Politkrimi im Bundesrat zur Krankenhausreform – ein Gastbeitrag von Benjamin-Immanuel Hoff

Wie es aussieht, wenn landespolitische Notwendigkeiten im parteipolitischen Handgemenge untergehen konnte man heute im Deutschen Bundesrat betrachten. Der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Prof. Benjamin-Immanuel Hoff, hat heute im Bundesrat auf meine Weisung hin zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz abgestimmt. Unser Wunsch war es, in einem Vermittlungsausschuss an diesem für Thüringen so entscheidenden Gesetz noch signifikante Verbesserungen vornehmen zu können. Leider war unser Koalitionspartner SPD nicht willens, Parteipolitik dem Landeswohl unterzuordnen. Die aus diesem Verhalten resultierenden Konsequenzen wird die zukünftige Landesregierung zu tragen haben.

In seinem Gastbeitrag beschreibt Benjamin-Immanuel Hoff die Ereignisse des heutigen Tages aus der Perspektive des Handelnden. Der Text ist an dieser Stelle in Gänze wiedergegeben:

 

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In der gemeinhin eher beschaulich tagenden Länderkammer, in der u.a. nach Reden deshalb nicht Beifall gezollt wird, weil nicht die Interessen der Parteien, sondern der Länder maßgebend für die Entscheidungen im Bundesrat sein sollen, spielte sich heute hinter den Kulissen ein politischer Krimi ab.

In der laufenden Bundesratssitzung wurde die geschäftsführende Gesundheits- und Sozialministerin Ursula Nonnemacher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom geschäftsführenden SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke entlassen. Der Freistaat Thüringen stimmte gegensätzlich ab, weshalb die Thüringer Stimmen nicht gezählt werden konnten. Das ist nicht alltäglich.

Dem Bundesrat gehören als Mitglieder von den Landesregierung entsandte Vertreter:innen an. Das sind die Ministerpräsident:innen sowie Minister:innen und in wenigen Ausnahmen von Bremen und Baden-Württemberg Staatssekretär:innen im Kabinettrang.

Da die Landesregierungen von Parteien und Koalitionen gebildet werden, spielen bei der Zustimmung bzw. Ablehnung von Gesetzesvorhaben des Bundes sowohl die jeweiligen Länderinteressen als auch Parteiinteressen eine Rolle.

So auch bei der heute debattierten, stark umstrittenen Krankenhausreform. Ziel des Reformpaketes ist es unter anderem, Leistungen in spezialisierten Kliniken zu konzentrieren. Dies soll nach dem Willen der Bundesregierung die Qualität der Behandlungen steigern. Zudem sollen ambulante und stationäre Sektoren enger verzahnt werden.

Die von Ländern geäußerte Kritik am Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz bestand im Wesentlichen darin, dass die postulierten Ziele einer Sicherheit für die Krankenhausstruktur nicht erreicht werden. Stattdessen würden dessen Regelungen insbesondere im ländlichen Raum die Strukturprobleme verstärken. In seiner aktuellen Form greift es in vielen Bereichen in die Planungshoheit der Länder im Bereich der Krankenhausplanung ein. Zudem sind viele Vorgaben, so bei Mindestmengen oder der Fachärztequote, viel zu eng gefasst und sind zu unflexibel. Auch hierdurch wird die bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung vor allem im ländlichen Raum gefährdet und die Bevölkerung verunsichert.

Unter gewöhnlichen Rahmenbedingungen hätte angenommen werden können, dass eine breite, koalitions- und länderübergreifende Mehrheit der Länder den Vermittlungsausschuss angerufen hätte, dessen Aufgabe darin besteht, bei Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern eine Klärung in dem paritätisch von Mitgliedern des Deutschen Bundestages und des Bundesrates besetzten Ausschuss herbeizuführen.

Doch die Zeiten sind nicht gewöhnlich. Denn der Rauswurf der FDP aus der Ampelkoalition, die für den 16. Dezember 2024 angekündigte Vertrauensfrage des Bundeskanzlers und die nach dessen absehbarem und deshalb bewusst herbeigeführten Scheitern für den 26. Februar 2025 vorgesehenen Neuwahlen zum Bundestag führt zu massivem Zeitdruck. Im konkreten Fall zu der Frage, kann ein Vermittlungsausschuss realistisch zu einem Ergebnis kommen?

