Vom „Donnerknall“ ins „Fegefeuer“

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Zwei Tage Sommertour durch Schleswig-Holstein liegen hinter mir – und eine mediale Debatte, die von einem differenzierten Interview in der „Rheinischen Post“ zum hysterischen Donnerknall bei BILD und Co. reichte.

Ganz oben im Norden ging es am Donnerstag los: Auf Einladung meines Kollegen aus dem Bundestag und dem Landesvorsitzenden der Linken in Schleswig-Holstein, Lorenz Gösta Beutin, haben wir mit vielen interessierten Menschen in Flensburg über die Herausforderungen für die Werften und die Industrie in Schleswig-Holstein, den Klimawandel, die neue Frage um den Wehrdienst und das soziale Miteinander diskutiert. Gefreut habe ich mich, dort auch den Bürgermeister der Stadt Flensburg, Henning Brüggemann, und einen engagierten Kollegen der IG Metall kennenzulernen und mich mit ihnen auszutauschen!

Nach einem Besuch des eindrucksvollen Jüdischen Museums in Rendsburg am Freitag und bei den engagierten Betreibern des „Haus der Kulturen“ in Lübeck endete der zweite Tag dann mit einem langen und intensiven Gespräch mit dem früheren Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden Björn Engholm sowie der früheren Frauen- und Bildungsministerin des Landes Gisela Böhrk. Genauso wie ich waren sie zur „Roten Runde Kücknitz“ eingeladen, wo es bei Bratwurst und Bier ins direkte Gespräch mit Mitgliedern und Freunden der Linken ging. Mit dem Elder Statesman Engholm sprach ich auch über die Fragen von Verfassung, Hymne und Farben unseres Landes. Warum die Farben der Fahne – Schwarz, Rot, Gold – die Farben der Freiheit waren und warum ich das auch ausdrücklich im Interview mit der „Rheinischen Post“ (https://rp-online.de/politik/deutschland/bodo-ramelow-bin-ein-froehlicher-sozialist-der-bekennender-christ-ist_aid-133675403) gesagt hatte.

Björn hatte – so wie viele Menschen an dem Freitag – die Information aus den Medien und aus dem digitalen Orbit wahrgenommen, dass ich angeblich die Farben und Hymne abschaffen und eine andere Nationalfahne, ein anderes Nationalwappen und eine andere Hymne kreieren wollte. Das steht ja nun aber ausdrücklich in dem Interview mit der „Rheinischen Post“ gar nicht drin. Auf der abendlichen Heimfahrt zurück nach Thüringen hab ich dann in all‘ den digitalen Informationen gesehen, dass mehrere Online-Medien behaupteten, dass ich ausdrücklich die Forderungen gestellt hätte, Fahne und Farben zu ändern. Mich wundert das doch sehr, denn tatsächlich gibt es keinen Beleg dafür, dass ich das jemals gefordert hätte oder dass das meine Position wäre – und auch erst recht jetzt nicht an diesem Wochenende oder im Interview mit der „Rheinischen Post“.

Ich weiß, dass Schwarz-Rot-Gold die Absage an totalitäre Strukturen ist und ich weiß, dass Schwarz-Rot-Gold die Farben des Lützowschen Freikorps und später der republikanischen Studenten waren, um Bürger- und Freiheitsrechte durchzusetzen. Man muss auch wissen, dass genau das der Anlass war, warum die Nationalsozialisten diese Fahne dann später ersetzt haben – erst durch die Fahne des Kaiserreichs „Schwarz-Weiß-Rot“ und dann durch die von Adolf Hitler geprägte Fahne mit dem Hakenkreuz auf rotem Grund. Auch das ist ja ein Hinweis darauf, dass die Frage darüber, was Schwarz-Rot-Gold eigentlich für uns bedeutet, eine erneute gesellschaftliche Debatte braucht. Es wäre im positiven Sinne Verfassungspatriotismus, wenn wir erklären, woher etwas historisch kommt, warum es wichtig ist und warum es sich lohnt, es auch zu verteidigen. Dagegen macht die mediale Hysterie, die nun entstanden ist, deutlich, in welch verschobene Debattenkultur wir geraten sind: Ich gebe ein Interview und Dritte interpretiere dort etwas völlig Anderes und Falsches hinein. Die digitale Erregungskurve geht dann noch weit über das hinaus, was andere gedeutet haben. Die Rückfrage, was ist eigentlich die Quelle und die wirkliche Aussage war, geht dabei völlig verloren.

Vom differenzierten Interview zum hysterischen Donnerknall!

