Eine Woche voller berührender Begegnungen
Die Sommertour des Ministerpräsidenten ist für mich immer eine extrem spannende und intensive Zeit, in der ich sehr vielen Menschen in Thüringen unmittelbar begegnen kann, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. In der vergangenen Woche konnte ich jedoch zusätzlich einen Gast begrüßen, den ich nach Thüringen eingeladen hatte. Sebastian Krumbiegel von der Band „Die Prinzen“ besuchte mit mir den Erfurter Unichor zu einer Probe. Die Vorgeschichte dazu war besonders amüsant. Anlässlich eines Besuches in der Erfurter Oper konnte ich den Chor vor einiger Zeit bereits einmal erleben. Sie sangen zufälligerweise das Lied der „Prinzen“ vom kleinen Fahrrad. Der Dirigent stellte dem Publikum im Anschluss die Suggestivfrage, ob man heute noch, wie es in der Textzeile des Liedes heißt, sein Fahrrad ganz blau anmalen solle.
Diese witzige Passage schickte ich im Anschluss Sebastian Krumbiegel, der spontan reagierte und mit mir verabredete, eine Chorprobe des Unichors zu besuchen. So kam es. Gemeinsam mit Sebastian, der am Keyboard begleitete, sangen wir alle zusammen das Lied vom kleinen Fahrrad. Nach der Chorprobe trafen wir uns im Cafe Nerly und es war sehr berührend, als Sebastian dem Chor sein Lied von der Demokratie zu Gehör brachte und der Chor sich mit dem Demokratielied der „Ärzte“ bei ihm bedankte. Viele Selfies und unzählige spannende Gespräche später endete der Abend in großer Fröhlichkeit. Es macht einfach Freude zu sehen, wie diese jungen Studierenden so intensiv mit ihrem Chorleiter proben und mit ganzer Kraft dabei sind, diese Kompositionen auf eine sehr moderne Art aufzuführen.
Im Kultur-Kontor im ehemaligen GHG Haushaltswaren, das ich noch 1990 als Gewerkschaftssekretär betreuen durfte, traf ich dann Marc Jung. Marc hat mit der Staatskanzlei bereits im Jahr 2022 das Thüringer Logo anlässlich des Tags der Deutschen Einheit gestaltet. In dem Gesamtkunstwerk, das Marc Jung für uns dabei geschaffen hat, trugen sich dann sämtliche Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland mit Unterschrift ein. Der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Bundestagspräsidentin und auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes verzierten das Kunstwerk mit ihren Autogrammen. Marc Jung hat sein Atelier im Kultur-Kontor und so haben wir gemeinsam drei Löwen-Figuren, die wir für die Sommertour des Ministerpräsidenten haben anfertigen lassen, künstlerisch bearbeitet. Ich durfte unter seiner Anweisung seine sehr vielen Spraydosen benutzen, um einen echten „Ramelow“ zu schaffen. Im Anschluss begleitete er mich in die ehemalige Lagerhalle des Kultur-Kontors, die wir an diesem Abend in ein Kino verwandelten. Der Erfurter Kinoklub e. V. hatte uns seine gesamte Technik und seine Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt, sodass wir den Film „Schleimkeim – Otze und die DDR von unten“ des Regisseurs Jan Heck zeigen konnten. Schleimkeim ist eine Punkband aus Stotternheim, die zu DDR-Zeiten die Staatssicherheit mit Punk-Musik zum Wahnsinn trieb. Anwesend war der Regisseur Jan Heck und Wolfgang Musigmann. Jan Heck, erst in den Neunzigern geboren, erzählte, dass er als 14-Jähriger in seiner westdeutschen Heimat im Schwabenland eine Schallplatte von Schleimkeim geschenkt bekam. Seitdem hätte ihn das Thema nicht mehr losgelassen. Wolfgang Musigmann war der junge Diakon, bei dem Schleimkeim ihr erstes Konzert 1982 im Johannes-Lang-Haus in Erfurt gaben – damals noch unter dem Schutz des kirchlichen Raums, denn sonst hätte die Band niemals auftreten dürfen.
Den Abschluss der besonderen Begegnungen erlebe ich auf Schloss Ettersburg. Zum 300. Ettersburger Gespräch waren Michel Friedman und ich eingeladen, um uns zum Thema „Stresstest für die Demokratie?“ auszutauschen. Michel Friedman und ich sind seit vielen Jahren befreundet und so habe ich mich sehr auf den Abend gefreut. Das Schloss hat ihn sehr beeindruckt, vor allem die Art, wie detailgenau alles saniert worden ist. Der Bauindustrieverband Hessen-Thüringen hat das Ensemble erworben und mit viel Fleiß und Mühe zu einem echten Kleinod hergerichtet. Heute ist es eine Mischung aus einem Gedenkort und einem wunderbaren Hotel – ein Begegnungsort und ein Ort der Gespräche und des Dialogs. Häufig sind wir als Landesregierung hier für Kabinettklausuren zu Gast.
Der Abend selbst war ein intellektueller Hochgenuss. Es ist spannend, sich von den Anregungen des Denkers Michel Friedman inspirieren zu lassen. Er verknüpft Fragen nach der Gestalt von Demokratie mit jenen nach der Universalität der Menschenrechte und leitet daraus auch Pflichten und Möglichkeiten des Einzelnen ab, Demokratie mit Leben zu füllen. Aus der Perspektive der Minderheit bleibt freilich immer die Frage danach, ob die Mehrheit der Minderheit auch den notwendigen rechtlichen und gesellschaftlichen Schutz bietet, den es braucht, um ein unbeschwertes Leben führen zu können. Dass über einen so intensiven und die Blicke weitenden Abend medial kaum berichtet wird, wäre ein eigenes Kapitel, das zu erörtern wäre.
Die Woche endete schließlich mit den Stelzenfestspielen, bei denen es dem wunderbaren Musiker Henry Schneider wieder einmal gelungen ist, internationale Künstler in die Festspielscheune zu locken. Das Bandoneon trifft Stelzen. Meine Frau Germana und ich tauchten ein in einen wunderbaren Abend der Klänge und der optischen Reize. Man kann kaum beschreiben, wie es ist, zwischen argentinischem Tango und dem Bandoneon-Orchester aus dem Erzgebirge zu schwelgen. Aber genau diese Buntheit und Vielfalt zeichnet die Stelzenfestspiele aus. Man bekommt einerseits alles über das Bandoneon erklärt und landet im erzgebirgischen Ort Carlsfeld und wird dann mitgenommen auf eine musikalische und tänzerische Reise durch die Welt. Argentinien trifft das Erzgebirge auf der Bühne in Stelzen. Auch die Gülleorgel und das Melkmaschinenorchester mit allen Klanginstallationen war wieder mit von der Partie. Ein toller Abend endet schließlich, wie er in Stelzen enden muss – mit dem berühmten Fischbrötchen und einem kühlen Bier.