Darauf gab es keine sichere Antwort, denn die unionsgeführten Länder und die CDU/CSU im Deutschen Bundestag bzw. deren Parteizentralen in Berlin und München stellten sich parteitaktisch gegenseitig ein Bein. Nur wenn die CDU/CSU im Deutschen Bundestag garantieren würde, dass ein Vermittlungsausschuss auch tatsächlich zu einem Ergebnis und einer Anpassung des Gesetzes noch vor der Bundestagswahl kommt, waren SPD-(mit)regierte Länder bereit, das Vermittlungsgremium anzurufen. Doch Merz und die Union hatten deutlich gemacht, erst nach der gescheiterten Vertrauensfrage mit der rot-grünen Minderheitsregierung von Scholz und Habeck über noch abzuschließende Gesetzesvorhaben zu sprechen.

So argumentierten in der Bundesratsdebatte zum Krankenhausreformgesetz diejenigen, die den Vermittlungsausschuss anrufen wollten und diejenigen, die das ablehnten, jeweils mit einer für die Krankenhäuser unkalkulierbaren Perspektive und schweren Schäden an der Krankenhausstruktur. Mit guten Argumenten auf beiden Seiten.

Ein Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses benötigt 35 der 69 Stimmen der Bundesratsmitglieder. Und so begann vor und während der Sitzung ein Zählen, Abklopfen und Abstimmen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, dessen Vielfalt an unterschiedlichen Koalitions- und Regierungsmodellen seinesgleichen sucht.

Während der Sitzung entband Brandenburgs geschäftsführender Ministerpräsident Woidke die ebenfalls geschäftsführende Sozial- und Gesundheitsministerin Nonnemacher von ihren Amtsgeschäften. Hintergrund der Entbindung von den Amtsgeschäften war ihr offenbar unabgestimmter Vorstoß bei der Probeabstimmung im sogenannten Vor-Bundesrat, der 30 Minuten vor regulärem Sitzungsbeginn letzte Abstimmungen zur Tagesordnung und Verlauf vornimmt.

Die Brandenburger Grünen kritisierten die Entscheidung Woidkes und nannten Sie laut RBB24 einen „neuen Tiefpunkt in der politischen Kultur des Landes Brandenburg“. Die Entlassung wurde auch von der parlamentarisch bereits oppositionellen CDU kritisiert: „So geht man menschlich nicht miteinander um. Ursula Nonnemacher am Ende ihres politischen Berufslebens so auf offener Bühne zu demütigen, ist unnötig und unwürdig.“ Diese Haltung des CDU-Landeschefs Redmann wurde parteiübergreifend hinter den Kulissen des Bundesrates geteilt. Das Vorgehen dürfte nicht nur einmalig sein, sondern muss im Sinne politischer Kultur einmalig bleiben.

Ob ein geschäftsführender Ministerpräsident die Mitglieder der geschäftsführenden Landesregierung entlassen kann, darf zumindest hinterfragt werden. Nicht ohne Grund wird von einer geschäftsführenden Regierung als „versteinerter Regierung“ gesprochen, da sie aufgrund des fehlenden politischen Konsenses oder eines Machtvakuums ihre volle Handlungsfähigkeit verloren hat. Sie ist auf die laufenden Verwaltungsaufgaben beschränkt, bis eine neue Regierung gebildet wird. Der Begriff „versteinert“ illustriert den Übergangszustand und die eingeschränkte Funktion dieser Regierungsform. Insoweit dürfte es rechtlicher Bewertung unterliegen, ob im Hinblick auf Artikel 81 Absatz 1 BbgVerf (geschäftsführende Regierung) in Verbindung mit Artikel 82 Absatz 2 Satz 2 BbgVerf (Regelung zur Entlassung von Minister:innen) die Maßnahme des Brandenburger Ministerpräsidenten zulässig war.

Etwas anders verhält es sich mit dem Thüringer Stimmverhalten beim namentlichen Aufruf aller Länder zur Erklärung des Stimmverhaltens hinsichtlich der VA-Anrufung. Hierzu gibt es Präzedenzfälle und eine klare Rechtslage und Rechtsprechung.

Doch zunächst zum Hintergrund: Im Vorfeld des Bundesrates hatte es schon im Landes-Kabinett am Dienstag keine Einigkeit über das Stimmverhalten zum Krankenhausgesetz gegeben. Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) hatte die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schon länger kritisiert und die Anrufung des Vermittlungsausschusses empfohlen.

Bei der SPD traf das offenbar auf Widerstand. Normalerweise enthält sich Thüringen in einer solchen Situation im Bundesrat. Denn wie in anderen Koalitionsverträgen auch gilt in Thüringen die Maßgabe der Enthaltung bei Uneinigkeit im Stimmverhalten im Bundesrat.

