Die Deutsche Einheit auf dem Brocken!
Man mag Späße darüber machen, aber die psychologische Situation der Deutschen Einheit scheint aktuell ein schwerer Brocken zu sein. Ich äußere mich in diesen Tagen in vielen Interviews, zum Beispiel in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/35-jahre-einheit-das-schlaegt-bodo-ramelow-vor-49316520) zum Zustand der Deutschen Einheit. Das Buch „Die neue Mauer“ (https://www.chbeck.de/kowalczuk-ramelow-gespraech-ueber-osten/product/38903662) von Ilko-Sascha Kowalczuk und mir zum Zustand der Einheit hat es auf die Bestseller-Liste vom Magazin „Der Spiegel“ geschafft. Unsere Lese-Reise zur Vorstellung des Buchs ist sehr gut besucht und wurde mehrfach positiv in den Medien besprochen und durch aufmerksame Berichte begleitet. Und der Autor Hans-Dieter Schütt, der über mich schon mal ein Buch geschrieben hatte („Gläubig und Genosse“ https://thk-verlag.de/alle-produkte/thueringer-biographien/glaeubig-und-genosse), schrieb gerade eine wunderbare und sehr lesenswerte Rezension im „Neuen Deutschland“ (DDR-Geschichte – Es klirren keine Fahnen https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194454.ddr-geschichte-es-klirren-keine-fahnen.html). Offensichtlich gibt es sehr viel mehr zu sagen, als nur der Hinweis, es gäbe auch blühende Landschaften und sogar Bananen.
Deshalb war ich gerührt, als Professor Oliver Junk, der Vorsitzende des „Harz Clubs“, bei mir anfragte, ob ich zum Tag der Deutschen Einheit mit dem Club auf den Brocken wandern wolle. Es sei die schon traditionelle Wanderung aller Wandervereine aus Ost und West. Vor zehn Jahren war Junk Oberbürgermeister von Goslar und ich war gerade Ministerpräsident von Thüringen geworden. Er in der CDU, ich von den Linken. Er Repräsentant einer Stadt auf der Westseite des Harzes, und ich Vertreter aus dem Osten. So brachen wir wandernd erstmals vor zehn Jahren gemeinsam auf und machten uns mit dem Gruß „Frisch auf!“ auf den Weg vom Torfhaus zum Brockengipfel. Und so war es nun, zehn Jahre später, erneut: Mit dem Präsidium des „Harz Clubs“ waren wir knapp nach Sonnenaufgang verabredet und zogen mit Elan dem Gipfel entgegen. Wanderfreund*innen kamen so nach und nach aus den verschiedenen Richtungen dazu, und die morgendliche Frische wurde langsam durch die kräftigen und freundlichen Sonnenstrahlen erwärmt. Auf der Wanderung hatten wir viel zu erzählen, unter anderem sprachen wir über die Initiative von Junk unter dem Namen „Ein-Harz-Initiative“, mit der sich alle Anrainergemeinden stärker zusammenschließen. Das Ziel: Gemeinsame Werbung, verbesserter Tourismus und die zwei getrennten Nationalpark-Verwaltungen besser aufeinander abzustimmen. Da ist schon Vieles angeschoben worden, und manches muss wieder frischen Schwung bekommen.
