Partei in Bewegung! Was sind wir? Eine Bewegungspartei, oder sind wir eine Partei, die etwas bewegt?
Mich bewegt seit unserem Landesparteitag in Thüringen am letzten Wochenende, was bei uns in der Partei Die Linke derzeit alles in Bewegung geraten ist. Der Stabwechsel in bewegten Zeiten Ende 2021 an der Spitze unserer Landespartei von Susanne Hennig-Wellsow und Steffen Dittes auf Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft war schon herausfordernd. Zudem liegen inzwischen zehn Regierungsjahre hinter uns. Eingebettet war darin die Wahl von Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AFD zum Kurzzeit-Ministerpräsident, der Blumenwurf von Susanne vor Kemmerichs Füße und der Wortbruch der CDU-Landtagsfraktion, Neuwahlen einzuleiten. Ein Ergebnis davon waren viereinhalb Jahre Minderheitsregierung unserer Dreierkoalition aus Linke, SPD und Grünen, die dauerhaft auf die Stimmen einer vierten Kraft im Landtag angewiesen war, ohne dass diese – die CDU – jemals bereit gewesen wäre, sich in verbindliche Strategien und längerfristige Absprachen einbinden zu lassen. Auch die ursprünglich fünf Stimmen der FDP hätten eine stabilisierende Wirkung haben können, aber da blieb nur Spaltung und Totalausfall. Ob Anträge gegen „Gender-Gaga“, „Wind im Wald“ oder die Absenkung der Grunderwerbsteuer: Wir waren als rot-rot-grüne Minderheitskoalition nie davor gefeit, seltsame und manchmal auch böse Überraschungen zu erleben.
In diese Jahre eingebettet war die Corona-Pandemie mit Schul- und Kindergartenschließungen sowie Bürgerrechtseinschränkungen. Es gab die stark anwachsenden „Montagsdemonstrationen“ und politische Herausforderungen zwischen Corona-Leugner*innen, Schwurbler*innen und all‘ jenen, die eh alles besser wussten. So sind wir aus der einen gesellschaftlichen Krise in die nächste hineingeworfen worden. Es folgte der russische Überfall auf die Ukraine und die Unterbrechungen der Erdgaslieferungen, weil die russische Seite ihre Verträge nicht mehr erfüllte und durch die bestehenden Pipelines einfach kein Gas mehr pumpte.
In Ostdeutschland galt allerdings die Sprengung von Nord-Stream 2 als eigentliche Ursache der Preissteigerungen, obwohl da noch gar kein Gas durchgeleitet wurde und die bestehenden Leitungen gereicht hätten. Aber zur Stimmungsmache reichten die halben oder falschen Informationen aus. Und es gab die Folgen von Sanktionsmaßnahmen und die leider nur halbherzigen Eingriffe der Bundesregierung in den Energiemarkt, um Preisexplosionen zu stoppen. Während andere europäische Staaten die Verbraucherpreise reguliert und Übergewinne der fossilen Energiekonzerne besteuert haben, wurde in Deutschland nur viel angekündigt – und am Ende lediglich laut über Robert Habecks „Heizhammer“ räsoniert. Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht erst seitdem tief verunsichert. Aktuell sind die Thüringer Arbeitsplätze in der Automobil-Zulieferindustrie stark gefährdet. Und auch den Preisschock an den Tankstellen und in den Supermärkten haben die Verbraucherinnen und Verbraucher noch sehr lebhaft, negativ in Erinnerung.
