Zwei Schwalben zum Abschied – Zum Tod meines Freundes Christian Paschold

Am Dienstag hat mein Freund Christian Paschold im Alter von 72 Jahren für immer die Augen geschlossen. Mit Christian verlieren wir alle, die ihm und seiner Kunst in inniger Bewunderung und Freundschaft verbunden waren, einen wirklich in jeder Hinsicht einmaligen und außergewöhnlichen Menschen.

Und „außer-gewöhnlich“, im wahrsten Sinne des Wortes, das war bei und an Christian wirklich alles – seine zuweilen raubeinige und rumpelige, aber immer herzensgute Art, die Begegnungen mit ihm und vor allem seine Kunst, die auch das Stadtbild Erfurts immer prägen wird – egal, ob der Bismarck in der Angerstraße oder Luther und Bonifatius am Rathaus.

So vieles trägt die Handschrift von Christian. Für mich mit besonders innigen Erinnerungen verbunden war freilich immer die Thomas Müntzer-Büste, die er für die Kalikumpels  von Bischofferode erschuf und damit ihren mutigen Kampf in eine Ahnenreihe mit dem Bauernkrieg und die Schlachten gegen die Ständegesellschaft des 16. Jahrhunderts stellte. Das  war sicher streitbar. Aber genau das war Christian. Ein Querkopf, der kein Blatt vor den Mund nahm, bei dem aber – und darauf konnte man sich wirklich zu einhundert Prozent verlassen – ein Wort ein Wort war und wie in Stein gemeißelt feststand.

Als ich in den vergangenen Tagen in meinen alten Tagebucheinträgen stöberte, entdeckte ich einen Text aus dem Jahr 2009 – geschrieben anlässlich des 60. Geburtstages von Christian, in dem ich humoristisch unsere Freundschaft Revue passieren ließ. Wie sehr muss ich mit einigen Tränen in den Augen lachen, wenn ich daran denke, wie uns kurz nach der Wende und meinem Umzug nach Thüringen eine alte Marx-Büste zusammenführte.
Marx und Lenin waren mir in Verwaltungsräumen von ehemaligen Kombinatsverwaltungen begegnet, wo diese Büsten und Bücher alle weggeschmissen werden sollten.

Christian kam damals auf mich zu, weil er gehört hatte, dass ich einige der Gegenstände die nach dem Beitritt wertlos geworden schienen, in meiner Erfurter Plattenbauwohnung sammelte – so unter anderem eben auch neben einer vollständigen MEGA (Marx-Engels-Gesamtausgabe) eine Marx-Büste, die er als Anschauungsmaterial für eine eigene Skulptur brauchte. Ich überließ sie ihm leihweise – allerdings verbunden mit dem Wunsch, dass er mir im Gegenzug meine Lenin-Skulptur, die sich bei einem Umzug im wahrsten Sinne des Wortes den Hals gebrochen hatte, reparieren würde. Was folgte war eine 18-jährige Geiselhaft beider Skulpturen wie wir immer scherzhaft sagten. Und es war just an seinem 60. Geburtstag, an dem er mir beide Skulpturen – Lenin vollständig genesen und Marx mit frischer Farbe versehen – wieder übergab – natürlich nicht ohne den Hinweis, dass er die Büsten nicht in Geiselhaft genommen habe, sondern nur seiner Bewachungspflicht nachgekommen sei und noch die Geltendmachung von Lohnansprüchen prüfe. Das war auch Christian – ein einnehmender, kluger und schlagfertiger Gesprächspartner, der seinen Gegenüber bis zu den Tränen zum Lachen bringen konnte.

Ganz besonders war Christian jedoch auch einer, der sehr viel Kraft aus den wunderbaren Menschen zog, die er seine Freunde nennen durfte. Und dieses dichte Netzwerk an Freunden war es auch, das Christian rührend und aufopferungsvoll bei seinem letzten Kampf gegen den Krebs unterstützte.

Als ich von ihnen am vergangenen Dienstag erfuhr, dass Christians letzte Stunde überschritten und der Tod eingetreten war, machte ich mich unmittelbar auf in sein künstlerisches Refugium – die tolle Scheune in Tiefthal, die gleichzeitig Atelier und Wohnung für ihn war – das „Casa de Artistas“. Dort fand ich Christian umgeben von all seinen Freunden, die gemeinsam von ihm Abschied nahmen. Ich kann nur schwer ausdrücken, wieviel Bewunderung und Dankbarkeit ich dafür empfinde, dass all die Menschen, die Christian so viel bedeuteten, es geschafft haben, ihm einen Tod zuhause – im Kreise seiner Liebsten – zu ermöglichen. Und so konnten wir alle gemeinsam Abschied nehmen. Kragenbär trug ein Gedicht vor und später lauschten wir posthum   auf der Stereoanlage Christians Rezitationen seiner Lieblingsgedichte. Und in Christians Hand lag– denn auch das gehörte zu ihm – ein Glas ordentlichen Whiskeys.

Besonders berührend war allerdings der Moment als ein Schwalbenpaar zum Fenster hineinflatterte und sich an Christians Totenbett setzte – der Schwalberich über seinem Kopf, die Schwalbe oberhalb seiner Füßen. Ich weiß noch, wie sehr er sich immer darüber freute, dass seine Scheune quasi eine WG war – er und das Schwalbenpärchen teilten sich nämlich das Haus. So kamen auch die beiden Tierchen, um Christian „Leb wohl“ zu sagen.

Mit Christian Paschold verlieren wir einen großartigen Künstler, einen brüderlichen Freund und einen Menschen, dem Erfurt und ganz Thüringen viel zu verdanken hat. Gern hätte Christian noch erlebt wie seine Christian-Paschold-Stiftung aus der Taufe gehoben wird, um seine Scheune und sein Gesamtwerk zu sichern sowie jungen Künstlern Bildungs- und Arbeitschancen zu eröffnen. Das muss nun ohne Christian geschehen.

In seinem emotionalen Nachruf in der TA hat Michael Keller noch einmal den echten Christian zu Wort kommen lassen: „Eine Epoche bemisst sich nicht nach der Anzahl der verkauften Autos oder der gebauten Häuser. Sie bemisst sich an dem, was in ihr an Kunst und Kultur entstand.“
Lieber Christian, Du und Dein Leben habt diese unsere Epoche zu einer ganz besonderen werden lassen. Dafür und für so viel mehr danke ich dir von Herzen. Ich vermisse dich.