Abschied und Aufbruch

Es war der 05. Dezember 2014, als meine Wahl zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen deutschlandweit große Aufmerksamkeit erregte. Gerüchte besagten, dass es auch Abgeordnete gebe, die auf den dritten Wahlgang hofften, um einen anderen als mich zu wählen, der offenbar schon auf der Besuchertribüne wartete. Ich jedenfalls – so die Überzeugung mancher Akteure – würde meine wackelige Ein-Stimmen-Mehrheit nie über die Ziellinie retten. Es kam bekanntlich anders. Mit kurzer Unterbrechung durch das Kemmerich-Intermezzo habe ich zehn Jahre lang als Ministerpräsident Thüringens Interessen vertreten und – wie ich finde – gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern einiges erreicht.

Demokratie heißt aber – und zwar völlig zurecht – immer Wandel und Wechsel. Auch kein ausreichend großes Votum mehr zu bekommen, um eine neue Regierung anzuführen, gehört einfach dazu und ist nicht etwa betrüblich, sondern Teil unseres demokratischen Systems. Nunmehr schickt Mario Voigt sich an, Ministerpräsident zu werden.

Ich hingegen bereite die Übergabe der Thüringer Staatskanzlei vor, so wie es sich unter Demokraten gehört.

Gerade – just am 05. Dezember 2024 – ordne ich mein Büro. In meinem Dienstzimmer haben sich in den letzten zehn Jahren natürlich viele Gegenstände angesammelt, die mich an viele tolle Erlebnisse erinnern. Am auffälligsten sind sicher die wunderbaren Wandteppiche, die die Künstlerin Ulrike Drasdo gefertigt hat. Die Weberin aus Berufung, die jahrzehntelang in Hohenfelden ihre wunderbare Kunst ausgeübt hat, hat tiefe Spuren in vielen Kirchen hinterlassen. Es ist tröstlich, dass ich die Gelegenheit hatte, Ulrike Drasdo zu Lebzeiten noch den Thüringer Verdienstorden für ihr Lebenswerk und ihr persönliches Engagement für benachteiligte Kinder überreichen zu dürfen, aber auch, dass ich bei ihrem viel zu frühen Tod Abschied nehmen konnte auf ihrem Sterbebett. Genauso ging es mir mit dem wunderbaren Bildhauer Christian Paschold, der in Tiefthal seine letzte große Wirkungsstätte hatte und von dem ich mich auch am Todestag gemeinsam mit vielen Freunden verabschieden konnte. Seine Spuren sind in der Stadt Erfurt an vielen Stellen sichtbar. Auch an der Wand des Erfurter Rathauses sind einige seiner Figuren zu bestaunen.

Aus meinem Amtszimmer wird jetzt außerdem der Paradiesbaum in eine schöne Vitrine umziehen. Die wunderbaren Künstler Ruth Horam und Nihad Dabeet haben ihn aus Stahl und Kupfer geschaffen. Die Originale stehen in Jerusalem und auf dem Erfurter Petersberg als Zeichen für Frieden und Hoffnung. Neben dem kleinen Paradiesbaum-Ableger in meinem Amtszimmer steht die erste Replik eines alten jüdischen Hochzeitsrings aus der Alten Synagoge. Er ist dort das Prunkstück und ich bin stolz darauf, diese erste Replik als Ministerpräsident verliehen bekommen zu haben.

Die Erfurter Ausstellung an historischem Ort in der Alten Synagoge ist heute Weltkulturerbe und allemal einen Besuch wert.

Eine ganz besondere Rolle in meinem Büro spielt die Kirche St. Johannis in Ellrich. Stundenlang könnte ich darüber erzählen, wie diese Kirche ohne Türme zum Kristallisationspunkt eines breiten bürgerlichen Engagements wurde, um sie wieder – und zwar mit Türmen – in altem Glanz erstrahlen zu lassen. In meinem Büro stehen mehrere Miniaturmodelle von St. Johannis. Es ist ein tolles Gefühl, zu wissen, dass jetzt auch in den letzten Tagen meiner Amtszeit die Türme errichtet sind und das alte Geläut wieder einzieht. Hier hat das Zusammenwirken der Bürger mit meiner kreativen Unterstützung dazu geführt, dass der gemeinsame Glauben am Ende Berge versetzen kann.

Eine Schmuckbibel liegt auf meinem Schreibtisch, die mir persönlich gehört und jetzt jahrelang mich begleitet hat genauso wie ein Engel aus Keramik und eine Engelsskulptur aus Messing. Das waren meine persönlichen Begleiter, die auch zukünftig an meiner Seite sein werden. Mit mir umziehen wird das blaue Schaf, das ein Künstler als Symbol gegen Rassismus erschaffen hat. Unter www.blauschaeferei-reetz.de kann man Näheres darüber lesen und bei verschiedenen Landes- und Bundesgartenschauen habe ich jeweils solche blauen Schafe antreffen können. Ich habe mich dann immer gefreut und neben dem blauen Schaf steht ein tiefroter Gartenzwerg mit ausgestrecktem Mittelfinger. Den habe ich von einer lieben Mitarbeiterin geschenkt bekommen.

