Erlebnisse, die man nicht erleben möchte

Nach der Besichtigung der Liliesleaf-Farm am Samstag sind wir gestern früh aufgebrochen, um uns die Stadt Johannesburg genauer anzuschauen. Mit sieben Leuten in zwei Fahrzeugen sind wir in Richtung Innenstadt gefahren. Unterwegs hatte ich Gelegenheit mit dem Leiter unseres RLS-Büros zu sprechen und ich konnte eine Reihe von Fragen stellen, die mich bewegen.

Als ich die Reise vorbereitet habe, las ich auch, dass Joburg auf dem Index der zehn gefährlichsten Städte der Welt stehen soll. Vor einigen Jahren wurde deshalb auf einem Nachbarhügel ein völlig neuer Stadtteil gegründet, wo Banken, Versicherungen und die Börse hingezogen sind. Die „alte“ Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern wurde sich selbst überlassen. Das Goethe-Institut hat darauf reagiert und ein Kulturzentrum geschaffen, in dessen Umfeld sich heute viele junge Künstler bewegen. Es hat sich eine alternative Kulturszene entwickelt, von der ich ganz begeistert bin, als wir dort ankommen. Alte Fabrikhallen voll mit Kunst und Kultur in allen Facetten.

Vom Kulturzentrum sind wir einige Blocks weiter zum Carlton Centre gefahren. Das Hochhaus ist das höchste Gebäude der Stadt, im der 50. Etage gibt es einen Aussichtsplattform, die einen fantastischen Blick bietet. Allerdings wirkt das ganze etwas seltsam auf uns. Das Hotel im Nachbargebäude ist offensichtlich seit längerer Zeit geschlossen und auch ringsum sehen wir mehrer leerstehende Hochhäuser. Auf der Aussichtsplattform ist fast niemand. Es gibt ein Café, aber es ist nicht besucht. Beim Rückweg nach unten überlegen wir noch, warum die Tourismusgesellschaft den Ort nicht besser vermarktet.

Als wir durch das Einkaufszentrum im Erdgeschoss den Komplex wieder verlassen, wird es brenzlig. Ein Wachmann ruft uns noch etwas zu, was wir nicht verstehen. Auf der Straße steht eine Gruppe von 15 bis 20 Männern. Auf dem Weg zum Auto spüre ich plötzlich eine Hand an meiner hinteren Hosentasche, die offensichtlich nach meinem  Portemonnaie greifen will. Das steckt aber in der vorderen Tasche. Um es zu schützen, beuge ich mich instinktiv nach vorne und spüre dabei, dass schon eine zweite Person an mir zerrt. Ich gehe zu Boden und versuche die Sachen so gut es geht festzuhalten. Dabei muss ich auch beobachten, wie ein Kollege Faustschläge ins Gesicht bekommt. Ich kann ihm aus meiner Situation heraus nicht helfen.

Einer aus unsere Gruppe ruft um Hilfe, aber keiner reagiert. Die Wachmänner haben sich weggedreht, Passanten gehen vorbei oder bleiben stehen und schauen zu. Inzwischen liegt die gesamte Gruppe am Boden. Unser Büroleiter schafft es zum Glück nach meiner Tasche zu greifen, so dass wir sie zusammen festhalten können. Mit einem Mal dauert es den Angreifern wohl zu lange. Genauso schnell, wie der Spuk gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Die materiellen Verluste halten sich in Grenzen. Ein Fotoapparat, ein Sonnenbrille, meine Armbanduhr und ein paar Kleinigkeiten sind weg.

Wir gehen schnell zu unseren Autos, fahren weg und sammeln uns dann an der nächsten Tankstelle. Einer der Mitreisenden hat sein Asthma-Spray verloren und muss sich im Hotel ein neues besorgen. Außerdem müssen wir die Polizei informieren.

Nachdem wir uns kurz vom Schock erholt haben, fahren wir weiter nach Pretoria. Unser erstes Ziel dort ist das Voortrekkerdenkmal. Es war das Symbol der Herrscher des Apartheid-Staates und es ist bezeichnend für das Land, dass es im Demokratisierungsprozess nicht zerstört wurde, sondern auch heute noch gepflegt wird. Hier steht Versöhnung im Vordergrund, nicht Rache. Das sieht man an diesem Denkmal sehr eindrücklich.

In Pretoria sehen wir das Gerichtsgebäude, in dem die Widerstandskämpfer von der Liliesleaf-Farm in den sechziger Jahren verurteilt wurden. Wir kommen auch am Präsidentenpalast vorbei und an einem Denkmal mit Tafeln für ermordete Polizisten. Die große Anzahl der Namen stimmt uns sehr nachdenklich. Und auch hie ist es wieder so, dass diejenigen geehrt werden, die in den letzten Jahren ihr Leben im Kampf gegen die Gewalt verloren haben, aber auch noch die Namen hier stehen, die vor 1990 im Namen des Staates Terror verübt haben.

Am Abend lassen wir den Tag ruhig ausklingen. Auf die Erfahrung des Raubüberfalls hätten wir natürlich gern verzichtet, aber sie soll den Eindruck von diesem schönen, spannenden Land nicht verderben. Die deutsche Botschaft hat sich der Sache angenommen, die Polizei macht ihre Arbeit und es soll wohl auch vier Festnahmen gegeben haben. Wir versuchen alle Eindrücke des Tages einzuordnen und zu bewerten. Wir müssen ein bisschen mehr auf unsere Sicherheit achten, das steht fest. Aber es gibt so viel Spannendes hier, das wir erkunden wollen. Da werden wir uns nicht aufhalten lassen.