Tagebuch sorgt für reges Interesse

Mein Tagebuch hat doch tatsächlich einen größeren Bekanntheitsgrad als ich dachte.
War es am Anfang nur eine Idee der „Thüringer Allgemeinen“, so verbreitet sich zwischen den regelmäßigen Tagebuchschreibern mittlerweile ein gewisser Wettbewerb und Ehrgeiz und, was ich schön finde, sogar eine wechselseitige Unterstützung. Aufmunternde Worte oder kleine Kommentare führen dazu, dass der Autor spürt, dass zumindest ein kleiner Kreis täglich mitliest.

In den letzten Wochen konnten wir zumindest über meine Homepage realisieren, dass wohl täglich rund 200 Menschen einen Blick auf mein Tagebuch werfen. Aufgrund von ein paar unangenehmen aktuellen Ereignissen weiß ich aber jetzt auch, dass der Leserkreis im Großraum Dresden zugenommen hat. Zu dem Beschluss im Dresdner Stadtrat vom 15.9.08 gibt es mittlerweile einen regen Emailverkehr, um meinen Tagebucheintrag zu korrigieren. So viel Neugier hatte ich noch nie. Dachte ich bislang, dass mein Tagebuch einfach zum Mitlesen und zum Nachdenken, ja sogar zum diskutieren anregt, muss ich jetzt feststellen, dass zumindest all diese Themen noch nie eine solche Resonanz in der eigenen Partei ausgelöst haben wie meine kurzen Zeilen zu den seltsamen Vorkommnissen im Dresdner Stadtparlament. Erwähnt sei, dass dort aufgrund eines von Nazis eingebrachten Antrages die Mehrheit des Stadtparlamentes einem Gedenken zum 11. September zugestimmt hat, bei dem meines Erachtens zwei Dinge als Problem zu bewerten sind. Einerseits ist der Antragsteller daran interessiert, in einem deutschen Parlament endlich einen Tabubruch dahingehend zu erreichen, dass eine Mehrheit einem von Nazis gestellten Antrag zustimmt. Dies ist in jedem Fall gelungen.
Zweitens bleibt strittig, ob mit dem Antrag der 11. September 1944, also das Gedenken an die getöteten deutschen Soldaten während der Kriegshandlungen oder die getöteten Zivilisten beim Terroranschlag am 11. September 2001 im World Trade Center gemeint waren. Diese Fragestellung scheint im Raum zu stehen, da einer der Antragsteller am Rande des Stadtverordnetenplenums dahingehend zweifelhafte eigenen Äußerungen machte.

In der letzten Woche schrieb ich deshalb, dass ich zur Kenntnis nehmen musste, dass der Tabubruch von unserer Altfraktion mitgemacht wurde.

Jetzt korrigieren einige Mitglieder diesen von mir so aufgenommenen Eindruck dahingehend, dass sich die Dinge im Detail durchaus anders abgespielt haben.

Mit großem Respekt habe ich gestern Nacht die Erklärung von Ingrid Mattern zur Kenntnis genommen, dass sie aus Anlass dieses Tabubruchs die Altfraktion verlassen hat. Mit Verweis auf von Nazis getötete Familienangehörige hat sie erklärt, dass sie diesen Tabubruch und das sehr oberflächliche Verhalten mit ihrem Gewissen nicht in Einklang bringen kann. Davor habe ich höchsten Respekt. Ihr Ehemann André Brie, teilte mir mit, dass 50 Angehörige der Familie Brie von den Nazis ermordet worden seien und dass er deshalb Ingrid unterstützt hat, den Schritt des Austritts aus der Fraktion zu gehen. Auch dies ist eine klare Haltung und hat meinen Respekt.

Die Situation in Dresden hat zumindest zu einer Debatte innerhalb der LINKEN geführt. Hier geht es nicht um Alt- oder Neufraktion, richtig oder falsch, sondern hier geht es um ein Einsehen, dass ein großer Fehler passiert ist und dass diejenigen, die einen Fehler reflektieren, auch in der Lage sind, damit umzugehen.