Während all‘ dieser Entwicklungen wurde unsere Partei gespalten. In den Landtagswahlen 2024 wurden bedrückende Entwicklungen deutlich: Menschen wollten von Politik nichts mehr wissen. Hieß es in Ostdeutschland zuerst „Merkel muss weg!“, so wandelte sich die Stimmung aggressiv gegen die Grünen. „Ampel abschalten!“, das galt als gefühlte Mehrheitsstimmung in den neuen Bundesländern, und Flüchtlinge und – oder – wahlweise die Grünen waren auf einmal angeblich an allem Schuld. Die politische Stimmungslage war tief getrübt. Im Ergebnis galt Sahra Wagenknecht als große Heilsbringerin und damit letztlich große Wahlgewinnerin der Landtagswahlen. Populismus zieht sich heute durch ganz Europa. Und auch im globalen Maßstab sind es die lauten und illiberalen Kräfte, die mit dem vagen Versprechen, dass da endlich jemand hart aufräumen würde, auf einmal Furor machen. Die Männer mit den Kettensägen bestimmen auf einmal Wahlkämpfe und digitale Kommunikationskanäle verändern politisches Bewusstsein. Selbst ohne ChatGPT und künstliche Intelligenz waren digitale Eingriffe sehr erfolgreich. WhatsApp- oder Telegram-Kanäle haben schon in der Corona-Zeit Hass und Hetze, Lüge und Verleumdung auf eine ungeheure Art verbreitet. Die Verdrehung von Realitäten wurde zur Normalität. Da wird in der Debatte auf einmal Adolf Hitler zum Kommunisten und die NSDAP zu einer angeblich linken Organisation. Jüdinnen und Juden werden heute „Zio-Nazis“ genannt, den Klimawandel gibt es nicht – und am Himmel wird unsere Welt mit „Chemtrails“ zerstört. Kurz: Verdrehungen, Hass, Hetze, Fake-News und Lügen wohin man schaut.
In einer sehr speziellen ostdeutschen Gefühlslage hatten wir im letzten Jahr Landtagswahlen zu organisieren. In Sachsen und Brandenburg scheiterte unsere Partei an der Fünf-Prozent-Hürde. In Sachsen gelang es, durch den Gewinn zweier Direktmandate mit einer Fraktion in den Landtag einzuziehen. Gleichzeitig gewannen wir in Thüringen 13,1 Prozent der Stimmen sowie vier Direktmandate. Wir haben in dieser Wahl als Linke zwar keinen Regierungsauftrag mehr erhalten, aber bei der Direktwahl in meinem Wahlkreis konnte ich als ehemaliger Ministerpräsident mit 42,2 Prozent der Stimmen sogar in absoluten Zahlen und prozentual zulegen und habe mein persönlich bestes Ergebnis aus der Wahl davor noch einmal steigern können. Welch ein Widerspruch, wenn gleichzeitig die Partei durch Spaltung massiv verloren hat, aber ihr Spitzenkandidat im Direktwahlergebnis noch zulegt! Nüchtern betrachtet hat die abgespaltene, von Katja Wolf angeführte Liste des BSW näherungsweise so viel gewonnen, wie wir verloren haben.
Für mich ist Putins Kurs die Politik eines Nationalisten, Militaristen und Imperialisten. Dies ist aber gefühlt nicht die Mehrheitsmeinung in Thüringen. Auch deshalb verfangen Parolen, dass die Energiepreise sinken würden, wenn russisches Öl und Gas wieder reichlich und preiswert fließen, und dass regenerative Energien ein Irrweg seien, dass Klimawandel eine religiöse Ersatzideologie sei oder Frieden in der Ukraine nur dadurch entstehe, wenn Deutschland keine Waffen mehr liefere. Mit solchen Thesen kann man in Ostdeutschland nicht nur die Stammtische sondern auch Wahlen gewinnen. Das von mir vertretene Konzept der europäischen Friedensordnung dagegen mit einem vereinbarten System von Nicht-Angriffspakten und einem Umbau der Bundeswehr zu einer Verteidigungsarmee ist nicht so einfach daher gesagt, wie das Statement gegen jede Waffenlieferung. Ich wäre auch gegen jede Waffenlieferung, wenn damit ebenfalls die russischen Waffen gemeint wären! Dann würde der Krieg sehr schnell beendet werden können, wenn endlich die russischen Waffen schweigen und die russische Armee, die völkerrechtswidrig in die Ukraine eingefallen ist, sich wieder auf russisches Territorium zurückziehen würde. Ich bin auch weiterhin sehr dafür, dass im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert wird, dass keinerlei Waffen aus Deutschland irgendwo in der Welt geliefert werden! Ich bin auch für eine diplomatische Offensive, in der ganz Europa zusammensteht und mit der wir uns bemühen, tatsächlich gemeinsam mit China eine Initiative zu entwickeln, damit Russland die Waffen schweigen lässt.