Besonders markant betreibt die Thüringer CDU dieses Geschäft der Skandalisierung. Am Samstag Morgen sehe ich beim Einkaufen unsere Lokalzeitung mit der Überschrift „CDU attackiert Ramelow“. Dann merke ich, dass es gar nicht mehr um das ursprüngliche Interview und den konkreten Anlass geht. Es geht nicht mehr darum, was eigentlich bewegt werden soll. Es geht nur noch darum, reflexartige die Keule rauszuholen, drauf zu hauen und das medial zu verstärken  – und um sich dann zu wundern, dass die Debattenkultur völlig verloren geht.

Um diese Fragen geht es auch in dem Buch „Die neue Mauer“ von Ilko-Sascha Kowalczuk und mir (https://www.chbeck.de/kowalczuk-ramelow-gespraech-ueber-osten/product/38903662). Wenn also jemand den Beweis haben wollte, was die „neue Mauer“ bedeutet, dann haben wir – oder: habe ich persönlich – sie jetzt gerade wieder erlebt. Ich bleibe trotzdem tapfer und fröhlich und bin munter unterwegs! Deswegen war ich froh, an den beiden Tagen in Flensburg, Rendsburg und Lübeck nach diesen Themen und Debatten mit ernsthaftem Interesse gefragt zu werden – und auch mit begründeten Gegenfragen konfrontiert gewesen zu sein. Unter anderem habe ich dann auf die Artikel 139 und 146 unseres Grundgesetzes hingewiesen. Die in Artikel 139 erwähnten Rechtsvorschriften der Alliierten zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ sollte durch eine antifaschistische Klausel, so wie sie Mecklenburg-Vorpommern beschlossen hat, aktualisiert werden. Gerade in der Diskussion um ein AfD-Verbot weise ich immer wieder auch darauf hin, dass man rechtsstaatliche Grundprinzipien einhalten, dass ein Schritt nach dem anderen gegangen werden muss und dass Politiker sich sehr zurückhalten sollen, wenn man andere Parteien auf die Verbotsliste stellt. Denn eine zu verbietende Partei muss selber aggressiv gegen die Demokratie wirken und den Rechtsstaat abschaffen wollen. Das muss mit Beweisen untersetzet und am Ende durch Gerichte und durch unabhängige Richter geprüft werden. Es muss uns um die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Starken gehen. Bei der Diskussion um die mögliche Wahl der Juristin Brosius-Gersdorf ins Bundesverfassungsgericht haben wir aber gerade erlebt, wie auf einmal medial Einfluss auf eine Entscheidungen genommen wird. Der mediale Raum zeigt im Moment gerade das Recht des Stärkeren an, weil mit einer Intensität digital Dinge verstärkt werden, bei denen die tatsächlichen Fakten und die möglichen Quellen nicht mehr gesehen werden.

Der Besuch im Jüdischen Museum in Rendsburg gemeinsam mit Mitgliedern der örtlichen Linken hat mich tief beeindruckt. Die dort gezeigte Karte antisemitischer Übergriffe und Anschläge bewies mit erschreckender Klarheit, dass es auch hier in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren und Jahrzehnten Terror gegen Jüdinnen und Juden gab und gibt. Nicht weit entfernt von Rendsburg, im nahen Lübeck, gab es am 25. März 1994 den ersten Anschlag auf eine Synagoge in Deutschland nach dem Ende der NS-Diktatur (https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/546826/1994-brandanschlag-auf-die-synagoge-in-luebeck/).

Besonders schön und wichtig ist hingegen, wie das Museum in Rendsburg unterschiedliche Traditionslinien und verschiedene Zugänge zum jüdischen Leben in Deutschland zeigt. Dabei war es für mich noch einmal herausfordernd, die Geschichte des Schiffs „Exodus from Europe“ zu sehen, das 1947 jüdische Überlebende des Holocaust nach Palästina brachte. Etwa 2.000 Jüdinnen und Juden wurden dann mit Gefangenenschiffen von den Briten wieder zurück nach Europa und nach Deutschland in das Lager Pöppendorf bei Lübeck gebracht. All’ das kann man dort im Museum sehen und man wird wirklich angeregt, darüber nachzudenken, wie die Zeit vor und nach 1945 bis heute einzuordnen ist.

