Mission Silberlocke
Seit Samstag werde ich oft nach der sogenannten „Mission Silberlocke“ gefragt. Betrachtet man allerdings meinen Haarschopf, wird man wenig Silber und noch weniger Locken feststellen können. Um Gregor Gysis Haarpracht ist es nicht besser bestellt, obwohl er das Bild von der „Mission Silberlocke“ erfunden hat. Ich stelle mich jetzt auf ein gemeinsames Abendessen mit ihm und Dietmar Bartsch ein, bei dem wir bei leckerem Essen und einem guten Glas Wein darüber reden werden, ob und in welcher Form wir uns in den anstehenden Bundestagswahlkampf einbringen werden.
Zunächst begrüße ich, dass Gregor Gysi die klare Ansage gemacht hat, dass er beabsichtigt, noch einmal für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Nach den Erfahrungen, die wir in Thüringen mit einem Parlamentsältesten hatten, würde ich es durchaus begrüßen, endlich einmal eine scharfzüngige Rede des Alterspräsidenten Gysi im Bundestag zu hören, die intellektuell dort anknüpft, wo Stefan Heym als Alterspräsident 1994 geendet hatte. Klar ist aber auch: ich bin selbst noch geschäftsführender Ministerpräsident in Thüringen und mit mir mein gesamtes Kabinett. Wir werden die Amtsgeschäfte so lange führen, bis sich die verhandelnden Parteien auf eine Koalition geeinigt und im Anschluss einen neuen Ministerpräsidenten gewählt haben.
Und das könnte – wie man am Wochenende lesen musste – doch noch länger auf sich warten lassen als gedacht. Nachdem der Parlamentarische Geschäftsführer des BSW in Thüringen, Tilo Kummer, zunächst wortreich ein Sondierungspapier der Verhandelnden vorgestellt hatte, wurde er sehr schnell vom BSW-Landesvorstand, noch mehr aber von Sahra Wagenknecht zurückgepfiffen. Anstatt unmittelbar Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, möchte das BSW nunmehr vorab eine Einigung in der sog. Friedensfrage erreichen. Heißt: bevor die Koalitionsverhandlungen überhaupt aufgenommen werden, soll die Prämbel schon ausverhandelt sein. Was für ein seltsames Vorgehen. Welch ein Misstrauen den anderen Partnern gegenüber.
Hier geht es u.a. um die geforderte Nichtstationierung US-amerikanischer Raketen, was in Thüringen überhaupt nicht zulässig wäre, da schon der Zwei-plus-Vier-Vertrag eine solche Stationierung verbietet. Warum man also etwas ausschließen möchte, was sowieso schon verboten ist, bleibt das Geheimnis des BSW.
Dass zwischenzeitlich Sahra Wagenknecht darüber hinaus bereits in ihrer unnachahmlichen Art forderte, dass die Thüringer CDU sich von ihrem Bundesvorsitzenden Friedrich Merz distanzieren möge, irritiert mich sehr. Ich kann mich nicht erinnern, von Ähnlichem schon einmal in der 75jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehört zu haben.
Wie oft in meinem Leben hätte ich mich da schon von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine distanzieren müssen? Als Oskar Lafontaine bei seinem Eintritt in DIE LINKE. in Chemnitz von „Fremdarbeitern“ sprach, habe ich mich zutiefst dafür geschämt und leider zu wenig laut dagegen protestiert. Ich habe ihm persönlich gesagt, was ich von derartigen Äußerungen halte.
Mein damaliger Gewerkschaftskollege Angelo Lucifero, mit dem ich jahrelang sehr gut zusammengearbeitet habe, verteilte bei einer Veranstaltung in Erfurt schließlich Flugblätter gegen Oskar Lafontaines rassistische Äußerungen. Er hat früher als viele andere kommen sehen, was sich da zusammenbraute.
Frau Wagenknecht hat unterdessen eine Ich-AG gegründet, die von uns gemeinsam erkämpften Mandate im Deutschen Bundestag privatisiert und ist offenkundig in der Lage, viel Geld einzusammeln, um damit Parteiarbeit zu finanzieren. Die Mitgliedsbeiträge des BSW in Thüringen können dazu jedenfalls nur einen kleinen Teil beitragen, da laut diverser Zeitungsberichte erst 90 Mitglieder offiziell zugelassen wurden. Alleine bei uns sind tausende Mitglieder neu eingetreten, seitdem Frau Wagenknecht DIE LINKE. verlassen hat.
