Thüringen hat gewählt!

photo_2024-09-06_15-27-52-575x768 photo_2024-09-06_09-15-36-768x576 Am 01.September haben die Bürger Thüringens von ihrem Recht Gebraucht gemacht, einen neuen Landtag zu wählen. Ich habe ganz bewusst noch am Wahltag gesagt, dass dieser Tag ein Festtag der Demokratie ist. Dabei bleibe ich, auch wenn mich die Wahlergebnisse für meine Partei keineswegs befriedigen können und ich mit Sorge sehe, wie stark eine rechtsextreme Partei, die von einem SA-Parolen brüllenden Björn Höcke geführt wird, abgeschnitten hat.

Es war am 04. Dezember 1989 als mutige Thüringerinnen und Thüringer die Stasizentrale in Erfurt besetzten und so der SED-Diktatur friedlich, aber mit Nachdruck eines ihrer wichtigsten Machtmittel aus der Hand schlugen. Sie erkämpften sich Freiheit, das Recht auf freie Rede und auch die Freiheit, in demokratischen Wahlen ihre Regierungen selbst zu bestimmen.

Schon allein der Respekt vor dieser mutigen Tat von ganz normalen Menschen, die niemals wussten, ob die SED nicht doch die sog. „Pekinger Lösung“ (Stichwort: Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens im Sommer 1989) umsetzen würde, macht jeden Wahltag für mich auch zu einer Erinnerung an dieses wichtige Erbe der deutschen Demokratiegeschichte.

Dass die Wahlen dieses Mal ausgerechnet am 01. September stattfanden, ruft noch weitere historische Linien auf. Am gleichen Tag im Jahr 1939 überfiel das sog. „Dritte Reich“ Polen, 16 Tage später rückte die Sowjetunion ebenfalls in das westliche Nachbarland ein. Zwei Diktaturen bildeten eine Beutegemeinschaft, zerschlugen den polnischen Staat unter unvorstellbaren menschlichen Opfern und stürzten ganz Europa in den Abgrund. Daran sollte jeder denken, der von gerechtem Frieden redet. Meine Antwort: eine europäische Friedensordnung und eine weitere Ausgestaltung des „Weimarer Dreiecks“.

Aber ohne Frage: für meine Partei DIE LINKE. und mich war der 01. September auch ein bitterer Tag. Kein Weg führt an der Erkenntnis vorbei, dass wir knapp 18 Prozent an Stimmen verloren haben. Das schmerzt mich und natürlich auch all meine Genossinnen und Genossen. Dennoch stimmt es mich optimistisch, dass ich in diesem Wahlkampf eine Partei erlebt habe, die trotz aller Widrigkeiten mit einem unbeschreiblichen Frohsinn und einer niemals versiegenden Energie gekämpft hat. Der Satz stimmt: „Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen.“

Demokratie lebt vom Wechsel. Wer glaubt, man könne das Recht zu regieren für sich pachten, der hat Demokratie nicht verstanden. Ich bin dankbar, dass ich zehn Jahre lang als Ministerpräsident die Geschicke dieses wunderschönen Bundeslandes mitlenken durfte und werde jetzt die ebenso wichtige Aufgabe wahrnehmen als Oppositionsabgeordneter die Regierung dabei zu unterstützen demokratisch gute Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit, von denen es wahrlich mehr als genug gibt, zu finden. Für mich gilt, was ich auch vor dem Wahltag sagte: derjenige Demokrat mit dem stärksten Ergebnis hat jetzt die Aufgabe eine Regierung zu bilden. Meine Partei und ich werden der CDU und Prof. Voigt für Gespräche bereitstehen und das Unsrige dazu beitragen, den Faschismus von den Hebeln der Macht fernzuhalten. Das ist die Pflicht aller Demokraten.

Während ich diesen Text schreibe, ziehen an mir die vielen großartigen Momente, aber auch schweren Stunden vorbei, die meine zehnjährige Amtszeit prägten. Dass die Kirche St. Johannis in Ellrich nach ungezählten Jahrzehnten dank des Engagements der Bürger und meiner Unterstützung endlich ihre Türme wiederbekommt, ist nur eines der vielen Beispiele für die tolle Zusammenarbeit zwischen Regierung und Bürgern. Die Coronakrise hingegen war die für mich bislang schwerste Bewährungsprobe meines politischen Lebens. Hier konnte niemand ohne Schuld bleiben. Es galt auf dem immer nur gerade aktuellen Wissensstand Entscheidungen mit erheblichen Auswirkungen für viele Menschen zu treffen. Oft hatte man nur die Wahl zwischen schlecht und schlimm.

Alles in allem habe ich dennoch das Gefühl, ein geordnetes Land zu hinterlassen. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob wir als Demokraten gemeinsam in der Lage sind, das Aufgebaute zu sichern und den Weg in die Zukunft zu ebnen. Dafür brauchen wir weder gute Ratschläge von außen noch die „Kalten Krieger“, die in den 1950er-Jahren steckengeblieben sind. Wir haben in den letzten fünf Jahren gezeigt, dass demokratische Mehrheiten möglich sind – auch für eine Minderheitsregierung, wenn Bernhard Vogels Satz für uns alle weiterhin gilt: „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.“