Ein Gedenkort für die Opfer des NSU
Am 18. Juni luden der Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofes, Herr von der Weiden, die Präsidentin des Thüringer Landtags, Frau Pommer, und ich als Ministerpräsident die Familien der Mordopfer sowie die Opfer des Bombenanschläge der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ zu einem gemeinsamen Abendessen ein – am Vorabend der Einweihung des neuen Gedenkortes, der an die drei Bombenanschläge und die zehn ermordeten Menschen erinnern soll. Der Landtag hatte bei der Beschlussfassung der NSU-Abschlussberichte (immerhin gab es zwei Untersuchungsausschüsse des Thüringer Landtags dazu) vereinbart, einen solchen Gedenkort zu schaffen. Die Taten sollen nicht in Vergessenheit geraten, denn die Täter kamen aus Thüringen. Das Behördenversagen und falsche Verdächtigungen den Angehörigen gegenüber, von denen auch die Familie Şimşek betroffen war, können niemals – auch nicht durch einen Gedenkort – gut gemacht werden. Es ist bitter, von Frau Şimşek zu hören, was das mit der Familie in diesen elf Jahren gemacht hat , direkt nach der Tat – wie auch Freunde und Nachbarn plötzlich von ihnen abrückten. Man hat die Opferfamilien alleine gelassen, stigmatisiert und permanent mit falschen Beschuldigungen gedemütigt.Diese 11 Jahre waren einfach bitter und traumatisierend.
Dass all dieses Leid am Ende im Urteil des so genannten Zschäpe-Verfahrens nicht einmal thematisiert wurde, schmerzt die Angehörigen umso mehr. Ich habe eine Vorstellung, was so eine Drucksituation bedeutet, denn zur Vorbereitung auf den Termin in der vergangenen Woche habe ich mich auch mit meinen eigenen Erfahrungen aus dieser Zeit auseinandergesetzt.
Am 26. September 1996 erlebte ich den Prozess gegen den Rechtsterroristen Manfred Röder am Amtsgericht in Erfurt. Es war dieser Rechtsterrorist, der – gerade aus dem Gefängnis entlassen – die Wehrmachtsausstellung im Erfurter Gewerkschaftshaus überfallen und mit roter Lackfarbe geschändet hat. Ich hatte an diesem Tag Aufsicht vor Ort und stoppte ihn. Seinen Arm habe ich festgehalten mit der Spraydose in der Hand und er schrie, dass ich ihm Gewalt antun würde. Die Polizei nahm ihn fest und am 26. September 1996 kam es dann zum Prozess im Amtsgericht. Ich erinnere mich an seine schneidende Stimme und an seine aggressive Art, mit der jungen Richterin umzuspringen. Ich erinnere mich aber auch an drei sehr bedrohlich wirkende junge Männer, die es offensichtlich auf mich abgesehen hatten. Nach dem 26. September 1996 hatte ich diese Erlebnisse offensichtlich komplett verdrängt. Erst am 4. November 2011, als Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos in ihrem Camper in Eisenach, Ortsteil Stregda, aufgefunden wurden, geschah etwas, was ich eigentlich nie für möglich gehalten habe. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht informierte mich noch am 4. November über die Tatsache, dass zwei junge Männer tot in einem Camper gefunden worden seien – bei ihnen die beiden Waffen von zwei Polizeibeamten, die am 25. April 2007 in Heilbronn überfallen wurden. Die Thüringer Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter wurde bei diesem Überfall mit einem Kopfschuss getötet und ihr Kollege lebensgefährlich verletzt.
Am 6. November saß ich zufällig beim Frühstück in einem Hotel und mir gegenüber hatte jemand eine BILD-Zeitung aufgeschlagen. Auf der Seite 1 waren die Gesichter dieser beiden Männer aus dem Eisenacher Camper. Die Namen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sagten mir spontan nichts, aber als ich auf diese Bilder schaute merkte ich, wie mein ganzer Körper zusammenzuckte. Es gab eine unfassbare körperliche Reaktion, als ich die Augen wahrgenommen habe. Diese Augen lösten bei mir schockartig etwas aus, was ich mir nicht erklären konnte. Rein rational war ich überzeugt, die Personen nicht zu kennen, emotional fing mein Körper an zu zittern. Diese Reaktion war offensichtlich verbunden mit großer Angst. Ich habe damals meine Stellvertreterin Martina Renner in Erfurt im Landtag angerufen und ihr geschildert, was bei mir gerade passieren würde und dass ich es mir nicht erklären könne.
Einer spontanen Eingebung folgend verwies ich sie auf den 26. September 1996 und bat sie, im MDR-Funkhaus noch einmal eine Sichtung des Bild- und Filmmaterials vornehmen zu lassen zu dem Prozess am Amtsgericht gegen den Rechtsterroristen Manfred Röder. Ergebnis: das Thüringen-Journal zeigt, wie ich als Zeuge das Amtsgericht verlasse und genau hinter mir Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und eine dritte Person mich verfolgen. Nachdem ich die Bilder gesehen habe, öffnete sich meine Seele, meine Erinnerung kam wieder.
Journalisten berichteten mir, dass der dritte der Verfolger Ralf Wohlleben war, der in den späteren NSU-Ermittlungen eine zentrale Rolle spielte. Sie waren also schon frühzeitig mit dem Rechtsterroristen Manfred Röder zusammen und viele Taten, die man mit Manfred Röder verbindet, zeigen sich in der Kontinuität auch bei dem, was unter den drei Buchstaben NSU traurige Realität wurde.
Der Rechtsterrorismus kam wirklich nicht aus dem Nichts. Auch das geht mir an dem Tag durch den Kopf, an dem ich mit den Familienangehörigen der Opfer zusammensitze. Am 19. Juni 2024 zwingt uns der starke Regen in den Landtag. Die Gedenkveranstaltung wird sehr würdig im Plenarsaal durchgeführt.
Dort ist der richtige Ort, denn auch hier wurden jeweils die Untersuchungsausschüsse und ihre Abschlussberichte vorgestellt. Frau Prof. John als Opferbeauftragte der Bundesregierung würdigte den Thüringer Landtag für seine hartnäckige Aufklärungsarbeit und für seine bohrenden Fragen, mit denen sich die Abgeordneten dem Wie und dem Warum sehr intensiv auseinandergesetzt haben. Frau Şimşek erläutert in ihrer Ansprache die Gefühle einer betroffenen Familie, aber auch den Dank der Angehörigen gegenüber den Parlamentariern , die sich ihrer Verantwortung gestellt haben und dem Freistaat, der sowohl mit einer Opferentschädigung als auch mit einem mahnenden Umgang sich würdig gezeigt hat, den Opfern zu gedenken und mahnend an die Taten zu erinnern.
Der „Schattenwurf“, so der Name der Gedenkinstallation, steht im Beethovenpark und die Menschen können sich dort über den tödlichen rechten Terror informieren. Die Installation ist so, dass, je nachdem wie die Sonne steht, die Namen der Mordopfer als Schatten auf der Erde sichtbar werden. Umgekehrt kann man sich darunter stellen und sieht die spiegelverkehrten Namenszüge, die diesen Schattenwurf auslösen. Eine gelungene Installation und wenn man Näheres erfahren möchte ist hier unter www.schattenwurf.org die ganze Installation erläutert.