Trumpismus im Thüringer Landtag

Es wiederholt sich aktuell im Thüringer Landtag ein Schauspiel, dessen Voraufführung die Republik bereits am 5. Februar 2020 erleben musste. Die AfD unter Führung von Herrn Höcke missbraucht erneut das Parlament als Bühne für eine Opferinszenierung, die man nur noch als Schmierenkomödie bezeichnen kann. War es am 05. Februar 2020 der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde Sundhausen, Christoph Kindervater, der als Zählkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten von der AfD benutzt wurde, um Thüringen beinahe in eine Verfassungskrise zu stürzen, war es am 26. September der AfD-Abgeordnete Jürgen Treutler, der als Alterspräsident wie eine Marionette in den Händen der AfD-Strippenzieher Möller, Braga und Höcke die konstituierende Sitzung des 8. Thüringer Landtags sabotieren sollte.

Nach allem, was ich über den Abgeordneten Treutler höre, war er in seinem Wahlkreis nicht einmal der Wunschkandidat der lokalen AfD. Allerdings wollte man sich offenbar keinesfalls die Chance nehmen lassen, während der konstituierenden Sitzung des Landtags den Alterspräsidenten zu stellen und nominierte daher in zwei Wahlkreisen Kandidierende, von denen als sicher gelten konnte, dass sie ob ihres Lebensalters dieses Amt übertragen bekommen würden.

Freilich kann man heftig darüber debattieren, warum es nicht gelungen ist, den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen aus der vergangenen Legislaturperiode durchzubringen, der vorsah – analog zur Regelung im Bundestag – dass nicht der an Lebens-, sondern an Dienstjahren im Parlament älteste Abgeordnete das – ausschließlich zeremonielle – Amt des Alterspräsidenten übertragen bekommt. Hinweise dieser Art gab es auch von Herrn Steinbeis und seinem Team des Verfassungsblogs. Fakt ist: man hat es nicht getan und so mussten wir am gestrigen Tage erleben, wie Alterspräsident Treutler sich anmaßte, die Befugnisse des Landtagspräsidenten – der er eindeutig nicht ist – ausüben zu dürfen. Er ließ Anträge auf Debatten und Abstimmungen nicht zu und verweigerte dem Parlament sogar die Möglichkeit durch Namensaufruf zusammenzutreten, also den ersten Schritt zur Konstituierung zu vollziehen.

All diese Anträge durch die vier Fraktionen CDU, BSW, DIE LINKE und SPD hat er samt und sonders unterdrückt, keinen einzigen davon zugelassen und eine Parlamentsrede gehalten, die weder neutral noch angemessen war. Er hat Unsagbares sagbar gemacht. Er hat zustimmend Eduard Spranger zitiert, einen tief in den NS-Staat verstrickten Philosophen.

Schon in diesem Moment – während seiner Rede – gab es einen Antrag der CDU-Fraktion auf Änderung der Tagesordnung, nämlich eine sofortige Abstimmung, und nach einer kurzen Unterbrechung und einer ersten Besprechung zwischen Herrn Treutler und den parlamentarischen Geschäftsführern erfolgte dann der Hinweis durch den Alterspräsidenten selbst, dass – wenn er seine Rede beendet habe – die Abstimmung durchgeführt würde. Er setzte seine Rede also fort, die schon merkwürdig genug war. Nach dem Ende dieser Rede begann er die weiteren Tagesordnungspunkte abzuarbeiten, denn ich habe wahrgenommen, dass er aus dem dafür vorbereiteten Rollenplan des Landtags zitierte.

Daraufhin sah man, wie der Landtagsdirektor zu ihm nach vorne ging, um ihn darauf hinzuweisen, dass es eine Zusage zur Abstimmung zwischen den parlamentarischen Geschäftsführern gegeben habe – auch Herr Bühl mahnte dieses abermals an.

Nichts davon wurde schließlich eingehalten und so zog sich das Schauspiel über Stunden hin.

Mittlerweile ist das Landesverfassungsgericht eingeschaltet. Es wird dazu einen Beschluss geben. Ich gehe davon aus, dass dieser eine gute Orientierung bieten wird für die weitere Arbeit.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass alles, was ich nach der Vertagung der gestrigen Sitzung von Herrn Treutler in unterschiedlichen rechten Medien hören konnte, darauf hindeutet, dass er keinerlei Verständnis für die ihm zufallende Aufgabe hat, geschweige denn willens und in er Lage ist, das Amt des Alterspräsidenten parteipolitisch neutral auszufüllen. Nein, er inszeniert sich als derjenige, den die sog. „Altparteien“ an der Durchführung seiner Aufgabe hindern würden.

Ihm war klar, dass die Mehrheit im Parlament nicht gewillt ist, den AfD-Vorschlag für das Amt der Landtagspräsidentin, Wiebke Muhsal, zu wählen. Allein die schlichte Tatsache, dass Frau Muhsal verurteilt ist wegen Betrugs und dieser Betrug von ihr am Thüringer Landtag begangen wurde, ist für mich eine Ungeheuerlichkeit. Wie soll eine Person das Haus, das sie selbst betrogen hat, plötzlich neutral, würdevoll und entlang der für Landtagspräsidenten geltenden Regeln führen können? Nicht zuletzt hat Frau Muhsal mich bereits vor Jahren in homophoben und widerlichen SharePics dafür diskreditiert, dass ich die Schirmherrschaft für die Magnus-Hirschfeld-Tage in Erfurt übernommen habe. Wer über den Umweg des Ministerpräsidenten Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verächtlich macht, wird mich niemals als Landtagspräsidentin nach außen vertreten können.

Der gestrige Tag war ein Lehrstück, wie ein Alterspräsident mit ausschließlich zeremonieller Funktion einseitig für die Fraktion der AfD fungierte, wie die Mehrheit des Parlamentes daran gehindert wurde, ihre Rechte wahrzunehmen, wie die Mehrheiten sogar daran gehindert wurden, Anträge zu stellen und wie die Mehrheitsvertreter gezielt eingeschüchtert werden sollten mit Ordnungsrufen und mit der Drohung nach Abstellen der Saalmikrofone.

Gestern konnten wir eindrücklich studieren, was passiert, wenn man der AfD die Schlüssel der Macht in die Hand gibt. Deshalb werde ich auch weiter dafür kämpfen, dass diese Menschen niemals die Möglichkeit bekommen, ihre politische und kulturelle Hegemonie durchzusetzen.

Wenn heute Herr Höcke flankiert von seinem Stichwortgeber Götz Kubitschek und Herr Treutler nicht müde werden zu betonen, dass sie für das Recht eintreten, kann ich nur hoffen, dass sie wissen, was das heißt. Zweifel sind jedenfalls berechtigt, da derselbe Herr Höcke schon gestern Abend die Legitimität eines möglichen Verfassungsgerichtsurteils in Zweifel gezogen hat, indem er behauptete, die Richter seien parteiisch und voreingenommen. Wer so redet, beschädigt ganz bewusst verfassungsmäßige Säulen unserer Demokratie. Zu vieles von dem, was wir gestern erlebten, erinnert mich an die 1920er und 1930er Jahre. Wer nachlesen möchte, wie u.a. die NSDAP in Thüringen strukturiert und Schritt für Schritt den demokratischen Rechtsstaat und seine Institutionen aushöhlte, dem empfehle ich folgenden Text:

https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1966_4_4_dickmann.pdf