Rhythmus der Zeit

„Die Zeit hat ein Geheimnis. Das ist der Augenblick“. Diese Zeile aus einem Gedicht von Jörg Zink hat mich in der Adventszeit berührt. Beim morgendlichen Gebetsfrühstück hat ein Kollege aus dem Bundestag das Gedicht vorgelesen und ich habe viel darüber grübeln müssen. Wenn die Zeit das Geheimnis des Augenblicks in sich trägt, so wird man immer dann, wenn man anfängt darüber nachzudenken, feststellen, dass der Augenblick schon vorbei ist. Deshalb ist das Gefühl, in dem man sich bewegt, so wichtig, und die Orientierung, dass es ein Davor, sowie das Wissen, dass es ein Danach gibt.

Das Jahr 2008 hatte viele Augenblicke für mich, die ich behalten kann. Da ist die Reise mit den Bundestagsabgeordneten in die Türkei nach Tarsus so ein gewichtiger Augenblick, von dem ich heute noch zehre. Da sind die Gespräche mit der Stiftung für die aramäische Sprache, die mich darauf aufmerksam gemacht haben, welches Kulturgut, welches kulturelle Erbe verloren geht, wenn wir jetzt nicht anfangen, die aramäische Sprache zu pflegen und zu beschützen. Da sind die Entscheidungen, die das Leben meiner Frau und mich betreffen, und darin eingebettet, das wunderbare Erlebnis, dass nun ein kleiner Hund mit dem großen Namen Attila unser Leben bereichert. Da ist aber auch die Bitte von Radio Funkwerk in Erfurt gewesen, dass ich zum Lesetag etwas vorlesen soll. Ich habe mich entschieden, eine kleine Geschichte von Muck, dem Wichtel und dem dicken Tobi vorzulesen. Wer das hören will, findet dies auf meiner Homepage. Wer meinen Weg durch das Jahr begleiten möchte, findet auch viele Bilder und Notizen in diesem elektronischen Kalender.

Richtig wütend gemacht hat mich allerdings in diesem Jahr eine Werbung im Radio in Berlin.
Dort dudelt immer wieder vor den Adventssonntagen eine Werbung, die einen Gottesdienst in einer Kirche vorgaukelt und der Pfarrer beabsichtigt zu predigen. In einer leeren, hallenden Atmosphäre fragt er dann, wo die Gemeinde sei, und es antwortet aus dem Radio bei Poco Domäne: „Zum Einkaufen!“ Die Adventssonntage seien doch jetzt komplett zum Einkaufen frei gegeben und ich grusele mich über diesen Augenblick.

Wenn Advent nicht mehr die Stille beinhaltet, sondern den Konsum zur allgegenwärtigen Ersatzreligion stilisiert wird, dann spüre ich die Leere, die sich da breit macht. Man muss wirklich kein Christ sein, um Sonntagsruhe genießen zu können. Der Sonntag ist Teil unseres Zeitzyklus, so wie es in anderen Regionen der Samstag oder der Freitag ist. Aber in allen Kulturkreisen kennt man den einen Tag der Pause in einem Wochenrhythmus. Aus dieser Pause erwächst die Kraft, um sich für den Alltag zu wappnen. In diesem Sinne hoffe ich, dass die Friedensbotschaft der Weihnachtsgeschichte wirklich die Ausstrahlung hat, um Menschen friedlicher zu stimmen. Es ist meine Hoffnung, aber leider nicht die Realität. Da gibt es noch viel für uns zu tun.