Sichtweise für die Zukunft unserer Gesellschaft ist: Fremdenfeindlichkeit und „Angst vor Neuem“ sind bei weitem kein ostdeutsches, sondern ein soziales Phänomen, das dann entsteht, wenn Lohnungerechtigkeit und Armut zu sozialer Ausgrenzung führen ein Vakuum erzeugen, das nicht durch einen lebendigen demokratischen Diskurs und soziale Arbeit, sondern durch Hetze und Angst gefüllt werden kann. Gerade die Kirchen spielen hier in meinen Augen eine wichtige Rolle, indem sie sich in die gesellschaftliche Debatte um unsere christlichen Wurzeln im Sinne der Nächstenliebe einbringen. Auch in Westdeutschland wächst dieses Vakuum, in dem die Abstiegsängste abhängig und prekär Beschäftigter gegen noch schwächere Geflüchtete ausgespielt werden, erkennbar.
Das Stuttgarter Publikum interessierte sich besonders für diese Thüringer Erfahrungen und auch für meine spezielle, rot-rot-grüne Sichtweise auf den Themenkomplex. Nachdem wir in Thüringen bereits erste Erfahrungen mit der AfD im Landtag sammeln durften, betrifft der Einzug dieser Partei in den Bundestag ganz Deutschland. Alle demokratischen Parteien müssen sich ihrer Verantwortung stellen, sich nicht in die Ecke der „Altparteien“ schieben und das Parlament – etwa durch endlose Geschäftsordnungsdebatten – als „Quasselbude“ vorführen zu lassen.
Die Diskussion mündete in die Erkenntnis, dass gerade die emotionale Aufladung der gesellschaftlichen Debatte nicht zu vernachlässigen ist: Wenn ich von Fremdenfeindlichkeit als „sozialem Phänomen“ rede, geht es nicht allein um tatsächliche Armut, nicht zwangsläufig um Menschen in einer sozialen Notlage. Es geht um Verlust- und Abstiegsängste und ein emotionales Ungerechtigkeitsempfinden, das oft nur sehr schwer zu entkräften ist.
Ein Teil der Schuld dieser wachsenden Verunsicherung – der Nährboden für Zukunftsängste – liegt sicherlich in einer Liberalisierung des Arbeitsmarktes und einem mit Leiharbeit und befristeten Verträgen einhergehenden Flexibilisierungsdruck, der – auch in Westdeutschland – zu prekärer Beschäftigung und wachsender Frustration führt. Die wenigsten Menschen, die früher der „klassischen Arbeiterschicht“ zugeordnet worden wären, empfinden sich dabei heute selbst als Arbeiter. Viele geben an, zumindest mittelfristig über das zu verfügen, was sie zum Leben brauchen.
In vielerlei Hinsicht (etwa in der Zahl der Industriearbeitsplätze pro Kopf, den Arbeitslosenzahlen und der Forschungsdichte) muss Thüringen den Vergleich mit Baden-Württemberg absolut nicht scheuen. Xenophobie liegt in meinen Augen nicht an einer ostdeutschen oder westdeutschen Herkunft, sondern daran, was Verunsicherung und Zukunftsängste erzeugt.
Für alle demokratischen Parteien gilt es nun, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, dass Teile der Bevölkerung Angst haben, sich in einer offenen Gesellschaft nicht behaupten zu können und sich emotional „verloren“ fühlen. Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen setzt hierzu richtigerweise neben dem Integrationsmanagement für anerkannte Geflüchtete, allgemein auf eine Förderung guter Arbeitsbedingungen für Thüringerinnen und Thüringer und die Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt.
Diese politische Verantwortung, die ich für mich als Linker und Christ annehme, diskutierte ich am nächsten Tag mit vielen, überwiegend jungen Menschen im Klosterkirchensaals des Benediktinerklosters in Blaubeuren unter dem Oberthema: „Linker und Christ – wie geht das zusammen?“. Neben meinem persönlichen Empfinden, dass das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und Völkerverständigung christlicher Grundkonsens sein sollte, ließ sich hier ein Bogen zum gestrigen Abend und zu ( dem in vielerlei Hinsicht auch streitbaren) Martin Luther als Vater der Reformation ziehen. Durch seine Bibelübersetzung setzte sich der Reformator unter widrigen Bedingungen dafür ein, einen gesellschaftlichen Diskurs über Gottes Wort überhaupt erst zu ermöglichen. Breite Bevölkerungsschichten erhielten erstmals die Möglichkeit, sich eigenständig mit der Bibel auseinander zu setzen. Diese Teilhabe an einem pluralistischen Diskurs ist in meinen Augen ein hohes Gut, das ich als evangelischer Christ und als Politiker immer verteidigen werde. Auch in Blaubeuren ging es um die Zukunft der Integrationspolitik und die Frage, ob ich als Ministerpräsident manchmal gezwungen bin, politische Entscheidungen zu vertreten, die der christlichen Nächstenliebe widersprechen. Ich musste ehrlich zugeben, dass ich diese Schwierigkeit und diese Abwägungsprozesse aus meinem Arbeitsalltag kenne. Gerade beim Vollzug von Abschiebungen, der Frage sicherer Herkunftsländer oder einer unterschiedlichen Behandlung von Geflüchteten je nach Nationalität, fällt mir als Landesvater die Umsetzung bundespolitischer Vorschriften hin und wieder nicht leicht. Gerade als Christ gebe ich mein Streiten zur Beendigung solcher Ungerechtigkeiten dennoch nicht auf und sehe mich damit in der Tradition vieler „ungemütlicher“ Christenmenschen, von denen nicht wenige auch aus „meinem“ Bundesland stamm(t)en.
Die Diskussion in Blaubeuren war lebendig und in Teilen durchaus hitzig, da die Linke in dieser Region mit einem durchaus anderen Image als in den neuen Bundesländern belegt ist. Das verbindende Element aller im Saal war das Streben nach religiösem und demokratischen Pluralismus. Es wurde deutlich, dass auch diejenigen, die sich mit dem Konzept des „demokratischen Sozialismus“ nicht anfreunden können, die Notwendigkeit einer neuen sozialpolitischen Debatte sehen, um einer als zutiefst unchristlich empfundenen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit entgegen zu treten.
Ich habe diesen Besuch als inspirierend und bereichernd empfunden und große, positive Resonanz auf die rot-rot-grüne Regierungsarbeit erfahren. Als Christ und als Politiker weiß ich um die Bedeutung des offenen, lebendigen Diskurses und freue mich, einen kleinen
Das Besuchsprogramm gestattete es mir zudem, das Urgeschichtliche Museum der Stadt mit der „Venus vom Hohle Fels“, einer 40.000 Jahre alten, aus einem Mammutzahn geschnitzten Frauenfigur, bei der es sich um die älteste bekannte Darstellung eines Menschenkörpers handelt, zu besuchen. Noch am Tag zuvor hatte ich das Museum für Ur- und Frühgeschichte in Weimar besucht und ließ mich durch die vergleichende Betrachtung inspirieren. Darüber hinaus besuchte in den berühmten Blautopf, eine durch eine besondere Lichtbrechung der Kalkpartikel im Wasser blau leuchtende Karstquelle, die uns im Herbstsonnenlicht entgegenglitzerte.