Die Stationen und Gespräche in Schleswig-Holstein waren für mich bereichernd, ganz besonders die Gespräche mit den Genossinnen und Genossen und mit den interessierten Bürgerinnen und Bürgern bei den Veranstaltungen in Flensburg und bei der „ Roten Runde Kücknitz“ in Lübeck mit dem Überraschungsgast Björn Engholm. Durch die Begegnung mit ihm als früherem Ministerpräsidenten schloss sich am letzten Abend meiner Tour ein Kreis, denn als meine Reise in Flensburg begann, war der amtierende Ministerpräsident des Landes, Daniel Günther, der erste, der mich mit einem fröhlichen elektronischen Gruß aus der Flensburger Brauerei in seinem Bundesland begrüßte. Ich habe mich über den Gruß vom Kollegen sehr gefreut, denn tatsächlich gab es mit ihm und seiner Regierung immer eine sehr gute Zusammenarbeit gerade auch in den Fragen jüdischen Lebens und des Gedenkens. Mit Günter, seiner damaligen Bildungsministerin im Land und heutigen Bundesbildungsministerin Karin Prien sowie jungen Jüdinnen und Juden aus Schleswig-Holstein und Muslimen aus Thüringen war ich 2018 auf einer Bildungsreise in der Gedenkstätte Auschwitz. Als Ministerpräsidenten hatten wir die Fahrt aktiv begleitet, um deutlich zu machen, dass wir über religiöse Grenzen hinweg mehr miteinander reden und uns unsere Geschichte und Geschichten erzählen müssen.

Vom Verfassungspatriotismus zum Verfassungsfeind!

An diesem Wochenende bin ich dann mal eben von einigen Medien vom Verfassungspatrioten zum Verfassungsfeind degradiert worden. Aus einer Grundgesetzdebatte, die ich gerne als eine ernsthafte Debatte über unsere Verfassung führen möchte, entstand eine Hysterie über Symbole, die wir angeblich abschaffen wollen. Und wenn alle, die über mich in den letzten drei Tagen digital hergefallen sind, bei einer möglichen Volksabstimmung mit „Ja“ für Schwarz-Rot-Gold und die heutige Hymne stimmen würden, dann sollte doch Niemandem bange sein  – und dann kann auch niemand mehr behaupten, dass er oder sie eine angeblich schweigende Mehrheit verträte. Dann hätte nämlich eine Mehrheit klar und deutlich gesprochen.

In der Welt, in der ich mich bewege, sehe ich zum Beispiel bei sogenannten „Montagsdemonstrationen“ verkehrt herum getragene Deutschlandfahnen oder in Kleingärten Reichskriegsflaggen. Wie selbstverständlich hängen dort schwarz-weiß-rote Fahnen, von der viele gar nicht wissen, welche Bedeutung sie ab 1933 hatte, bis später die Hakenkreuzfahne eingeführt wurde. Oder wenn in Ostthüringen Rechtsradikale mit Reuß-Fahnen rumlaufen und damit deutlich machen, dass sie dem rechtsradikalen Putschisten huldigen, der in Frankfurt im Gefängnis sitzt, und wenn auf Kundgebungen die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen wird und die Personen damit ausdrücken wollen, dass wieder Großmacht angestrebt wird. Wenn das also alles einfach in unserer Gesellschaft ignoriert wird, dann versteht man vielleicht, warum ich sage: Lasst uns doch offensiv unsere Verfassung verteidigen! Lasst uns doch offensiv auch die Hymne und Fahne dieser Verfassung verteidigen! Lasst uns die Deutung nicht anderen überlassen und nicht zulassen, dass unsere Verfassung und ihre Symbole in den Dreck getreten werden – das ist Verfassungspatriotismus.

In diesem Kontext sehe ich die Debatten an diesem Wochenende. Hier soll eine Debatte erstickt werden, bevor sie begonnen hat  – und zwar mit einer Methode der Unterstellung, man hätte etwas gesagt, was man aber gar nicht gesagt hat. Die Unterstellung reicht für die Kommentierung, dass es hätte gesagt worden sein können. Wenn ich dann digital bei Facebook oder Instagram darauf reagiere und sage, lesen Sie doch bitte erst mal, was wirklich gesagt wurde, dann kommt als Antwort: Das interessiert mich doch nicht! Und so merke ich, dass das eine Debattenkultur ist, die am Ende jeden Raum für gemeinsames Wirkens erstickt, weil man nicht mehr miteinander reden will. Wir brauchen aber stattdessen eine Offensive des Miteinander-Redens. Eine gelebte Verfassung ist die angewendete Verfassung, auf die wir auch mit einem gewissen Maß an innerer Ruhe, Gelassenheit und Stolz schauen können. Hier geht es darum, die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren zu stellen. Das unterscheidet uns von anderen, die als populistische Schreihälse unterwegs sind.