All‘ das geht mir durch den Kopf, wenn ich an das letzte Wochenende denke, denn über all‘ diese Fragen hätten wir diskutieren können. Aber was ist auf dem Landesparteitag passiert?
Der vom Landesvorstand vorgelegte Leitantrag wird auf einmal zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Erstaunlich ist, wenn nun von Genossinnen und Genossen Änderungsanträge auf dem Parteitag mit Redebeiträgen unterstützt werden, die selbst vorher im Landesvorstand für den Leitantrag gestimmt hatten und dort ihre offenbar besseren Ideen, die sie nun im Parteitagsauditorium vortragen, dort nicht zu Gehör gebracht hatten.
Ganz offensichtlich ist unsere Partei in Bewegung. Offenbar hat dieser Wandel in unserer Partei auch dazu geführt, dass der Kampf um Mehrheiten auf dem Parteitag mit dem Kampf um eine Mehrheitsfähigkeit in der Gesellschaft verwechselt wird. Nun wurde der erstaunliche Satz in den Leitantrag eingefügt, dass wir uns künftig auf „mehrheitsfähige“ Forderungen fokussieren wollen. Natürlich stellen wir Forderungen, die unserem politischen Profil entsprechen und die unsere politische Grundüberzeugung abbildet, und natürlich wollen wir in der Gesellschaft daran arbeiten, solche Themen mehrheitsfähig zu machen. Aber in den letzten zehn Jahren habe ich auch als Ministerpräsident linke Positionen vertreten, die alles andere als mehrheitsfähig in Ostdeutschland waren. Im Bundesrat habe ich zum Beispiel dafür gekämpft, dass das Konstrukt der so genannten „Sicheren Herkunftsstaaten“ von der Tagesordnung genommen wurde und zumindest in meiner Amtszeit nicht wieder aufgerufen wurde. Ich habe Zweifel, ob unsere Position damals in Thüringen mehrheitsfähig war – und ob es jetzt falsch ist, dass ich es damals richtig fand, nicht auf die Mehrheitsmeinung am Stammtisch zu schielen, sondern Entscheidungen zu treffen, die ich im Sinne unseres Parteiprogramms für richtig und für politisch notwendig erachtet habe?
Ich weiß auch noch nicht, ob es falsch war, als Ulrike Grosse-Röthig in der Corona-Zeit immer wieder den Finger in die Wunde gelegt hat und die Frage aufgeworfen hat: Warum werden so viele Maßnahmen auf dem Rücken der Kinder ausgetragen, während die Wirtschaft normal weitergelaufen kann? Unser Bildungsminister Helmut Holter wollte die Schließung von Schulen spätestens im zweiten Jahr der Pandemie nicht mehr anordnen und wurde von einer Mehrheit im Parlament daran gehindert. Ulrike und Helmut waren aber der festen Überzeugung, dass die einseitige Ausrichtung ausschließlich auf die Freiheit der Wirtschaft und Restriktionen gegenüber Kindern ein bitterer Irrweg sind. Ich weiß nicht, was daran hätte mehrheitsfähig sein sollen oder nach welcher Mehrheitsfähigkeit wir damals hätten schielen sollen?
