IGM Fachtagung: Ostdeutschland braucht Autoindustrie

Am 27. Januar 2025 fand in Berlin die Fachtagung „Ostdeutschland braucht die Autoindustrie“ statt. Einige Kolleg*innen baten mich um ein schriftliches Grußwort, das vor Ort in Auszügen in der Debatte vorgetragen wurde. Die Tagung war eine gemeinsame Veranstaltung der drei ostdeutschen Transformationsnetzwerke ReTraNetz Berlin-Brandenburg, MoLeWa Leipzig und ITAS Südwestsachsen sowie der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen. Mein Grußwort:

Hier in den neuen Bundesländern hängt jeder vierte Industriearbeitsplatz von der
Automobil-Industrie ab. Bei uns in Thüringen sind es beispielsweise das Opel-Werk in Eisenach oder MDC Power in Kölleda, in Sachsen sind es zum Beispiel die Standorte von VW. Dazu kommen die unzähligen Zulieferer, die sich auf bestimmte Marken und Komponenten spezialisiert haben. Die Menschen in den Betrieben leisten gute Arbeit! Doch die Krise der Autoindustrie hinterlässt Opfer. 2024 haben wir das in Brotterode bei Automotive Lighting erlebt. Dort wurde ein ganzer Betrieb mit 900 Arbeitsplätzen einfach ‚weggeschmissen‘. Wir sehen Betriebe, die sich umwandeln könnten, wo eine Transformation auch im Sinne der Beschäftigten möglich wäre. Als linksgeführte Landesregierung haben wir in diesen Fällen immer Unterstützung angeboten. Doch statt in die Zukunft zu investieren und Transformation zu wagen, zählt viel zu oft das kurzfristige Profitdenken.

Die aktuelle Krise der Automobilindustrie ist eine Krise des Managements und ist eine Krise aus verfehlten Entscheidungen in Konzernen und der Politik. Ich will nur an das Stichwort „Dieselskandal“ erinnern. Der Vertrauensverlust bei den Käuferinnen und Käufern war und ist immens. Während sich die Verantwortlichen in die Büsche geschlagen haben, müssen die Folgen bis heute die Kolleginnen und Kollegen ausbaden. Zurecht weist Ihr in Eurer Einladung auf die hohe Bedeutung der Autoindustrie in den neuen Bundesländern für Arbeitsplätze, Einkommen und Industriestrukturen hin – grade auch im Vergleich zu den alten Ländern, wo nur jeder zehnte Job an der Branche hängt. Dort sitzen aber die Unternehmenszentralen. Dort werden die Entscheidungen über Standorte, Produkte und Beschäftige getroffen und dort werden die Steuern gezahlt.

Davon bleibt bei uns in den neuen Ländern viel zu wenig hängen. Denn das ist auch ein Problem für die gesamte Gesellschaft, für die Länder und Kommunen. Die Betriebe hier sind oft nur verlängerte Werkbank. Der erwirtschaftete Mehrwert wird in der Zentrale abgerechnet und die Unternehmenssteuern dort gezahlt. Forschung und Entwicklung verbleiben in den Zentralen – und uns bleiben Produktion und Abschreibung. Nach 35 Jahren Deutscher Einheit wird es Zeit, dies deutlich zu sagen und vor allem endlich zu verändern!

Die Menschen hier haben seit der Wende viel ertragen müssen. Ihre Leistungen müssen heute deutlicher anerkannt werden! Und vor allem müssen die Zeiten der Unsicherheiten ein Ende haben. Die Privatisierungs- und Schließungswellen der ‚Treuhand‘ in den frühen 1990er Jahren haben soziale, finanzielle, persönliche und wirtschaftliche Folgen hinterlassen, die bis heute nachwirken. Die Wirtschafts- und Finanzkrisen der letzten Jahre, die Corona-Pandemie und Kriege sorgten und sorgen für soziale und ökonomische Krisen und verstärkten Ängste.

Die Digitalisierung der Branche stellt uns vor weitere Herausforderungen und Probleme – nicht nur technischer Art. Unsere Gesellschaft wandelt sich rasant, so dass viele Menschen nicht mehr mitkommen. Und wenn heute im modernen Fahrzeugbau, vor allemin E-Autos, alle Bewegungen aufgezeichnet und die Umgebung gescannt wird, dann steht auch die Frage im Raum: Was passiert eigentlich mit diesen Daten? Wenn sich heute rechte Tech-Milliardäre wie Elon Musk mit genau diesen Daten und mit ihrem obszönen Reichtum in die Politik einmischen, dann ist das eine Gefahr für die Demokratie und uns alle.

Die Bundesregierung und die Landesregierungen in den neuen Bundesländern müssen die Krise und die Herausforderungen der Autoindustrie aktiv aufgreifen. Es sind
zukunftsweisende Entwicklungen gefragt, hin zu einer umfassenden Mobilitätsindustrie. Neben dem Verbrenner werden die E-Mobilität und Batterie-Technik trotz der aktuellen Krise der E-Autos ein wichtiges Standbein sein. Die Aufgabe der Politik ist es, bei der Transformation zu unterstützen und an der Seite der Beschäftigten zu stehen. Die IG Metall, ihre Betriebsräte und Vertrauenskörper sowie die Transformationsnetzwerke tragen Tag für Tag dazu bei, den Wandel aktiv und im Sinne der Beschäftigten mit zu gestalten. Dafür gilt es in diesen schwierigen Zeiten, Danke zu sagen!

Ich wünsche Eurer Fachtagung viel Erfolg! Bodo Ramelow