Wundertüte Thüringen
Bereits vergangene Woche beschrieb ich an dieser Stelle die Farce rund um die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags am 26. September sowie die sozial-medialen Begleiterscheinungen inklusive X-Shitstorm gegen mich ( – Wer war noch gleich für das Chaos des vergangenen Donnerstag verantwortlich? Meine Fraktion und ich jedenfalls nicht).
Die donnerstägliche Theateraufführung der AfD endete jedenfalls vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof, da die CDU (unterstützt von BSW, SPD und LINKE.) eine einstweilige Anordnung gegen Alterspräsident Treutler erwirken wollte. Der Freitag war folgerichtig gespickt mit Sonderfraktionssitzungen und Gesprächen zum weiteren Vorgehen. Am Abend schließlich gute Nachrichten aus Weimar: die Verfassungsrichter haben der CDU in allen wesentlichen Punkten Recht gegeben – und damit auch uns, die wir Mitklagende waren.
Das Landesverfassungsgericht hat einstimmig entschieden, dass die Eingriffe des AfD-Alterspräsidenten in das Selbstorganisationsrecht des Parlamentes – die Nicht-Abstimmung von Anträgen, die Drohung mit Entzug des Rederechts, die Nicht-Feststellung des Zusammentritts des Landtags – unzulässig waren.
Die Funktion des Alterspräsidenten ist im Kern zeremonieller Natur. Er ist der (eben zufällig) an Lebensjahren älteste Abgeordnete, der die konstituierende Sitzung eröffnet, die Namen der Abgeordneten aufzurufen und die Wahl des Landtagspräsidenten zu leiten hat. Seine Kompetenzen sind dabei aber nicht diejenigen des hohen Verfassungsorgans „Landtagspräsident“.
Zur Einordnung: in Thüringen existieren drei Verfassungsorgane: der Thüringer Verfassungsgerichtshof, der Landtag als Parlament sowie die Landesregierung mit dem Ministerpräsidenten. Der Ministerpräsident und sein Kabinett sind mit dem Tag des Zusammentritts des neuen Landtags nur noch geschäftsführend im Amt – aber eben im Amt, da die Verfassung eine regierungslose Zeit nicht kennt. Anders verhält es sich mit dem Landtagspräsidenten. Während die vorherige Präsidentin, Birgit Pommer, mit dem Zusammentritt des neuen Landtags formal und praktisch bereits nicht mehr im Amt war, provozierte das Agieren des Alterspräsidenten Treutler die Verschleppung der Wahl eines neuen Präsidenten und damit eine Interimssituation, die so nicht vorgesehen ist.
Deswegen hat der Verfassungsgerichtshof am Freitag in einer Dringlichkeitssitzung umgehend entschieden und bis Freitagabend für Klarheit gesorgt, so dass am Samstagmorgen das Parlament zusammentreten konnte und – Wunder gibt es offensichtlich ja immer wieder – Herr Treutler verkündete, er sei nunmehr gewillt, sich an das Urteil des Verfassungsgerichtes zu halten.
Ebenso erstaunlich wie bezeichnet fand ich, dass zuallererst der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Torben Braga, an den Tisch aller parlamentarischen Geschäftsführer trat, um mitzuteilen, dass der Alterspräsident gedenke, das Urteil umzusetzen. Interessant deshalb, weil eigentlich die Funktion des Alterspräsidenten (parteipolitisch) neutral auszufüllen sein sollte. Diese Neutralität war freilich schon am Donnerstag erkennbar missbraucht worden durch die permanente Assistenz Herrn Bragas (AfD) einerseits und Herrn Möller (AfD) andererseits, die dem Alterspräsidenten einflüsterten, was er als nächstes zu tun habe. Das war das Gegenteil von Neutralität, bedenkt man, dass die Landtagsverwaltung ausschließlich für die konstituierende Sitzung einen Rollenplan ausarbeitet und vorlegt, der den Alterspräsidenten sicher und vor allem jenseits parteipolitischer Erwägungen durch die Sitzung leiten soll.
Dieser Rollenplan liegt immer allen parlamentarischen Geschäftsführern vorher vor, war also auch der AfD bekannt. Im Vorfeld der Sitzung gab es überdies eine ausführliche Besprechung zu genau diesem Rollenplan der Landtagsverwaltung mit Herrn Treutler, in der bereits klar wurde, dass die AfD sich an die skizzierte Vorgehensweise nicht zu halten gedenke.
Auch die von Herrn Treutler gehaltene Eröffnungsrede war nicht mehr als eine Aneinanderreihung von AfD-Propaganda-Textbausteinen und eines Alterspräsidenten vollkommen unwürdig. Als Kontrastprogramm hierzu empfehle ich, sich einmal die Rede des Alterspräsidenten Stefan Heym anlässlich der konstituierenden Sitzung des deutschen Bundestages im Jahre 1994 anzusehen. Während die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sich völlig respektlos verhielt, teilweise den Plenarsaal verließ und ihm den Schlussapplaus verweigerte, skizzierte der große Literat Heym äußerst weitsichtig die Herausforderungen des wiedervereinigten Deutschland – nicht, ohne auch die Frage zu behandeln, wie zwei Staaten zu etwas Neuem verschmolzen werden könnten, ohne dass es zu einer Spaltung zwischen Ost und West kommen müsse.