In Wortbeiträgen auf dem Parteitag wurde auch darauf hingewiesen, dass der so genannte „Thüringer Weg“ der PDS, der im Wesentlichen geprägt war von Genossen Dieter Strützel aus Gera, nun verlassen werden solle. Wir sollen uns stattdessen in die sich nun bundesweit neu entstehende Bewegungslinke einbringen. In einem Redebeitrag wurde sogar gesagt, dass man jetzt endlich die Thesen von Strützel, die zum „Thüringer Weg“ führten, überwinden könnte. Dabei lohnt es sich, gründlich bei ihm nachzulesen. Eine der stärksten Kritikpunkte war, die Verengung des linken Diskurses auf theoretische Fragen und forderte eine stärke Orientierung an der empirischen Realität. Dabei war er, der einst als Sozial- und Kulturwissenschaftler an der Universität Jena lehrte, ausdrücklich nicht gegen das Durchdringen der Theorie. Sein Credo übersetze ich gerne mit den Worten „Mehr Pragmatismus wagen!“ und damit, anschlussfähig zu sein, in der Lebenswelt der Menschen. Insoweit können und sollen überall in unserer Partei Lesekreise entstehen, die Antonio Gramsci oder Karl Marx lesen und Rosa Luxemburgs Texte durchdringen. Meine Empfehlung wäre aber auch, Dieter Strützel zu lesen und zu diskutieren. Aber ich bitte doch darum, sich auch weiterhin mit kommunalem Verwaltungsrecht zu beschäftigen oder auch das Parlamentsrecht im Blick zu behalten, damit wir auch weiterhin Kandidatinnen und Kandidaten in die Rennen schicken können, die für die Arbeit in Parlamenten, Verwaltungen oder auch Regierungen gut gebildet sind und dort Funktionen übernehmen können. Es ist auch kein Widerspruch, mit Gramscis Hilfe und marx’scher Logik, Verwaltungshandlungen vernünftig zu erklären und mit Dialektik Entscheidungen zu treffen. Sie sollten nur mit unserem gültigen Verwaltungs- und Parlamentsrecht konform gehen und beispielsweise in die Thüringer Landeshaushaltsordnung passen. Das ist kein Widerspruch zu Textarbeit, sondern eine Erweiterung unseres Handlungsrahmen.
Wenn in Deutschland die Reichen und Superreichen sowie die kapitalstarken Betriebe wesentlich weniger Steuerprüfungen erleben und gleichzeitig Alleinerziehende oder Empfängerinnen und Empfänger vom Bürgergeld sich ständig kontrollieren lassen müssen, dann sehen wir ein massives gesellschaftliches Ungleichgewicht. Dann ist festzustellen, dass den Reichen gegeben und den Armen genommen wird. Vor diesem Hintergrund würde ich gerne an die Worte von Dieter Strützel erinnern. Denn wenn sich linke Politik und Debatte nur noch auf theoretische Fragen bezieht und die praktische Orientierung an der Realität – und das Verändern von Realität zum bessere für die Menschen – verloren geht, dann ersetzen wir den „Thüringer Weg“ durch einen Weg, bei dem Bewegung allein das ausschlaggebende Element ist. Aber praktische Handlungen und Bewegung gehören zusammen! Und Strützel sagte auch, dass wir über diesen Weg des praktischen Handelns in der Gesellschaft die politische Isolation unserer Partei überwinden können und überwinden müssen. Jahrzehntelang war für die PDS die Kommunalpolitik ein stabilisierender und wichtiger Faktor, um antikommunistische Ausgrenzung zu überwinden und uns in der Gesellschaft zu verankern. Der strategische Vorschlag, für den sich die Thüringer PDS immer gegenüber der Bundespartei stark gemacht hatte, war das sogenannte „Strategische Dreieck“. Es bestand erstens aus Protest und Widerstand, zweitens aus praktischer Veränderung im Hier und Jetzt und drittens der Idee eines demokratischen Sozialismus als Perspektive. Es ist diese Verbindung unserer verschiedenen Ansätze, die zum Erfolg führen. Für mich war der „Thüringer Weg“ ein starkes Element, einer Partei beizutreten, die damals sowohl das Führen gesellschaftlicher Debatten als auch die Arbeit im parlamentarischen Raum beherrschte.
Beschlossen wurde auf unserem Landesparteitag weiterhin, dass nun endlich die Fehler der zehnjährigen rot-rot-grünen Regierungszeit aufgearbeitet werden sollen. Fehler zu analysieren, das finde ich immer gut! Aber kann es sein, dass jetzt mit dem Hinweis auf Fehler das Regieren an sich gemeint ist? Kann es sein, dass in einer solchen Debatte ausgeblendet wird, wie viel Kraft es gekostet hat, zehn Jahre lang in diesem Land Verantwortung zu tragen? Mich als Person kann die Diskussion ja irgendwie nicht meinen, denn viele Genossinnen und Genossen tragen das „Team Bodo“-Shirt. Und so ganz verkehrt kann meine Regierungsarbeit ja nicht gewesen sein, wenn man sich meine Wahlergebnisse zur Landtags- und Bundestagswahl im Wahlkreis anschaut.