Außerdem gibt es drei Bodo Ramelow-Repliken aus verschiedenen Materialien. Zwei Mal als 3-D-Druck und einmal von einer älteren Dame aus Bernterode, die mir den Ramelow komplett gestrickt hat.

Stichwort Bernterode: in meinem ganzen Büro existieren Bezüge zum Thema „Kali“. Die Grubenlampe von Bischofferode steht im Regal genauso wie die Erinnerungsmarke, die es an dem Tag gab, an dem der Kali-Schacht Bischofferode endgültig geschlossen wurde. Dazu kommt ein Bohrkern der jetzt gerade erfolgten neuen Erkundungsbohrungen, die den Nachweis führen, wie reichhaltig das weiße Gold im Ohmgebirge bis heute ist.

In mein Büro miteingezogen sind vor zehn Jahren zwei Original-Grafiken des Wiesbadener Künstlers Ted Glöckler. Ted Glöckler ist Grafiker, aber auch Musiker. Er hatte mir vor 30 Jahren eine Original-Grafik geschenkt, die dpa-Bilder vom Arbeitskampf in Bischofferode künstlerisch verfremdet haben und er hat daraus eine ganze Grafik-Serie entstehen lassen. Später bekam ich eine zweite Grafik aus dieser Serie von einer lieben Freundin aus Mainz geschenkt und so haben mich diese beiden Bilder vor 20 Jahren durch den Bundestag, vor 15 Jahren durch den Landtag und eben vor zehn Jahre auch in der Staatskanzlei begleitet.

Auch einige Orden und Auszeichnungen werden mit mir die Staatskanzlei verlassen.

So wurde mir zum Beispiel das große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland durch den Bundespräsidenten verliehen.

Auch der König der Niederlande zeichnete mich bereits aus – und zwar mit dem Orde van Oranje-Nassau für mein vielfältiges Engagement bei der Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Thüringen und den Niederlanden.

Beide Schmuckschatullen sind seitdem in meinem Amtszimmer zu sehen gewesen und werden jetzt erstmalig eingepackt, um sie an geeigneter Stelle wieder aufzustellen. Begleiten werden mich dann auch die St. Georg-Medaille des Verbandes Thüringen Deutscher Altpfadfinderinnen, die Ehrenmedaille des ThüringenForstes, die mir für mein Engagement für das Grüne Herz als allererster Preisträger überreicht wurde. Und eine besondere Erinnerung ist auch die Fränkische Verdienstmedaille, die mir vom Frankenbund 2019 für meine besonderen Verdienste um das Fränkische verliehen wurde. Für meine Arbeit in all den Jahren für das liberale Judentum werden mich dann auch begleiten die Abraham-Geiger-Plakette, die mir feierlich 2013 überreicht wurde, und der Israel-Jacobson-Preis der Union Progressiver Juden, der mir am 7. Mai 2018 im Rathausfestsaal zu Erfurt für meine Arbeit im Rahmen der Rabbiner-Ausbildung und der Kantorenausbildung zuerkannt wurde.

Besonders lieb ist mir ein aus Glas gefertigtes Häuschen als ganz besonderes Erinnerungsstück. Aus hellgrünem Glas hergestellt, symbolisiert es die Internationale Jugendbegegnungsstätte von Auschwitz. Zum Abschied bei einem Besuch vor Ort hat mir Leszek Szuster dies als immerwährende Einladung überreicht – verbunden mit dem Hinweis, dass mir dann jedes Mal in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte eine leckere polnische Suppe kredenzt würde. Er wusste, dass mir diese Art Suppen eine große Erinnerung an meine Großmutter sind und immer, wenn ich in der Internationalen Begegnungsstätte war, habe ich mich hierauf besonders gefreut.

Beim geordneten Auszug ist es besonders wichtig, gründlich zu unterscheiden, welche Stücke mir privat gehören und welche ich in meiner Funktion als Ministerpräsident übergeben bekommen habe. In den vergangenen zehn Jahren habe ich natürlich viele Gastgeschenke bekommen, die aber nicht mir als Privatperson galten, sondern als Amtsträger, der den Freistaat nach innen und außen vertrat.

All das trenne ich gerade fein säuberlich und mache im Büro Platz für meinen Nachfolger. Mich selbst zieht es jetzt zurück ins Parlament – die Mission Silberlocke wartet!