Zurück zur konstituierenden Sitzung: am Samstag vollzogen sich dann die Abstimmungen sehr rasch. Die Tagesordnung wurde mit großer Mehrheit festgestellt, der Namensaufruf durchgeführt und auch die Geschäftsordnung beschlossen, wobei in letztgenanntem Punkt die AfD andere Auffassungen vertrat. Das ist grundsätzlich erst einmal legitim und man kann durchaus verstehen, warum die stärkste Fraktion darauf besteht, auch den Parlamentspräsidenten zu stellen. Im konkreten Fall allerdings ging es der AfD nach meinem Dafürhalten aber einzig um Provokation, indem Sie mit Wiebke Muhsal eine Person als Kandidatin nominierte, die rechtskräftig wegen Betrugs am Landtag zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde. Für mich war es von Anfang an unvorstellbar, jemandem zum Landtagspräsidenten zu wählen, der das Parlament in dieser Weise missachtete und missbrauchte.
Insoweit war die Debatte um die Änderung der Geschäftsordnung bitter notwendig und wurde mit Mehrheit beschlossen. Das ist Demokratie. Schließlich wurde mit Thadäus König ein sehr angesehener CDU-Abgeordneter aus dem Eichsfeld zum Landtagspräsidenten gewählt. Es war übrigens dieser Herr König, dessentwegen Björn Höcke aus seinem Heimatwahlkreis im Eichsfeld nach Greiz geflüchtet ist, da er von Anfang an wusste, dass er niemals das Direktmandat gegen ihn würde gewinnen können. Allerdings blieb Höcke auch in Greiz erfolglos und zog lediglich über die Landesliste ins Parlament ein.
Übrigens hat die AfD bereits den nächsten Schritt angekündigt. Sie will sich gegen die Änderung der Geschäftsordnung in demjenigen Punkt wehren, der die Umstellung der Berechnung für die Sitzverteilung in den Landtagsausschüssen vom sog. D’Hondt- zum Rangmaßzahl-Verfahren regelt.Es wäre müßig, dieses sehr komplexe Verfahren an dieser Stelle in allen Einzelheiten zu beleuchten. Deshalb nur in aller Kürze: die Anwendung des D’Hondt-Verfahrens in der laufenden Legislatur hätte dazu geführt, dass eine kleinere Fraktion wie die SPD in keinem der Landtagsausschüsse mehr vertreten, also nur noch parlamentarischer Zaungast hätte sein können. Man hätte also faktisch einen Zwei-Klassen-Landtag eingeführt.
Deswegen hat sich die Mehrheit des Parlaments entschieden, auf Rangmaßzahlverfahren umzustellen und bei einem Zwölf-Personen-Ausschuss zu bleiben.
Die AfD hingegen fordert einen Vierzehn-Personen-Ausschuss, damit sie in jedem Fall in all diesen Ausschüssen die Ein-Drittel-Sperrminorität behält. Wozu man das allerdings in Ausschüssen braucht, leuchtet mir immer noch nicht ein
In den Ausschüssen wird in der Regel nur nach Mehrheit entschieden und werden überwiesene Anträge bearbeitet, um sie dann zurück ins Parlament zu senden und erst dort könnte die Sperrwirkung der Drittel-Parität eine Rolle spielen, falls es einmal verfassungsändernde Anträge gibt oder Verfassungsrichter zu wählen sind.
Dass die AfD nun vor den Verfassungsgerichtshof zieht, muss mir persönlich nicht gefallen, ist aber ihr gutes demokratisches Recht. Doch hier scheitert die AfD an ihren eigenen inneren Widersprüchen. Schon am Freitagabend, nachdem die Weimarer Richter gegen die AfD entschieden hatten, twitterte Björn Höcke munter drauf los und unterstellte den Richtern parteiisches Agieren und delegitimierte so eines unserer Verfassungsorgane. In einem Fall stellt man also die Urteile der Richter infrage, greift sie und ihre Integrität persönlich an, um sie direkt im nächsten Moment erneut anzurufen?
Ich möchte nur daran erinnern: der Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, Klaus von der Weiden, wurde seinerzeit von einer überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag – auch mit Stimmen der AfD – ins Amt gewählt. Dass nunmehr am gestrigen Tag der Geraer Organisator der sog. „Montagsdemonstrationen“, Christian Klar, wörtlich ausführte, man müsste solche Richter eigentlich „an die Wand stellen“, komplettiert das Bild einer unsäglichen Hetzkampagne. Dass Björn Höcke noch in 2022 auf einer Bühne von Klar stand, sagt Vieles.
All das zeigt mir, dass die AfD ein ausschließlich taktisches Verhältnis zu den unseren Staat tragenden Institutionen hat. Das Spiel ist dabei ebenso durchschaubar und gefährlich. Wie weit es damit kommen kann, haben die PiS in Polen und Viktor Orban in Ungarn beängstigend eindeutig gezeigt.
Ich bin gespannt, ob die AfD sich in den nächsten Jahren überhaupt bereitfindet, in irgendeiner Weise konstruktiv mitzuarbeiten. Zweifel sind in jedem Fall angebracht.