Aber auch jetzt werde ich nicht abtauchen und mich vor meiner Verantwortung oder der Diskussion drücken. Ich war Regierungschef und ich habe zehn Jahre die Verantwortung für die Arbeit der Thüringer Landesregierung getragen. Ich habe aus guten Gründen jeden Morgen mit den Thüringer Landesvorsitzenden meiner Partei telefoniert und mich politisch abgesprochen. Und aus guten Gründen habe ich nun beim Parteitag in Ilmenau gesagt, dass ich auch manchmal den Widerspruch meiner Partei zu meiner Regierungsverantwortung aushalten musste, denn ein Ministerpräsident steht nicht außerhalb kritischer Bewertung oder Betrachtung. Insoweit kann ich gut über Fehler sprechen und auch – so wie zum Beispiel in meiner Regierungserklärung zur Corona-Pandemie – die Verantwortung für das gesamte Regierungshandeln übernehme und in der Konsequenz aus meinen Erkenntnissen um Entschuldigung bei den Bürgerinnen und Bürgern bitten, da wir Entscheidungen getroffen haben, von denen ich nun weiß, dass sie aus heutiger Sicht als falsch anzusehen sind. Fehler und Kritik gehören also zum Diskurs und politisch handelnde Personen sollten in der Lage sein, damit umzugehen.
Wir haben als Linke in Thüringen nie eine Mehrheitsregierung geführt und unsere Partei hatte selbst mit ihren 31 Prozent bei der Wahl 2019 nie den Anspruch, für eine Mehrheit den Regierungsauftrag zu haben. Wir haben als kraftvoller Teil einer Koalitionsregierung gearbeitet und die Regierung geführt. Ich war dabei nicht immer mit jeder Entscheidung auch von Ministerinnen und Ministern mit unserem Parteibuch zufrieden. Es geht also nicht darum nun verklärend zu sagen, dass bei uns alles gut und bei den Koalitionspartnerinnen und -partnern möglicherweise alles schlecht war. Es geht mir darum, klar und deutlich zu sagen, dass zuallererst der für alle Entscheidungen haftet, der die Gesamtverantwortung trägt – und das war in unserer Landesregierung ich. Deshalb stehe ich zu der zehnjährigen Regierungsarbeit, und deshalb stelle ich mich vor alle Entscheidungen und auch vor alle Regierungsmitglieder. Wir sind schon von der Opposition oft und hart genug angegriffen worden und die angebliche „Posten-Affäre“ führte zu einem Untersuchungsausschuss. Die jetzige Regierung, von denen Teile damals so laut kritisierten, hat nun einfach noch mehr Posten und Pöstchen eingerichtet! Der damals angelegte Maßstab der Kritik der Opposition spielt heute offensichtlich keine Rolle mehr. Deshalb war ich ein wenig verwundert, diese Debatte so auf dem Parteitag auf einmal zur Kenntnis nehmen zu müssen.
Genauso erstaunt war ich auch bei der Abstimmung über die Satzung. Da war auf einmal die Rede von der „Machtvollkommenheit“ der SED, die man ja überwunden habe. Die Konsequenz daraus sei, dass sich so etwas nie wieder wiederholen dürfe. Irgendwie traute ich meinen Ohren nicht, was hier verglichen wurde! Unsere sehr spezielle Regelung in der Satzung, nach der die Funktion des Fraktionsvorsitzenden nicht gleichzeitig über eine längere Zeit gemeinsam mit der Funktion des Landesvorsitzes ausgeübt werden darf, gibt es nur in unserem Landesverband. Weitergedacht hieße dieser Vergleich mit der SED, dass in allen anderen unserer Landesverbände diese Machtvollkommenheit der DDR-Partei offensichtlich noch herrscht! Das löst Kopfschütteln bei mir aus. Denn sachlich betrachtet geht es um eine Trennung von Amt und Mandat und im engeren Sinne geht es darum, dass die Parteifunktionen von Regierungsfunktionen getrennt sein sollten. Andere Parteien, der Hinweis sei gestattet, handhaben das völlig anders – aber daran müssen wir uns nicht orientieren. Durch die Kombination der Funktionen konnte einst neben