Zwischenzeitlich habe ich von Christine Ostrowski eine Mail bekommen. Darin beharrt sie darauf, dass lediglich sie, Ronald Weckesser und Angelika Zerbst für den Antrag gestimmt hätten. Andrea Rump habe dagegen gestimmt und Ingrid Mattern, Rainer Kempe, Ralf Lunau, Monika Eigner und Peter Hertigböhm sollen sich enthalten haben. Barbara Lässig wäre zu dieser Zeit nicht anwesend gewesen.

Seltsam finde ich, dass Frau Ostrowski nicht einmal in ihrer Mail reflektiert, dass es ein Fehler war, so abzustimmen. Seltsam finde ich auch, dass Rainer Kempe, der bis dahin stellvertretender Stadtvorsitzender unserer Partei war, seine Ämter mit der Erklärung, er habe einen Fehler begangen, niedergelegt hat. Was ich nicht begreife, ist, wie man einen schlimmen Fehler machen kann, den man auch selbst als solchen deklariert, dann seine Ämter niederlegt und hinterher erklärt, man habe den Fehler gar nicht begangen.

Genauso wie Ronald Weckesser, der trotz Aufforderung der Landtagsfraktion und der Kreisvorsitzenden aus Sachsen, keine Konsequenzen ziehen will. Stattdessen vergleicht er öffentlich sein Verhalten mit Wolf Biermann – einfach absurd.

Wenn ich lese, dass die kritischen Debatten in der Partei SED-Methoden seien, fühle ich mich daran erinnere, dass mir am 3. Oktober in den Räumen der Altfraktion in Dresden vorgeworfen wurde, dass mein klares Eintreten und klares Engagement für eine gemeinsam zu vereinbarende Parteilinie, Stalinismus wäre, dann kann ich über so viel ahistorisches Zeug nur den Kopf schütteln.

Nun, da der Scherbenhaufen zu besichtigen ist und wir von der SPD bundesweit vorgehalten bekommen, dass die CDU in Dresden ja mit Vertretern meiner Partei eine aktive Kumpanei betreiben würde, kann ich über das angerichtete Fiasko auch nur noch den Kopf schütteln. Aber scheinbar einigt man sich jetzt wieder darauf, dass mein Tagebuch, in dem ein paar Eintragungen dem Stand der Information der vergangenen Woche entsprachen, Anlass genug sind, wieder ein großes Scherbengericht über mich hereinbrechen zu lassen.

Aber sei es drum, der Montag war auch von schönen Erlebnissen geprägt. Beim Geburtstagsempfang von Karin Kaschuba in Jena habe ich mich sehr gefreut, dass alle städtischen Vertreter aus sämtlichen Parteien anwesend waren, um Karin aus Anlass ihres runden Geburtstages für ihre Arbeit zu danken.

Am Abend gab es noch eine große UNICEF-Veranstaltung in Gera, auf der zum ersten Mal sehr deutlich wurde, wer die Verantwortung trägt, dass Kinderrechte nicht ins Grundgesetz aufgenommen werden. Siegfried Kauder von der CDU-Bundestagsfraktion hat in dankenswerter Offenheit klar gemacht, dass mit seiner derzeitigen Bundestagsfraktion eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz nicht in Frage kommt, weil seiner Meinung nach die Kinder schon jetzt durch unser Grundgesetz geschützt seien. Die Debatte darüber, ob das nur ein abgeleitetes oder ein unmittelbares Recht sei, wollte er wirklich nicht vertiefen, und auf den Vorhalt des gesamten Saales und aller anderen Podiumsteilnehmer, dass man doch schon aus symbolischen Gründen die Rechte der Kinder deutlich stärken müsste, wollte er nicht weiter eingehen.
Mein Eindruck war, dass alle im Saal und auch die anderen Parteivertreter, außer der CDU, eindeutig für eine Präzisierung und Klarstellung im Grundgesetz wären, und deshalb war der Abend zumindest sehr klar und erhellend, warum dieser an genau einer Fraktion im Deutschen Bundestag derzeit scheitert. Da helfen nur andere Mehrheitsverhältnisse und keine weiteren Podiumsdiskussionen, so mein Fazit dieser UNICEF-Podiumsrunde.