Gleichzeitig findet sich im Koalitionsvertrag die Festlegung, dass im Bundesrat das Landes- und nicht das Parteiinteresse maßgeblich zu sein haben.

In der Sitzung votierte ich als geschäftsführender Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Thüringer Stimmführer bei der Abstimmung über die Anrufung des Vermittlungsausschusses mit «Ja». Kurz darauf meldete sich Wolfgang Tiefensee (SPD) und sagte: «Frau Präsidentin, ich stimme mit Nein. Das Ja entspricht nicht den Festlegungen im Vorfeld.» Ich entgegnete darauf, nach den Weisungen und in Übereinstimmung mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) zu handeln.

Daraufhin stellte Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) fest, dass Thüringen uneinheitlich abgestimmt hat, die Stimme wurde als ungültig gewertet.

Die uneinheitliche Stimmabgabe im Bundesrat führt zur Ungültigkeit der Stimmen eines Bundeslandes. Das ist verfassungsrechtlich in Artikel 51 Abs. 3 S. 2 GG („Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich abgegeben werden.“) und organisatorisch in § 28 Abs. 1 S. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates („Sind die Stimmen eines Landes uneinheitlich abgegeben, so sind sie ungültig.“) geregelt. Bei einer uneinheitlichen Stimmabgabe wird das Land faktisch so behandelt, als hätte es nicht abgestimmt.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die uneinheitliche Stimmabgabe gegen das Gebot der geschlossenen Willensbildung verstößt und daher unzulässig ist. Eine bekannte Entscheidung ist BVerfGE 106, 310 (2002), in der das Gericht ausführlich die Bedeutung der einheitlichen Stimmabgabe betonte, nachdem seinerzeit Manfred Stolpe (SPD) und Jörg Schönbohm (CDU), in einem von der CDU bewusst kalkulierten und eskalierten Eklat, uneinheitlich zur Frage des Staatsbürgerschaftsrechts abstimmten und der Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) die Stimme Brandenburgs für gültig erklärte.

Da der Vermittlungsausschuss nicht angerufen wurde, kann das Gesetz nun durch den Bundespräsidenten ausgefertigt und verkündet werden. Es tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

In einer begleitenden Entschließung, die auf einen gemeinsamen Antrag der Länder Niedersachsen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern zurückgeht, fordert der Bundesrat pragmatische Lösungen zur Umsetzung der Krankenhausreform.

Eine Sprecherin von Gesundheitsministerin Werner (DIE LINKE) sagte zu der Entscheidung gegen den Vermittlungsausschuss im Bundesrat: «Die Chance, noch ernsthafte und notwendige Verbesserungen zum Gesetz herbeizuführen ist nun vertan.» Die fachliche Kritik gelte nach wie vor.

Sie hatte unter anderem mehr Geld für die Krankenhäuser gefordert, dabei ging es etwa um eine Refinanzierung der Kostensteigerungen in den Jahren 2022 und 2023. Hier habe es kein Entgegenkommen vom Bundesgesundheitsministerium gegeben. Außerdem gebe es nach wie vor kein aussagekräftiges Analysetool des Bundes, um die Folgen der Reform abzuschätzen, so die Sprecherin.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag, Cornelia Urban, sagte hingegen: «Der heutige Tag ist ein guter Tag für das deutsche Gesundheitssystem und für die stationäre Versorgung der Patienten in Thüringen.» Mehr finanzielle Unterstützung vom Bund wäre natürlich wünschenswert, «aber es ist fünf vor zwölf, wenn es um die Überlebensfrage unserer Krankenhäuser geht».

Das uneinheitliche Stimmverhalten Thüringen hätte in normalen Koalitionszeiten eine mittelschwere Koalitionskrise zur Folge. Das wird mit Blick auf die nächste Regierungsbildung nicht mehr stattfinden. Immerhin stellte der sogenannte Brombeer-Bund parallel zur Bundesratssitzung seinen Entwurf des Koalitionsvertrages vor.

Klar ist aus meiner Sicht, dass der Ministerpräsident und ich in Übereinstimmung mit Gesundheitsministerin Heike Werner die Haltung eingenommen haben, die wir inhaltlich als Linke vertreten. Dies dürfte aber auch den Geist des Sondierungs- und Koalitionsvertrags des kommenden Brombeer-Bündnisses eher abgebildet haben, als die des SPD-Vertreters Tiefensee. Dessen Partei will mit CDU und BSW regieren und vermutlich auch das Gesundheits- und Sozialressort übernehmen. Die Thüringer SPD muss folglich erklären, warum sie das Gegenteil dessen tat, was die Thüringer Krankenhausgesellschaft von der Landesregierung erwartete.

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