meiner öffentlichen Ausstrahlung als Ministerpräsident unsere Landes- und Fraktionsvorsitzenden öffentlich gut in Erscheinung treten. Im Bundestag hat unsere neue Bundestagsfraktion nun auch den beiden Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken ausdrücklich das Stimmrecht im Fraktionsvorstand per Geschäftsordnung übertragen. Ich habe auf dem Parteitag meine Kritik vorgetragen und scheue mich nicht zu wiederholen, dass ich beides falsch finde: Ich finde es falsch, dass in der Satzung in Thüringen eine Trennung zwischen Fraktions- und Landesvorsitz vorgenommen wird. Und ich finde es falsch, dass die Bundesvorsitzenden im Fraktionsvorstand stimmberechtigte Mitglieder sind. Es bedarf einer Trennung – und zwar nicht mit dem Schlagwort „Amt und Mandat“, sondern einer Trennung von Funktionen und Zuständigkeiten. Es ist schade, dass es mir nicht gelungen ist, ein höheres Maß an Sensibilität auszulösen. Denn mit dem Totschlagargument der totalitären SED-Strukturen wurde der Parteitag der guten Arbeit von Ulrike und Christian als Landesvorsitzende in den letzten Jahren nicht gerecht. In den Wortmeldungen wurde zwar immer wieder betont, dass es bei der Entscheidung nicht um die Person von Christian ginge, sondern nur um die Satzung. Aber das kann ich nicht so ganz ernst nehmen. Auch weil es einen weiteren Kandidaten gab, der Büroleiter einer Bundestagsabgeordneten in Berlin ist. Wenn nun also gesagt wurde, man könne sich nicht vorstellen, wie das Amt des Fraktionsvorsitzenden gut ausgefüllt werden könne, wenn man gleichzeitig Landesvorsitzender sei und der Tag doch immer nur 24 Stunden habe, so bleibt für mich die Frage, warum man diesen Maßstab nicht an jeden anderen Berufstätigen anlegt? Auch bleibt die Frage, warum ausschließlich der Fraktionsvorsitzende besonders arbeitsbelastet ist, der normale Abgeordnete dagegen nicht?
Auch auf eine andere Ungleichbehandlung will ich aufmerksam machen. Während man wie selbstverständlich von allen Abgeordneten vor ihrer Nominierung erwartet, dass sie sich zu ihrem Spendenverhalten äußern und dass man selbstverständlich verlangt, dass ein hoher Mandatsträgerbeitrag an die Partei abzuführen sei, findet dies bei Mitarbeitenden, die zum Beispiel für eine Fraktion, im Regierungsapparat als Dezernent*in oder auch als Mitglied im Rechnungshof tätig sind, nicht mit der gleichen Intensität statt. Bei einer langjährigen Tätigkeit als wissenschaftliche/r Mitarbeiter*in in der Fraktion kann das Bruttoeinkommen eben auch schon bei oder über der Höhe der Diäten liegen, die unsere Abgeordneten bekommen. Diese Ungleichbehandlung, die schon jetzt vorliegt und überhaupt nicht thematisiert wird, ist nur ein Hinweis darauf, was noch passieren wird, wenn die Frage der Einkommensdeckelung zu einer satzungstechnischen Frage wird. Auf dem Parteitag hat man mir widersprochen, als ich das erwähnt habe. Aber ich bleibe mir da treu: Ich gehöre zu den Menschen mit sehr guten Einkommen und ich gebe gerne meinen Teil davon an die Partei. Hubertus Knabe hatte sich einmal auf einer Pressekonferenz geäußert, dass die hohen Spenden von Petra Pau und mir ein Ausdruck davon seien, dass wir so bestimmt das alte SED-Geld waschen würden. Ich musste juristisch gegen ihn vorgehen, weil ich es unerhört fand, dass ein völlig selbstverständliches Verhalten von mir und Petra Pau, einen höheren Beitrag an die Partei zu zahlen, die uns aufgestellt hat, nun mit der antikommunistischen Keule zu erschlagen. Wenn aber zukünftige Abgeordnete nach dem Kriterium ausgewählt werden, ob sie ihr Einkommen deckeln, dann werden bestimmte Lebensrealitäten bei uns nicht mehr auf den Listen zu finden sein.