Wenn ich also höre, dass Frau Wagenknecht jetzt von der CDU eine Demütigung verlangt, dann habe ich das Gefühl, dass Thüringen nur in Geiselhaft für ihren Bundestagswahlkampf genommen wird. Ich bedaure das, denn unser schönes Bundesland hat es nicht verdient, unter die Räder dieses Wahlkampfgetöses zu geraten.
Rot-Rot-Grün hat keinen Auftrag der Wählerinnen und Wähler mehr und wenn dann Frau Wagenknecht davon fabuliert, dass in Thüringen eine Mehrheit anders gewählt hat und jetzt auch erwarten würde, dass deutlich gegen die Solidarität mit der Ukraine Stellung bezogen werden muss, dann stelle ich fest, dass Frau Wagenknecht schlicht die AfD-Wähler vereinahmt.
Das bedeutet ebenfalls nichts Gutes für das, was sich in Thüringen entwickeln wird. Ich will nicht Kassandra sein, aber mahnend den Finger heben, denn wir leben in einem Föderalstaat. Das heißt, dass jedes Bundesland tatsächlich ein eigener Verfassungsstaat ist.
Die Bundesrepublik Deutschland heißt genau so, weil sie eine Republik, gebildet aus einem Bund eigener Länder ist. Dieser Bund wird durch ein filigranes Gefüge der Machtverteilung auf zwei Ebenen regiert. Es gibt die Bundesthemen, die eindeutig und zwingend bei der Bundesregierung und dem Bundestag verankert sind. Und es gibt die Landeshoheiten, die ausschließlich im Landesparlament und der Landesregierung angesiedelt sind. Außenpolitik, Militärpolitik und Sicherheitspolitik gehören nicht zu den originären Aufgaben der Bundesländer und sind nicht einmal Gegenstand von Verabredungen in der Ministerpräsidentenkonferenz. Jetzt zu verlangen, dass in diesen Kontexten Formulierungen in Koalitionsverträgen der Länder verankert werden sollen, die im Kern das Gefüge zwischen Bund und Land negativ beeinflussen, bedeutet in Zukunft umgekehrt, dass der Bund sich auch in die Dinge einmischen wird, die Landeshoheit sind. Bislang habe ich mich dagegen immer aktiv gewehrt und beabsichtige, das in Zukunft auch zu tun.
Aktuell ist die „Mission Silberlocke“ für mich noch nicht angelaufen, sondern ich bereite alles vor, um einen geordneten Wechsel der Landesregierung zu ermöglichen. Ich bin gerne bereit, den Sondiere
rn bei fachlichen Fragen mit Hilfe der Ministerien zur Verfügung zu stehen. Ich bin allerdings nicht bereit, an der Zerstörung der „Checks and Balances“ der Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken, wie Frau Wagenknecht es offensichtlich beabsichtigt. Hier wiederholt sich, was Oskar Lafontaine als Ministerpräsident des Saarlandes schon 1990 betrieben hat, als er SPD-Bundesvorsitzender wurde und den Bundesrat in Geiselhaft genommen hat gegen die damalige Bundesregierung. Scheinbar hat er sich von diesem Denkmodell bis heute nicht gelöst und scheinbar soll nun Thüringen im Gleichschritt marschieren mit Sachsen und Brandenburg, um darüber die Machtstrukturen in Deutschland zu verändern. Das ist nicht ein Kampf um politische Vielfalt, sondern es ist Auseinandersetzung um Dominanz. Ich kann also nur sagen: es ist gut, wenn DIE LINKE. sich aufmacht, auf der Seite derer zu stehen, die eine starke Stimme brauchen. Ich bedaure, dass nun falsche Zungenschläge auch in meiner Partei in Richtung Hamas und Hisbollah zu hören sind. Worauf man sich aus meiner Sicht eher konzentrieren sollte, habe ich sowohl auf meiner Parteitagsrede als auch im Gespräch mit PHOENIX dargelegt.