Schockierend waren vor zehn Jahren die Folgen der Dürre und des Borkenkäfers zu sehen, was den Fichtenbestand radikal zerstörte. War es für mich vor zehn Jahren noch ein schockartiges Erlebnis, so war es damals hilfreich, von den Förstern zu erfahren, warum man diese toten Bäume stehen lässt. Jetzt, zehn Jahre später, konnte ich mich von dem Erfolg überzeugen. Das Totholz sieht zwar immer noch gruselig aus, weiß und ausgebleicht wie Streichhölzer in der Landschaft. Aber dazwischen ist bereits viel kräftiges Grün und so wächst die Vegetation neu und kräftig. Deutsche Einheit kann man hier symbolisch erkennen: Nicht versprochene „blühende Landschaften“, aber die Folgen von Klimawandel und viel zu langer Monowirtschaft. Die Fichte als schnell wachsender Brotbaum der Waldwirtschaft ersetzte die kräftigen Mischwälder, die dem Bergbau und der Verhüttung durch Raubbau geopfert wurde. Die Fichte als Flachwurzler bekommt aber bei der Dürre der letzten Jahre kein Wasser mehr, und so wurde sie zum Brutkasten des Borkenkäfers. Die Folgen sind brutales Absterben und nun langsames Neubegrünen. Leben und Sterben im Nebeneinander. Aber es ist kein Ost/West-Thema, sondern ein gesellschaftliches. Nun heißt es, Geduld zu haben und mit der Nationalparkverwaltung dran zu bleiben. Zum Tag der Deutschen Einheit 2022 in Erfurt hatten wir deshalb das „Einheitsbuddeln“ extra in den Harz gelegt. Mit der Aktion buddelten wir neue Bäume ein und halfen, viele tausende neue Bäume zu pflanzen. Mit dem Junior der Optikerfirma „Fielmann“ habe ich 2022 Bäume in Harz gebracht, und zwar werden jährlich so viele gepflanzt, wie wie die Firma Mitarbeiter*innen hat.
Ein Dampf betriebenes Schmalspurbahn System
Beim Aufstieg auf den Brocken kreuzten wir auch die Brockenbahn – und da gab es viel zu reden. Es ist einfach wunderbar, wenn man die Pfiffe der Dampfloks schon von Weitem hört. Aber auch da kommen Erinnerungen, denn mit unserer damaligen Thüringer Infrastruktur-Ministerin Birgit Keller (heute Pommer) von der Linken aus Nordhausen haben wir die „Harzer Schmalspur Bahnen“ (HSB) neu aufgesetzt. Eine CDU-Landtagsabgeordnete erläuterte uns unterwegs, was jetzt notwendig ist, damit die Selketal-Bahn wieder ertüchtigt werden kann und was für Strukturmittel notwendig wären, um die HSB insgesamt zu modernisieren. Der Schienenunterbau muss erneuert werden. Immerhin ist es ein Technisches Denkmal und eigentlich gehört es, wie der Rammelsberg auf die Liste des Weltkulturerbe, meinte die Abgeordnete. Und während ich noch darüber philosophierte, dass man auch die Bundestagsabgeordneten rund um den Harz mit einspannen müsste, rannte mir eine Joggerin mit Dackel in den Arm und entpuppte sich als die niedersächsische Bundestagsabgeordnete Dunja Kreiser von der SPD. Der liebe Gott hatte wohl zugehört und diesen seltsamen Zufall organisiert. Schnell ein paar Fotos für Instagram und weiter ging es im Laufschritt mit dem Dackel.
Auf dem Brocken angekommen, machten wir noch ein Foto am Erinnerungsstein, der an die Öffnung des Berges am 3. Dezember 1990 erinnert. Der Tag, an dem die Menschen aus Ost und West endlich wieder den Gipfel betreten konnten, nach dem er Jahrzehntelang von der Armee der Sowjetunion als Abhör- und Funkzentrale genutzt wurde. Die Region war militärisches Sperrgebiet. Heute gehört das ganze Ensemble auf dem Gipfel dem Landkreis Harz und der Landrat Thomas Balcerowski erläuterte mir den Kauf und die Strategie der Weiterentwicklung. Er berichtete in seinem Grußwort, wie er als Kind aus Wernigerode immer zum Gipfel schaute und dachte, niemals dahin zu kommen. Ich ergänzte als gebürtiger Niedersachse, wie es mir ging, wenn ich als Kind mit der Eisenbahn von Bremen nach Mainz unterwegs war und ebenfalls den Gipfel sah und das Gleiche wie der Landrat dachte: Da kommst Du nie hin.
Wie schön ist es, nun gemeinsam auf dem Gipfel zu sein und gemeinsam am Forst, an der Umförsterung der Wälder, an der Weiterentwicklung des Plateaus und an der Zukunft der HSB zu arbeiten! West und Ost gemeinsam. Unser Problem ist nicht die wirtschaftliche Einheit, unser Problem sind die Gefühle zur Deutschen Einheit. Deshalb konnte mein 3. Oktober nicht symbolischer sein, als von Ost und West gemeinsam zum Gipfel zu steigen. Der Brocken, das Wahrzeichen der Deutschen Einheit.