Um noch einmal auf Dieter Strützel zurück zu kommen: Verengung des linken Diskurses auf theoretische Fragen oder stärkere Orientierung an der empirischen Realität? Anders gesagt: Bewegung versus Parlament, Theorie versus Praxis und Gestaltung? Wer nun Einkommensdeckel einziehen möchte, der muss letztlich eine Kommission einrichten, bei der alle persönlichen Daten durch eine Kommission bewertet und entschieden werde. Wenn wir also auf dem Weg zu einer solchen Bewegungspartei sind, bei dem wir mit dem moralischen Anspruch uns selber nur Nettoeinkommen zuzugestehen, die dem Durchschnitt der gesamten Bevölkerung entsprechen, und alles weitere an soziale Projekte spenden, wenn das der weiße Elefant im Raum ist, dann wird die Frage von Regierungsverantwortung, von Verantwortungsübernahme in den Institutionen, Koalitionen, Wahlen zu Oberbürgermeister*innen oder Landrät*innen sich künftig völlig anders abspielen als alles, was wir bisher praktiziert haben. Wenn solche Anforderungen zur Grundlage von Nominierungen auf Parteitagen werden, wenn es um Listenaufstellungen von Abgeordneten geht, aber deren spätere Mitarbeiter*innen so nicht geregelt werden können, dann schafft man unfaire Beziehungen oder vergreift sich an Arbeits- und Tarifrecht. Aber in jedem Fall riecht es nach SED und Parteikontrollkommission. Ich will das wenigstens aussprechen, weil es mich bewegt.
Ja, wir haben uns drastisch vergrößert. Ja, wir sind eine stärker westdeutsch geprägte Partei geworden. Ja, mir fehlt eine lebhafte Diskussion zu Ostdeutschland und was wir aus den neuen Bundesländern an Erfahrung einbringen können. Ja, es fehlt mir auch eine Wertschätzung gegenüber denen, die Verantwortung übernehmen und Verantwortung übernommen haben. Da aber auf unserem Parteitag auch der Satz in der Debatte gestrichen wurde, dass wir eine Partei sind, die sich neu auf den Weg macht und sich damit zu einer neuen Partei entwickelt, hat sich bei mir ein gewisses Misstrauen breitgemacht. Wenn das, was ich gerade beschreibe, noch nicht das Neue ist, dann würde ich gerne wissen, was noch an die Tür klopft. Ist es Bewegungspartei versus Partei, die bewegt? Partei neuen Typs? Da war doch was?!
Heute ist mir beim Aufwachen ein Satz durch den Kopf gegangen, der mich nicht loslässt: Bin ich dabei, die Partei zu verlassen – oder verlässt meine Partei gerade mich?
Hat Dieter Strützel dafür gekämpft, dass die Isolation um die PDS überwunden wird? Den Ring um die PDS sprengen, das war sein Satz – aber jetzt dürfen wir doch nicht einen neuen Ring um uns legen! Die Linke in Bewegung darf nicht zu einer Bewegungslinken werden, die sich selbst isoliert! Oder anders gesagt: Parteiarbeit muss selbstverständlich Spaß machen. Man muss Freude daran haben, jeden Tag für und in dieser Partei zu arbeiten. Aber wir wollen doch keine Spaßpartei werden. Wir wollen auch keine Elitenpartei sein. Wir wollen auch keine Partei der „besseren Menschen“ werden, sondern eine Partei, die an der Verbesserung der Lebensumstände für alle Menschen arbeitet! Nicht nur eine Partei, die sich bewegt, sondern eine Partei, die etwas bewegt – nämlich etwas zum Guten für jeden Menschen. Da gilt mein Leitmotiv: Drum bleibe im Land und wehre dich täglich!
Zum Schluss noch einmal ein ausdrücklicher Dank an Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft für ihre lange und intensive Arbeit und all das, war wir gemeinsam gestemmt haben. Ich wünsche nun unseren neuen Landesvorsitzenden Katja Maurer und Ralf Plötner viel Kraft und Energie, auf dass wir gemeinsam an einer aktiven Partei Die Linke arbeiten, die sich an der empirischen Realität orientiert und deren Aufgabe es ist, die Lebensrealität aller Menschen in diesem Land zu verbessern!